Reisen -Sardinien

Sonntag, 5. Oktober 2008

Bergwandern auf Sardinien

vom 16./17. bis 30.9.2008
Erlebnisreiche, teilweise alpine Bergwanderungen in einer durch Kahlschlag ehemaliger Steineichenwälder entblößten, oft bizarren Karst- und Felsenlandschaft

Teilnehmer:

Christian als Tourenmeister, promovierter Taxifahrer und Mundschenk
Werner als Erster und überhaupt Hoffotograf und Waschfrauerich
HaWi als Fixkoch und Spülmann
Doris als Abtrocknerin und Wächterin über den Verfall der Tischsitten

Dienstag, 16.9.2008
Später, dafür aber preiswerter Abflug von Fraport um 19:00 Uhr nach Olbia / Costa Smeralda.
Mit Leihwagen weiter bis Dorgali und mit den Wirtsleuten Ignazio und Tonia Boeddu 10 km weiter zum schnuckeligen Häuschen in Alleinlage im Oddeone-Tal, das uns eine von Doris auf den Namen Mimi getaufte Katze gegen eine Katzenfutter-Apanage großzügig bewohnen ließ.
Wir sind früh ins Bett gekommen, will heißen, zu früher Morgenstunde.

Mittwoch, 17.9.2008
Mit Auto zur Küste bis Cala Gonone.
Weiter mit Touristenschiff an der Steilküste mit tiefen Brandungsgrotten vorbei bis Cala de Luna. Über knorrigen, teilweise aussichtsreichen Weg zurück.
3:30 Stunden, 300 m + / -

Donnerstag, 18.9.2008
Über kurvenreiche Bergstraße in eine der eindrucksvollsten Gebirgsstrecken Sardiniens. Hinter Baunei auf Stichstraße hinunter zur markanten Felsnadel des Küstenfelsens Perda Longa und weiter bis Santa Maria Navarrese. Von dort zurück mit Linienbus bis Baunei und Abstieg über Erschließungswege zum sympathischen Badeort Santa Maria Navarrese.
Mit Erschließungswegen sind diese grauslig an Baustellenauffahrten erinnernden Zufahrten zu Müllhalden u. a. zivilisatorischen Einrichtungen gemeint.
Hier machen wir mal eine nachdenkliche Pause.

Und gleich noch eine wegen des weiß gekalkten Kirchleins am großen, zentralen Rasenplatz, das von einer Tochter des Königs von Navarra zum Dank für ihre Errettung aus der Gefangenschaft sarazenischer Seeräuber errichtet wurde.
Es war zu.
Geschlossen.
Verrammelt.
Also nix mit uralter Holzdecke und - mehr allgemein - Kultur.
Kultur, dächte man, ist ein Für – Alle. Während sonst überall der Ausschluss aller anderen von meinem Eigentum das Grundgesetz ausmacht, soll in culturibus die Gemeinsamkeit der für alle zugänglichen, gleichen Zwecke kennzeichnend sein.
Gott für alle, die zu erraffende Nutzung der Welt für mich.
Dieser hegemoniale Kulturbegriff der durch nichts geteilten Teilhabe gilt also auch hier schon nicht mehr.
Wird schon seine Gründe haben.
Wollte es nur mal so am Rande erwähnen.
3:30 Stunden, 170 + / 650 –

Freitag, 19.9.2008
Mit Vermietern gut 2 Stunden Trauben gelesen und dann gemeinsam fürstlich gespeist:
Ø zarte, hauchdünne, an Crepes erinnernde Papierbrotfladen,
Ø an Eierpfannenkuchen erinnerndes lockeres Kartoffelbrot,
Ø dazu Artischocken, Bohnen, Speck und Salami,
Ø gefolgt von Nudeln mit Tomate und Parmesan,
Ø als Hauptgang ein Zicklein
Ø und zur Abrundung Käse vom Schaf, leicht ins Kristalline spielend,
Ø Espresso, Wein, Schnaps (Myrto und Grappa) und Bier verstehen sich von selbst.
Da wir gerade bei Kultur sind: Diese schleichend in fröhliche Völlerei übergehende Beköstigung des herbeigeeilten Lesekollektivs ist ebenfalls Kultur.
Allerdings eine, von der man etwas hat, die Partizipation also nicht erkauft ist durch Unterwerfung unter einen ideellen Herren, den man sich selber aussuchen darf.
Die antike Vorstellung vom "guten Leben" (Ethik) ist hier noch lebendige Tradition. Nicht alles an der Überlieferung ist schlecht.
Später noch 2 x 1 Stunde Talspaziergang bis zur weggerissenen Brücke.
Beim Fußbad der Doris Strumpf von Wind entführt. Heftig und erfolglos gesucht.

