Reisen -Amerika, Südwest-

Sonntag, 13. Juli 2008

Amerika, Südwest-, 19. Juni- 8. Juli 08

Missvergnügte Marginalien eines Vergnügten
Über Amerika wurde schon viel, und auch Richtiges gesagt. Und Evelyn Waugh hat in seinem satirischen Roman „Tod in Hollywood“ sogar etwas ganz Wichtiges darüber sagen lassen:
Sehr nette, großzügige Leute hier und keiner erwartet von einem, dass man zuhört. Sehr wichtig, mein Lieber! Außerdem die einzige brauchbare Erklärung, dass man sich hier wohl fühlt. Alle reden nur zu ihrem eigenen Vergnügen. Keiner rechnet je damit verstanden zu werden.“.
Siehe beispielsweise die T-shirts mit Botschaften wie:
"When I read about
the evils of drinking
I stopped reading."

"I´m not opinionated.
It´s just that I´m always right."

Kein Wunder, dass mich Amerika nicht wirklich interessiert.
Es ist uns zu nah, als dass man wirklichen Studieneifer verspürte. Zu meiner Entschuldigung für diese Reise kann ich also nur vorbringen, dass ich gerne in bizarren Landschaften herumlatsche. Und damit sind die Naturparks auf dem Colorado-Plateau nun wirklich reichlich gesegnet.

Donnerstag, 19. 06.08: Flugzeuggedanken
Wir fliegen mit United Airlines, der interkontinentalen Billigfliegerlinie. Man hat daher 11 Stunden reichlich Anlass und Zeit, sich Gedanken über die Dekadenz der ehemaligen Stewardess zur ältlichen Saftschubse (Flugbegleiterin) zu machen.
Die bei United herumstolpernden Trolley - Dollys müssen nämlich in den Pioniertagen der zivilen Luftfahrt echt heiße Öfen gewesen sein, denen man gern ein „Tea-coffee-or-me?“ abgenommen hätte.
Ein Glück, dass es tights gibt. Diese schwarzen Fahrrad-tights, die bei jedem leichten Bücken den schlimmsten Skandal verhüten, pushen wenigstens die uneleganten „Reiterhosen“ gottseidank up, up and away.
Das 21. Jahrhundert zeigt uns ziemlich deutlich, wo es lang geht. Es hat aus der kostenintensiven Augenweide von Stewardessen unterbezahlte Massenabfertigerinnen gemacht, die froh sein können, dass sie zu den Diensten eines - merkwürdigerweise – „Bediente“ Genannten herbeigepfiffen wurden. Die wahlweise auch „Bedienstete“ Genannten sind Menschen, die das unwahrscheinliche Glück hatten, anderen dienen zu dürfen, und für diese Ausübung ihres tiefsten Glaubens auch noch Geld kriegen wollen.
Die Flugroute führt über die Shetlands und Island Richtung Grönland. Dann wieder dem Anschein nach - ebenso empörend umwegig - südlich über die Davis-Strait zur Hudson-Bay nach Los Angeles. Dennoch ist das die kürzeste Strecke über den Atlantik (ca. 9500 km). Flöge man entlang der Direktlinie (auf der geographischen Darstellung der Mercatorprojektion!) von FRA nach LAX, wären das sogar 1000 km mehr, also 10500 km. Übrigens ein schönes Beispiel für die Unverlässlichkeit des gesunden Hausverstands und die Ratsamkeit, das Gesetz einer Sache zu denken.
Nicht so jener unbekannte, aber sicherlich verallgemeinerbare Amerikaner, dem ich einen köstlichen Satz vor dem Flug nach Las Vegas ablausche: „It seems more logical.“
Auf den Schein einer Sache kann nun wirklich alles folgen. Nur ein einziges Prädikat nicht: dass etwas an ihm logischer wäre. Aber etwas auszuschließen, ist einfach ungezogen undemokratisch und steht selbstverständlich nur denen zu, denen das - per Wahl legitimierte - Machtwort zusteht.
Zur Begrüßung in Las Vegas verkündet eine dieser gigantischen Werbeflächen, jeden diesbezüglichen Zweifel hinfort großkotzig zerstreuend:

I AM.
(Unterschrift) God


Freitag, 20.06.08: Las Vegas, eine Gottbesichtigung
Ja, ich habe Gott gesehen.
Er sieht nicht schlecht aus, sondern putzmunter, seit ihn die Mafia ab 1946 bunt glitzernd herausgeputzt hat.
Der aus New York stammende Mafioso Bugsy Siegel eröffnete damals das "Flamingo", den Vorläufer aller mit Spielkasinos kombinierten Hotelanlagen in Las Vegas. Weil das wahnwitzige Projekt anfangs anscheinend nur Verluste einbrachte, erschossen ihn seine Komplizen im Juni 1947. Die Mafia beerbte gleichwohl Bugsy Siegels Einfall, per in Nevada erlaubtem Glücksspiel den „Kulturetat“ der gleich nebenan boomenden Californier abzuschöpfen, und strich die alsbald vom "Flamingo" und weiteren Casinohotels erwirtschafteten Gewinne ein. Las Vegas ist seither die am schnellsten wachsende Metropole der Vereinigten Staaten. 1974 kassierte der Staat in Las Vegas bis zu einer Million Dollar am Tag aus dem Glücksspiel.
Oh, be swift, my soul, to answer Him! Be jubilant, my feet!
Our God is marching on.


Die andere Fraktion der Absahner hat eine stattliche Anzahl von Heiratskapellen hin- und bereitgestellt.
Diese Gebetsabschussrampen sind aber allesamt ein bissl klein und unscheinbar geraten, wenn sie nicht gar in die Hotels selbst integriert wurden. Die Welt ist eben ein hart umkämpftes Tauschgeschäft. Man fuhr seinerzeit (wegen der Einfachheit der Scheidungsmodalitäten) mal kurz nach Las Vegas und vollzog den legalen Partnertausch gleich anschließend in einer der Wedding Chapels.
As he died to make men holy, let us die to make men free,
While God is marching on.


Als die Amerikaner zu Beginn der Fünfzigerjahre in der Wüste von Nevada – gerade einmal hundert Kilometer von Las Vegas entfernt – also in Sichtweite, Atomtests durchführten, machten die Hoteliers daraus eine weitere Attraktion und stellten Liegestühle auf die Dachterrassen, damit die Gäste die Blitze und Staubwolken der Explosionen bestaunen konnten.
The world shall be His footstool, and the soul of wrong His slave,
Our God is marching on.


Darüber braucht man sich nicht zu wundern. Ästhetisch gesehen ist Las Vegas von der selben grandiosen Kitschigkeit wie ein Atompilz. Wer es auf die Berückung der Sinne abgesehen hat, kann mit irgendwelchen doch bloß störenden Unterschieden nichts anfangen. Dem ist die Welt halt bunt und rund...na und...?

Die oben kursiv gesetzten Zitate aus der „Battle Hymn of the Republic“ stammen aus Mark Twains Parodie von 1901, einer frühen Kritik des amerikanischen Imperialismus.
Hieraus noch ein paar Kostproben:
Mine eyes have seen the orgy of the launching of the Sword;
He is searching out the hoardings where the stranger's wealth is stored;
He hath loosed his fateful lightnings, and with woe and death has scored;His lust is marching on….

I have read his bandit gospel writ in burnished rows of steel:
"As ye deal with my pretensions, so with you my wrath shall deal;
Let the faithless son of Freedom crush the patriot with his heel;
Lo, Greed is marching on!"

…As Christ died to make men holy, let men die to make us rich
Our god is marching on.

An dieser ohnmächtigen Kritik des amerikanisch-spanischen Kriegs um die Philippinen lässt sich die ganze Hilflosigkeit der moralischen Kritikform ermessen. Die „Orgie des gezückten Schwerts“, die den „gehorteten Schatz des fremden Reichtums“ sucht, und jede Menge „Punkte macht beim blitzartigen Zuschlagen mit Elend und Tod“, dieses „Banditenevangelium“ der „schimmernden Wehr“ gilt schließlich unangefochten bis auf den heutigen Tag. Und jeder, der sich mit dieser „heuchlerischen Anmaßung“ anlegt, wird es „mit dem Zorn dieses modernen Gottes zu tun bekommen“. Die „Gier“ des „glaubenslosen Sohns der Freiheit“ „zermalmt mit seiner Ferse den Vaterlandsliebhaber“ und marschiert - schon damals gut erkennbar - über den Patrioten hinweg.
Auf, lasst Menschen sterben, um uns reich zu machen.“
Ja, ich habe Gott gesehen.


