Reisen -Kappadokien

Samstag, 17. Mai 2008

Kappadokien

Ich glaube nicht, daß ich mich detailliert zu dieser spektakulären Landschaft und dem dortigen Sammelsurium untergegangener Kulturen äußern werde.

Daher ersatzweise hier ein hübsches Gedicht vom "Crazy Ali" aus Ortahisar, das den mystischen Tenor der Reise andeutet:

What is it?
In my garden
Camelthorns are growing
growing, growing
Green dragonflies are fluttering
One is coming down
One is rising
They are dividing something
What is it?
Is it the colour of the flowers?
Is it dust on the leaves?
Is it air?
Is it water?

What is it?
Ich denke, der Mann hätte dir, ungeneigter Leser dieses, nicht gefallen.
Ein anderes seiner mündlich vorgetragenen Gedichte ging ungefähr so:

The sheepdog will always guard the sheep.
But you never can tell when it will bite.
The sheepdog´s father was a dog.
The sheepdog´s mother was a dog.
A dog is a dog.

Diese hinterlistige Zerstörung der Gewissheiten, die immerzu ausblenden, was sie zu wissen für überflüssig erklären, hat es mir angetan.
Spuren wird auch der Besuch am Grab des Mevlana (Maulana, der Meister = Dschelalladdin Rumi) in Konya hinterlassen. Hier meine interpretierende Deutung seines berühmtesten Ausspruchs:"Zeige dich wie du bist. Und kannst du das nicht erreichen, dann sei derjenige, als welcher du erscheinst." Das Original ist dürrer: "Sei so, wie du dich gibst, oder gebe dich so, wie du bist."
Mich wirft so was um.
Dieser Zweiteiler, der zunächst mit dem mir verhassten Soll-Spruch einer bruchlosen Identität, also einer anzuratenden Rückkehr zur Instinktsicherheit des Tieres, zu drohen scheint, kippt in der zweiten Hälfte um in das absolute Gegenteil von moralischer Anmache, nimmt also auch im Inhalt die Befehlsform zurück. Gegen diese Form sich offenbarender Liebe habe ich nichts zu erinnern.
Gegen den tätigen Hass derer, die da behaupten, die Kirchen seien voll mit selbstgerechten Heuchlern, werde ich als gitano aber dennoch meinen kultivierten Hass mobilisieren und laut rufen: "Für einen mehr ist allemal noch Platz." Denn nur zwischen allen Stühlen fühle ich mich wohl und leiste mir dreiste Gefolgschaft.

Mein Interesse an der Mystik kommt aus der - alle Geistigkeit einenden - Erfahrung der Entfremdung, die auch eine fundamental konservativ-religiöse Seite hat. Gleichzeitig verweigere ich mich der Zumutung, zwischen Materialismus und Spiritualismus entscheiden zu müssen. Ich halte die "Häsychia" einer erarbeiteten Erkenntnis für ebenso kräftigend, wie die innerliche Ruhe einer uneingeschränkten Zustimmung zu allem, hinter der ja wohl alle Mystik her ist.
Mein Ketzertum in diesen Dingen bezieht sich auf die merkwürdige Konkurrenz der "Stufen" und "Ebenen" und "Siege", die nach der arroganten Abkehr von dem "Bloß" des Wissens in jenen Kreisen einzureissen pflegt.
Daher werde ich auch weiterhin einerseits mit Mevlana aus Konya festhalten:
"Der Fluch Gottes läßt einen Menschen alles falsch sehen,/ Und füllt seine Brust mit Selbstüberschätzung und tiefer Eifersucht."
Nur um sogleich fortzufahren mit dem weltlichen Zweizeiler des gitano:
"Die Unersättlichkeit des Herrn lässt den Knecht alles in greller Klarheit sehen, /Und füllt seine Brust mit gewaltiger Selbstunterschätzung und hochsinnigem Verzicht."
Was schließlich auch eine Wahrheit ist. Die einem aber keine Freunde unter den reifenden und sich läuternden "Gängern des Wegs" verschafft.