Samstag, 20.9.2008
Morgens in den Ort (Dorgali) gefahren, allwo es eine Piazza für die Caduti sul lavoro gibt (Platz der Gefallenen der Arbeit). Gefallene in der Arbeitsschlacht sind nun mal keine toten Helden. Drum wohnt da herum auch kein Chef.
Mittags Talwanderung zur Gola su Gorroppu. Auf dem Hinweg hat Christian den verlorenen Strumpf nahe der Verluststelle scharfäugig entdeckt.
Durch Unwetter vor 3 Jahren war in der Schlucht alles Kiesmaterial weggespült worden, so dass der Grund der fast 500 m tiefen Schlucht weithin nur noch aus gigantischem rundgeschliffenen Blockwerk bestand. Deshalb sehr erschwertes Eindringen über eine nur kurze Distanz.
3:00 Stunden, 200m + / -
Die Katze, die „dumme Sau“ beißt Christian in den großen Zeh. Angeblich hat der sie unwissentlich und unwillentlich auf den Schwanz getreten. Alles Ausreden!

Sonntag, 21.9.2008
Mit Auto zu den sardischen Dolomiten bis zum Startpunkt am Bergrestaurant Monte Maccione (698m) oberhalb Oliena. Über zunächst gute, später grobe Piste bis zum Sattel Scale E Pradu. Dort wurde gerade eine Pferdemesse zelebriert! Weiter über leichten Karrenfels zur Punta Sos Nidos (1348m) und auf gleichem Weg zurück.
4:00 Stunden 650 + / -

Montag, 22.9.2008
Lange Anfahrt über Nuoro und Fonni zu den Monti de Gennargentu. In der Trasse eines verkommenen ehemaligen (?) Schilifts weglos zur Kammhöhe. Ab dort langer, an die Vogesen erinnernder Panoramaweg ohne größere Höhenunterschiede zum Gipfel Punta La Marmora (1834m). Vor dem Gipfel noch zwei harmlose Blockwerkfelder. Zurück über guten Hangweg bis etwa Starthöhe, jedoch anderer, ebenso wegloser Abstieg zum Auto.
4:30 Stunden, 600 + / -
Auf der Rückfahrt Besichtigung des durch zeitkritische Wandmalereien bekannt gewordenen Orgosolo.
Hier machen wir wieder eine nachdenkliche Pause.

Auch dies ist Kultur.
Nämlich die des Einspruch erhebenden Knechts, nicht die des Herrn.
Vorbilder dieser murales waren die Revolutionsbilder in Mexiko, Chile und anderen lateinamerikanischen Ländern.
Ein sehr spezielles zeigt die Büste des früheren deutschen Bundeskanzler Helmut Schmidt als im ursächlichen Zusammenhang mit den Stammheim-„Selbstmorden“ von 1977 stehenden „Verteidiger der Demokratie und der abendländischen Kultur“. Die Position der Irmgard Möller, die als einzige Überlebende ein ganzes Buch über die Todesnacht von Stammheim geschrieben hat, findet hier ein Denkmal.
Dagegen sind die illustrierten Sprüche von Bertold Brecht geradezu harmlos:
Als der letzte Krieg vorüber war, gab es Sieger und Besiegte.
Bei den Besiegten das niedere Volk hungerte.
Bei den Siegern hungerte das niedere Volk auch.

Merke: Armut ist keine Schande. Aber Reichtum selbstverständlich ein Verdienst.

Dienstag, 23.9.2008
Leichtes Regenwetter mit Bergen in Wolken, deshalb Kulturtag. Tropfsteincaverne Grotta de Ispinigoli, alsdann Ausflugsgebiet "Blautopf"-Quelle Gologone, Gigantengrab Ena e Tomes und antikes Nuragendorf Serra Orios
Höhenmeter keine, dafür aber hohe Eintrittspreise.