Samstag, 21. 06. 08: GRAND CANYON
Über einen kleinen Abstecher zu dem Kaff Seligman an der legendären und energisch an ihrem Mythos bastelnden „Route 66“ waren wir gestern zum Campground am Grand Canyon gefahren.
Erinnerst du dich?
„Get your kicks on Route sixty—six.”
“Born to be wai-ai-ai-aild!”
"Easy Rider."
Wäre gar nicht schlecht gewesen, wir hätten schon damals gewusst, dass ein „easy rider“ im Südstaatenslang einer ist, der sich´s bei einer Prostituierten gut gehen lässt und dann für lau verschwindet. Dann wäre man auf die Lesart des kultigen Freiheitsschmonzes nicht dermaßen deppert abgefahren. Die damaligen Mythen-Auspinseler, die glaubten, um die Kosten für die Hure Freiheit herumzukommen, sind seither sprunghaft weniger geworden. Aber so isses nun mal: Der Klugheit des Alters teilhaftig zu werden, hat eine verdammt harte Bedingung: die Ahnungslosigkeit und störrische Unberatbarkeit der dämlichen Jugend, durch die man erst mal durch muss, wie durch die Windeln und die Milchzähne auch.
Seligman (Arizona) am obsolet gewordenen Highway 66 tut mit seinen Andenkenläden und listig Flair verbreitenden Oldtimern alles, um dem Nostalgiker Nahrung zu bieten, und sich eine Überlebenschance zu sichern, trotz des - die alte Sixty-six ersetzenden - Freeways, auf dem die alte Armut und der neue Reichtum vorurteilslos dem Ruf des Manifest Destiny „Go West“ gehorsamen.
"Mit dieser Welt gibt es keine Verständigung; wir gehören ihr nur in dem Maße an, wie wir uns gegen sie auflehnen. Alle sind unfrei unter dem Schein, frei zu sein" (Adorno) Was das nun wieder heißen soll?
Unter anderem ist darunter auch die Freizeitkultur des campenden Barbecue-Amerikaners befasst. Der fährt - zahlreich bis zur Überfüllung der Nationalparks - mit seinem Auto und dem angehängten „chuck-wagon“ auf Asphalt bis an den harten Rand der nun wirklich nicht mehr zu übersehenden Natur zum Campen. Räumt die Anrichte aus dem Fressalienanhänger und arbeitet hart daran, den zwanghaften Grundeinfall einer Minimaldifferenz zum Gewohnten zu verwirklichen. Von den herumstehenden Bäumen und der frischen Luft lässt er sich dabei nicht groß stören. So was muss er halt in Kauf nehmen, wenn er an die Freiheit der Wildnis will. Falls der jemals eine Utopie gehabt haben sollte, hat er sie gründlich zerstört.

Erster Blick auf den Grand Canyon bei Sonnenuntergang. Zum Glück waren die unvermeidlichen Japaner auch dabei und schubsten so lange an mir rum, bis sie da standen, wo ich gerne gewesen wäre. Sonst hätte man es vor lauter WOW!!! ja gar nicht mehr aushalten können.
Bevor ich mir jetzt Vorwürfe über mein klischeebefangenes Denken anhören muss, gebe ich zu bedenken, dass es offenbar zahllose Leute gibt, die sich alle erdenkliche Mühe geben, tatsächlich und buchstäblich mit der Klischeevorstellung über sie identisch zu werden. Und zweitens: jedes Klischee beruft sich auf einen ihm zugrundeliegenden Sachverhalt, ist überhaupt nur das um ein Kleines danebengegangene Abstraktum davon, also nicht falsch, sondern überprüfungsbedürftig am vorliegenden Fall. Die meisten Leute laufen - wie gesagt - sowieso herum wie das Stereotyp, das von ihnen im Umlauf ist. Und überhaupt hat das Klischee mittlerweile derartig an der Wirklichkeit herumgeschubst, dass es statt ihrer Raum greift und sich behauptet als gäbe es die Amerikaner wirklich...