Habe mit schmerzlicher Freude den Klang der Ney kennen gelernt, einer unter-/überirdisch tönenden Flöten-Abart. Sie ist DIE Offenbarung des Trennungsschmerzes. Höre die Ney, wie sie weint und entbrennt. Sie erzählt Geschichten der Trennung von dem Ort, der deinem Atem lauscht.
"Wer hat jemals ein Gift und Gegengift gesehen wie die Ney? Wer hat jemals einen tröstenden Freund gesehen wie die Ney?" (Mevlana)
Seit Atatürks Verbot der Sekten und Orden hat die Verehrung Mevlanas offenbar nicht abgenommen. Ich sehe Gläubige an sein Grab gehen und dort heimlich beten. Wenn sie dabei gestisch-körperlich allzu offensichtlich vorgehen, werden sie von den Aufsehern des Museums barsch zurechtgewiesen. Der dort ebenfalls als Reliquie aufbewahrte "Bart des Propheten" sei als Kuriosum am Rande mitnotiert.

Soviel als ein paar kleine "Mitbringsel" von der Ausfahrt.
Vielleicht doch noch die eine oder andere Fußnote zu Kappadokien :

Da waren z.B. die sieben Nächte in einer der in den weichen Tuff gehauenen Wohnhöhlen, nach denen man nicht mehr so recht versteht, warum die Leute jemals aus diesem Mutterleib hervorgekrochen sind: draußen heiß, drinnen temperierte und beständige Grade.

Die Unterirdischen Städte dieser Region sind bis zu acht Stockwerken tief in den Tuff gehauen. Sie dienten und dienen bis auf den heutigen Tag - der klimatischen Verhältnisse wegen - vorwiegend der konservierenden Lebensmittellagerung, aber gleichzeitig auch der problemlosen Entsorgung von feindlichen Eindringlingen. Zu diesem Zweck gibt es zwischen den Stockwerken derartig enge und niedrige Treppengänge, dass jeder räuberisch gesinnte Leib von einem einzigen Speerträger leicht erledigt werden konnte. Die Verschlusssteine der Gänge haben zudem in ihrem Mittelpunkt ein Bohrloch, das ebenso als Spion wie zur Durchlöcherung nicht hier her gehöriger Körper geeignet ist. Von den Hethitern über die Alexanders und andere Christen, Seldschuken und Osmanen hat auf diese Weise eine stetigende Ackerbaukultur letztlich gegen jeden aus- und übergreifenden Imperialismus, wenn schon nicht obsiegt, so doch unaufwendig die Segnungen der Zivilisation durchgehalten. Es genügte ein Wächter auf einem größeren Hügel in der Umgebung und ein Spiegel zur Warnung der Bevölkerung vor andringenden Tschingis Khanen. Diese – zig Städte, die schon der olle Xenophon in seiner „Anabasis“ erwähnt, dürften militärgeschichtlich übrigens der einzige nachweisliche Fall eines tatsächlich nur der Verteidigung dienenden Systems sein.
(Daß das Korn heutzutage nur noch überirdisch an den Börsen termingehandelt wird, scheint mir kein gutes Zeichen für den Stand und Gang der anhaltenden neolithischen Revolution.)

Ansonsten ist Kappadokiens Reichtum an Erosionsformen ein ästhetisches Erlebnis. Man braucht über die Täler gar nicht mit einem Fesselballon zu segeln. Das ist nur was für die Belegschaften von Touristenbussen, die sonst gar nicht mitbekämen, wo sie überhaupt sind. Unsereins fliegt mit den Beinen luftig wandernd über die Phantastik der Formen und ausgefallenen bis bizarren Gestaltungen hin. Wie ebenfalls ein paar Tage später im Taurus (bei Selge im Köprülütal).


Am Wochenende geht es für acht Tage nach Nordspanien (Burgos-Leon) mit dem Vater meiner "Schwiegertochter in spe". Dieser Teil des Pfades des Aberglaubens an den Sant´Jago von Compostela fehlt nämlich noch zur Komplettierung.

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