Mittwoch, 24.9.2008
Noch trübes Wetter. An einem antik anmutenden Marmorbruch vorbei nach Orosei mit kurzem Stadtbummel, durch Verfahren zu weit geraten bis Capo Camono mit Spaziergang auf teils waldigem Küstenweg, dann doch noch das eigentliche Ziel, den Parco Naturale di Bidderosa (Cala Ginepro) gefunden.
Spaziergang an Sand- und Blockwerkküste.
Rückfahrt über den malerischen Ort Galtelli mit Ortsbummel. Der dortige "Parco Deleddiano", erinnert mit Zitaten aus ihrem nobelpreisgekrönten, naturalistischen Werk an die sardische Literaturpreisträgerin Grazia Deledda und die Härten des sardischen Landlebens.
Im Sardischen heißt dieser Ort Garteddi.
Alle Ortsnamen gibt es zwei Mal.
Und die italienische Variante ist oft von den sardischen "Banditen" mit schwarzem Spray verstümmelt. Diesen nicht ganz kolonisierten Banditen ist es doch tatsächlich gelungen, geplante NATO-Flug- und Truppenübungsplätze, sowie die Nutzung Sardiniens als Endlager für radioaktiven Endmüll zu verhindern.
Alles, was auch nur entfernt an staatliche Symbolik erinnert, wird tendenziell ebenso systematisch wie ohnmächtig vandalisiert

Donnerstag, 25.9.2008
Mit Auto zur Passhöhe Genna Groce oberhalb Urzulei. Zunächst über in Fels gehauene Erschließungsstraße und dann große Runde über Supramonte-Hochebene mit kurzem weglosen Abschnitt. Abstecher in Schlucht Codula de sa Mela zum Steinesammeln. Hier fanden wir mitten in der unberührten Wildnis einen merkwürdigen Aluminiumfetzen mit Nietenreihen und zwei an Scheinwerfer erinnernde Löcher, wohl ein Stück Flugzeug.
4:30 Stunden, 250 + / -

Im Café auf der Passhöhe lesen wir, dass ein 28 jähriger Schafzüchter per Gewehrschuss aus der Welt geräumt wurde. Diese Akte einer Selbstjustiz sind in Sardinien offenbar immer dann die Regel, wenn es dem Arm des Gerechtigkeit herstellenden Staates zu wiederholten Malen nicht gelungen ist, den Missetäter zu belangen. Dann tut so einer ganz versehentlich einen unvermutet tiefen Fall, oder läuft in ziellos herumfliegende Projektile usw.
Im vorliegenden Falle musste der Fiesling damit rechnen, denn er hatte einen versuchten Vergewaltigungsversuch und anderes Gemeinschaftsstörendes auf dem Kerbholz.

Freitag, 26.9.2008
Ab Häuschen zur Nuraghen-Doline am Tiscali. Unsere liebe Familienkatze Mimi ist mitgelaufen und an Wasserfurt jämmerlich klagend zurückgeblieben.
Abends war die Katze, diese "dumme Sau", immer noch nicht zurück. Große Traurigkeit bei denen, die nicht Christian heißen... Und dann war plötzlich unser Glück miauend vor der Tür, kredenzte eine zur Strecke gebrachte Maus, und knurpselte und knusperte die dann gut hörbar vor der Tür zusammen.
5:00 Stunden, 400 + / -

Samstag, 27.9.2008
Abenteuerliche Königstour in den Montes Albo.
Start kurz hinter Lula (Parkplatz rechts zwischen km 19 und 20).Nach Anmarsch über Piste und Maultierweg abenteuerlicher, absolut wegloser Fels-Aufstieg über 400 Höhenmeter zur Punta Catirina (1127m). Abstieg auf der Gegenseite relativ problemlos. Der in unserem angejahrten Führer enthaltene, schon fast kriminelle Anstieg ist in neueren Auflagen herausgenommen und durch einen leichteren Umweg ersetzt worden. Wir waren nach bestandenem Abenteuer richtig stolz auf uns. Rückfahrt über das malerisch gelegne Bitti.
5:00 Stunden, 580 + / -

Sonntag, 28.9.2008
Über Baunei zur Hochebene Su Golgo mit schachtartiger, über 200 m tiefer Doline von nur ca. 35 m Durchmesser.
Ganz nebenher an defektem VW-Bus perfekte Diagnose gestellt – Verteilerfinger kaputt. Abstieg zur Cala Goloritze.
Wegen rauer See und recht felsiger, grobkiesiger Bucht Baden nicht möglich gewesen. Viele Kletterer an Felsnadeln mit flatternden Hosen im stürmischen Element.
3:30 Stunden, 550 + / -
Die Katze hat doch wieder ihren Fuß heimlich von hinten unter den von Christian gesteckt. Tat dann schwer beleidigt und guckte vorwurfsvoll: "Das geschieht euch ganz recht, dass es mir so schlecht geht!"