Abends äsen Elks (kuhgroße Riesen-Hirsche, Wapitis) angst- und stressfrei zwischen den Lagern.
Erst Saturn und Jupiter und dann die anderen alle schießen am smogfreien Himmel wie Squirrels und chipmunks hervor.
Nachts hängt der Große Wagen ein ganzes Stück niedriger am Sternenhimmel. Da atmet man tiefer.

Heute dann der Grand Canyon.
Über den „Bright Angel Trail“ steige ich ab bis zur Ebene der Indian Gardens. Treffe unten ein paar sympathische Exemplare der ihr Pennsylvania Deitsch kakelnden Amish in ihrer Tracht. Waren von der weniger strengen Observanz, dürfen also auch andere als die eisenbereiften Pferdewägen als Transportmittel benutzen.
Weil ich mich verweile, klettert das Thermometer im Laufe der nächsten Stunden auf über 40 Grad Celsius (111 Grad Fahrenheit). Ich verfluche auf dem Aufstieg meinen hier sehr schlecht angebrachten sportlichen Ehrgeiz mehr als ein Mal.
Ich bin so verdammt schlecht drauf.
Ich muss unbedingt was essen.
Die Bissen quellen mir im Munde.
Das Wasser am Wege schmeckt widerlich metallisch-bitter, aber ich muss trinken.
Latsche – wenn es irgend geht – nur dann, wenn eine vorüberziehende Wolke Schatten wirft. Drücke mich bei Sonneneinfall an die Felswand.
Es ist eine elende Schinderei.
Kommen ungefragt und erstmals Krämpfe in den Oberschenkeln dazu.
Nachwirkender Jetlag? Wassermangel? Niedriger Blutdruck?
Das ALTER?
Insgesamt also keine gute Idee.
Wie lange ich für den Aufstieg brauchte, verschweige ich lieber. Es reicht, wenn ich bei mir unten durch bin.

Übrigens wird es über die Länge dieser Ausfahrt bei den über 40 Grad im Laufe des Tages bleiben. Ein erklecklicher Teil kalifornischer Wälder wird währenddessen in der Nähe von Big Sur über eine Woche lang unkontrollierbar abbrennen.

Sonntag, 22. 06. 08: MONUMENT VALLEY
Zur Hölle mit den Menschenfreunden, die auf den Ehrentitel everybody´s darling aus sind.
Das hört sich als Maxime bei unserem Fahrer/Guide so an: „Nur wenn ich es hinkriege, dass sich die Leute um mich rum wohlfühlen, geht es mir gut.“
Die Praxis davon sieht so aus: wir fahren durch die Mojave-Wüste. Indianerland.
Reservation.
Indianerland ist trost- und wertloses Territorium, aus dem der weiße amerikanische Wirtschaftsbürger nun wirklich nichts mehr rausholen kann. Es sei denn, es stelle sich nachträglich doch noch heraus, dass da Kohle, Öl, Uran oder seltene Minerale vorkommen. Dann ist das einstmals für autonom erklärte Gebiet selbstverständlich Ausbeutungsobjekt von Leuten, die garantiert keine Indianer sind.
So kommt es, dass 50% der Navajos arbeitslos sind,
ihre Einkommen noch unter denen der Schwarzen liegen, die Selbstmordstatistik von ihnen in unangefochtener Spitzenposition angeführt wird.
Und der Alkohol, der auf Indianergebiet verboten ist, wird durch eine leberzerfetzende Mischung aus billigem Haarspray und einem Kanister Wasser ersetzt.
Nicht zu übersehen ein weltweit einzigartiges Phänomen: während noch in der hintersten verkommenen Ecke der Dritten Welt Satellitenschüsseln für Fernseher blühen, braucht es hier diese Plakattafel für Dinge, die die Leute kaufen sollen, offensichtlich nicht. Ein Indianer kann sich den Schrott sowieso nicht kaufen, der da angepriesen wird.
Verstreute Holzbaracken in Straßennähe mit Autos davor, womit man - zig Meilen weiter - sich die paar Überlebensmittel im Market einkaufen fahren kann.
Und nun der Sonnyboy, der es auf unser Wohlbefinden abgesehen hat: „Die indianische Weltsicht braucht all diese Dinge nicht, auf die der Amerikaner so großen Wert legt. Der Indianer ist zufrieden, und vermutlich glücklicher als der konsumbesessene Weiße. Seine Spiritualität, die dem Traumleben sowieso mehr Wirklichkeit einräumt als dem Annex davon, den wir Realität nennen, ...“ usw. in dem kuschelweich gespülten Elend, das man meint vor Augen zu haben.
Und gestern noch meinte ich, die Heere von Indianern Spalier stehen gesehen zu haben, die uns Touristen in Las Vegas flyers (griffige Handzettel) anzudrehen versuchten, auf denen verschiedene sexuelle Dienstleistungen dürrer angelsächsischer Dienstleisterinnen promoted werden. Jetzt weiß ich es besser: die schiere Bedürfnislosigkeit treibt so einen Indsman zu den niedrigsten Handreichungen.
An der Maxime, dass man per gefällig angeschmuster Deutung Wohlgefallen verbreiten kann, muss was falsch sein: bei mir löst das blanken Hass auf die Gutgemeinheiterei aus.
Lediglich bei der Geschichte, also dem, wo man eh nix mehr machen kann, unterläuft dem Naivling von Fahrer ein kritisches Bedenken und gleichzeitig ein neuer Fehler: „Präsident Lincoln hatte nichts für die Indianer übrig, liebte aber die African Americans.“
So sehr, dass er ohne einen einzigen politischen Gedanken (des Nationbuildings?), oder gar aus Erwägungen hinsichtlich des Geltungsbereichs des Dollars heraus, einen ganzen liebreichen Sezessionskrieg anzettelte, „um die Sklaven zu befreien“. Ich sag´ s ja schon immer: hütet euch vor Menschenfreunden, Befreiern und Erlösern. Kirk Douglas als „Spartakus“ ist nämlich bloß die Kinoversion des unersättlichen amerikanischen Befreiungsdurstes.

Bedrückt ließ ich mich durch das Tribal Land der Navajos kutschieren. Das kennt eigentlich jeder meiner Generation aus den Filmen von John Ford. Ein déjà- vue nach dem anderen. Sogar John Waynes „boot“ kriegt man zu sehen, mit dem der hier nicht nur symbolisch mehrfach übers Zelluloid gestiefelt ist. Tafelberge, Türme und andere Bizarrerien der Natur.
Schön.
Doch, ja.
Schon schön.
Noch gewaltiger als in Cinemascope.

Und dann sind wir auch noch zu der Stelle gefahren worden, wo der herzensgute, aber mit geringen geistigen Gaben ausgestattete Allerwelts-Lieblingsdepp namens Forrest Gump vor gewaltiger Kulisse seine Läuferkarriere unvermittelt einfach aufgehört hat. Und es fällt mir die traurig stimmende Einsicht ein und auf:
Genau wie dieser Trottel hat man den ganzen Scheiß heiß servierter Zeitgeschichte mitgemacht. Mit dem einzigen Unterschied, dass mir die Pralinenschachtel des Lebens und ihr unvorhersehbarer Inhalt unentwegt sauer aufstießen.

Ist aber irgendwie auch kein Vorzug und keine Entschuldigung für nix.

Montag, 23. 06.08 bis 05. 07. 08
Naturparks, Naturparks, Naturparks.
Vom Needles -Park über die Arches in Utah, den Capitol-Reef-N.P., den Bryce-Canyon den Zion-NP und Yosemite.
Einer schöner als der andere zu bewandern. Keiner wie der andere. Und irgendwie schien in der Abfolge eine Dramaturgie der Steigerung in der Höhe der Felswände zu stecken. Dabei ist das belaufene Sammelsurium zumeist nichts als Felswüste.
Man verzeiht eben der Natur, und nur der Natur, das geistlose Spiel mit ihren Gesetzen, weil ästhetisch reizvolle Zufallsfunde dabei herausgekommen sind.
Die Namensgebung der Felsgruppen folgt allerdings unverdrossen dem Kitschprinzip: Rückverwandlung des Fremden ins gemütvoll Vertraute: Fairyland, Tower-Bridge usw. Nichts, das für sich selbst bestehen dürfte als das, was es ist. Sogar Königin Victoria wird da in öder Mechanik herumsitzen gemacht.
Im Vergleich dazu war das eindeutig Schöne an meinem privilegierten Leben als Literaturwissenschaftler, dass die metaphysisch aufgeladene Metapher immer - ganz umgekehrt - und äußerst reizvoll vom Vertrauten auf ein ziemlich exakt Erahnbares zu schließen aufforderte. Jetzt muss ich mich halt vertraut machen mit der Pragmatik der (amerikanischen) Vernunft.

Aus den Kommunikationsschnipseln am Rande des Geschehens erinnere ich eine Cowboyweisheit: „Kritisiere nie einen Mann bevor du nicht eine Meile in seinen Stiefeln gelaufen bist. - Auf diese Weise bist du schon mal eine Meile weg von ihm, und außerdem hast du auch noch seine Stiefel.“
Hübsch, dieses Desavouieren des Moralisierens aus Gründen des philosophischen Subjektivismus durch ein stoisches Festhalten am Realismus der Eigentümer. Mir scheinen diese beiden Positionen, die nie miteinander sprechen können, sondern nur als Juxta-Positionen grimmig zitier- und daherlebbar sind, irgendwie typisch amerikanisch.
So hat man dort auf der einen Seite den romantisierenden Individualismus von Protestanten (Hippies, Flippies, life-style-Streuner und Anarchisten) und andererseits und daneben die traditionalistisch - fundamentalistische Festschreibung eines kollektiv verfassten Ich bei den Sekten (Mormonen, Amisch), und bei holistischen Philosophen wie Ken Wilber.
Dass diese Leute dennoch mit sich zurecht kommen, liegt daran, dass sie einander nur eben mal so ernst nehmen wie die Geschäfte das erfordern: „O yeah...“ „Do you think so...?“ “Oh really…” Amerikaner behandeln Fremde und einander mit dieser informellen Freundlichkeit eines desinteressiert Interessierten : unverbindliches Lächeln dessen, der weiß, dass er ganz schnell von einem Käufer zu einem Verkäufer werden kann, und beides auch vice versa mit Gleichmut wegzustecken hat, unabhängig vom Ergebnis.
Stoizismus des seriellen Jobbers und businessmans als Verhaltensideal.
Weder den einen, noch den anderen hindert das, dem nächstbesten „sucker“ einen atom- oder giftmüllverseuchten Baugrund zu verkaufen.
Das würde zumindest erklären, warum der gar nicht zu übersehende ostentative Konsum, das Zur-Schau-stellen des erworbenen Reichtums für das Wohlbefinden dieser Leute eine so große Rolle spielt. Jenseits aller Fährnisse und Unsicherheiten der eingebildeten oder festgeschriebenen Person dehnt sich die Stretch-Limousine ins Unbezweifelbare der erfolgreichen Ankunft in Richistan.
Ach, Amerika ohne Amerikaner, das wär´ s doch!

Das isses, in seinen Naturparks.
So begehbar für alle sie gemacht sind, man braucht nur weit genug vorzudringen, und schon dehnt sich der Gehende ins weit davon entfernte Gesetzferne.
Bin aufgebrochen, mich zu finden. Sollte ich zurückkommen, bevor ich dort angekommen bin, schickt mich bloß nicht hinter mir her. 100 zu 1, dass ich mich über kurz oder lang hier finde.

Und die Giant Sequoias, die ältesten Lebewesen dieser Erde! Noch vor ab urbe condita, noch vor Roms Gründung, noch bevor das Interesse an einer schriftlichen Aufzeichnung von geschichtlich Bedeutsamem aufkam, lebte und weste das schon. Die Äste des Grizzly Giant im Mariposa Grove vom Yosemite Park sind so dick wie anderwärts Bäume. Ein bis zwei Meter im Durchmesser.

Dass die Amis doch immer mit allem so übertreiben müssen, ist ein hübscher Zug an ihnen.

Freitag, 04. 07. 08 San Franzisco
Dies ist kein Lippenbekenntnis: San Franzisco ist schön. Und der windgebeutelte Marsch über die Golden Gate-Bridge mit der Skyline zur Linken ist ein luftig—erhebendes Erlebnis, als ob es die Freiheit wirklich gäbe, gleich nebenan, und man bräuchte nur hinzugehen...
Wie müssen sich erst die Surfer 68 Meter unter uns fühlen! Ich habe diese inspirierende Stadt und ihre Highlights von Lombard-Street bis zu den Twin Peaks genossen.

Aber es ist einfach falsch, so zu tun, als ob diese Fußgängerstadt aus lauter fein saubergeleckten Vorzeigevierteln und –baulichkeiten bestünde.
Schon eine Straßenecke weiter, südlich des Hotelbezirks, also in der Ellis-Street, nimmt die Schwarzen-Dichte dramatisch zu. Zumeist in Schlaf- oder zumindest Ruhelage auf dem Bürgersteig belagern sie dort das von den Methodisten eingerichtete Health-Center und machen vorüberschlendernde Touristen an.
Ich gehöre nun mal nicht zu den zimperlichen Leuten vom Schlage: „Oh, heute habe ich einen obdachlosen African American gesehen. Ich fühle meine Lebensqualität erheblich beeinträchtigt.“
Eher so: wenn auf der Rückseite der Quarter-Münze „Liberty“ geprägt steht, dann ist das die pure Wahrheit über den materiellen Inhalt von Freiheit: an der Verfügung über die nötige Menge von solchen "liberties" entscheidet sich nun mal dein Bewegungsspielraum.

Und erst recht keine Träne über Haight—Ashbury, das Bohemeviertel der Hippies, das die übliche gentrification (Wertsteigerung der Immobilien durch Zuzug von Mietern mit höherem Einkommen und Lebensstandardbedürfnissen, mit der Folge des Hinausdrängens der Niedriglöhner) ereilt hat.

Reisen ist eine Sache der selektiven Wahrnehmung und der Relevanznahmen des Bewusstseins. Weswegen es - abgesehen vom jeweils Wesentlichen - so sehr verschiedene Reiseberichte über die selbe Gegend gibt.
Bei meiner Lumpensammlerei fällt mir auf, dass der Schwerpunkt des zentralen Union-Square das ca. 30 m hohe Dewey Monument aus dem Jahr 1903 ist. Errichtet im Jahr 1898 zu Ehren des Sieges des Commodore George Dewey über die Spanier in jenem ersten imperialistischen Krieg der Amerikaner, von dem weiter oben schon die nicht erbaute Schreibe war.

Und dann gibt es da einen Alamo Square: Der besteht hinsichtlich seiner bewusstseinsrelevanten Daten einmal aus den „Painted Ladies“, farbenfroh angestrichenen victorianischen Wohnhausfassaden.
Zum anderen ist es aber keineswegs zwingend, sich in der Sinnlichkeit des Touristen einsperren zu lassen. Das Alamo an dem Square erinnert an den sinnlosen, aber sehr zweckvollen Kampf bis zum letzten Mann, ist also die Formel für die amerikanische Version des Mythos der heroischen Selbstvernichtung. (Daß Alamo die spanische Vokabel für Pappel ist, liegt dem Normalo ja wohl sicherlich nicht abrufbar parat. Schließen wir also mal aus.)
Diejenigen, die dem Normalo ein Gedächtnis zu machen pflegen, und dabei keinen noch so miesen Griff verabscheuen, seien gefragt: Wie würde es wohl aufgenommen werden, wenn hierzulande der Nazi-Durchhaltefilm Kolberg zum Standardprogramm der Fernsehunterhaltung gehörte und in jeder Stadt ein Kolbergplatz mahnte?

Manchmal erschrickt man: daß der amerikanische Präsident jede antifaschistische Motion des Parlaments per Veto unterbinden könnte, ist ein sehr geringfügiger, formeller Unterschied zur nackten Diktatur.

Auf der Golden Gate Brücke gibt es alle 100 Meter ein Notruftelefon, das Hilfe und Rat verspricht. Jemand hat drauf geschrieben:

„Stop Lying!“

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