Montag, 29.9.2008
In Galtelli ein sogenannntes "Domus de Janas" näher zur Kenntnis genommen. Als "Häuser der Feen" (in den Fels gehauene Nekropolen) wird diese Gattung Felsgräber auf Sardinien bezeichnet, von denen es mehr als 1000 gibt. An die tatsächliche Funktion dieser Sammelgräber erinnert nichts mehr an diesem poetischen Euphemismus.
Ab Galtelli langer Marsch über inzwischen voll asphaltierten Panoramaweg bis zum Naturbogen "Sa Preta Istampata" in 570 m Höhe. Aus Zeitgründen Gipfel des Tuttavista ausgelassen und erfolgreich zum Baden in der Cala Liberotto gewesen.

Dienstag, 30.9.2008
Ein ordentlicher Arsch voll Fahrerei zunächst zum Bärenfelsen von Palau. Fotografisch furchtbar versaut durch Laternen, Flatterbänder und Papierkörbe.
Touristisch also voll erschlossen, bis auf die fehlenden Toiletten, die durch kostenlose Benutzung der Landschaft drum herum ersetzt werden.
Weiter zur bizarren, zyklopischen Granit-Felsenlandschaft von Capo Testa, die Salvador Dalí gemalt haben könnte, mit Blick nach Korsika.
Auf Rückfahrt zum Flugplatz nach Olbia kleiner Abstecher zur Costa Smeralda.
Im Flughafen zieht sich Christian erwartungsgemäß vorübergehend in Feltrinnellis Buchoase zurück.
Guckt sich die Kultur des Herrn kurz mal an. Das ist eine, wo der Herr sich selber feiert: "Wir von Porto Rotondo" heißt so ein Buch mit ganz wenig Text und ganz vielen Erinnerungs- Fotos von Berlusconi bis Lollobrigida in von Bettenburgen freigehaltener Yachtlandschaft.
Die bescheidene Bleibe (mit 27 Zimmern) des Politgangsters Berlusconi steht auf einem Gelände so groß wie der Vatikanstaat, weist diverse Swimmingpools, künstliche Kaskaden und ein Amphitheater nach antikem Vorbild auf. Kulturinteressierte können sich also nach Entrichtung eines nicht all zu klein geratenen Obolus davon unterrichten, was sie sich alles nicht leisten können. Der Normalverbraucher hält sich zur Pflege dieses Kulturbegriffs seine Auto-Bild-Zeitung.
Viel nutzloses Grün an der smaragdgrünen Küste. Ich meine Golfplätze.
Lieblingsgetränk beim heurigen Billionärsclubtreffen: Champagner der Marke Louis Roederer Cristal Mathusalem zum Preis von 32.000 Euro die Flasche. Ein Russe bestellte mal eine davon und schenkte sie dem Kellner.

Rückflug pünktlich um 21:55 Uhr, gelandet ca. 23:30.

Ab sofort grausliges tempo tedesco

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Wandermönche
Der Weise Mein Haus ist schmutzig, meine Kinder, zahlreich,...
gitano - 22. Nov, 16:39
...
:-D
Greedy - 2. Feb, 16:08
Job-Center
bietet moralisch einwandfreien Lebensersatz, wenn es...
gitano - 4. Jan, 07:51
Polarisierung
Die hässliche Angewohnheit der Realität, nicht deiner...
gitano - 4. Jan, 07:15
Psychagogen
Tragend die Herzen der Menschen mit strebender Hoffnung...
gitano - 25. Dez, 15:15

Links

Suche

 

Status

Online seit 6193 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 22. Nov, 16:39

Credits


100 schwarze Meisterwerke
Definitionen und Aphorismen zur Lebens-Unweisheit
Fundstücke
Journalistisches
Literatur
Mythisches Bewußtsein
Persönliches
Reisen
Reisen - Indien
Reisen -Amerika, Südwest-
Reisen -Indien 1
Reisen -Indien 2
Reisen -Indien 3
Reisen -Indien 4
Reisen -Kappadokien
Reisen -Lykien
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren