Reisen -Indien 2

Freitag, 21. Dezember 2007

Indien 2

Do. 18. Okt. Immer noch Shimla
Dieses Shimla hat eine phantastische Lage, nicht nur klimatisch. Im Norden sieht man die Himalayakette und ringsum schroffes Hügelland. In dem bin ich heute rumgewandert.
Auf dem Zugang zum Tempel des Affengotts Hanuman stand mehrfach zu lesen, man solle nur ja auf seine Siebensachen aufpassen. Das galt natürlich mal wieder nicht für mich. Das heißt, ich war mir gar nicht bewusst, dass ich noch die Brille aufhatte.
Und – wutsch! – weg war sie, die Brille!
Ein Rhesusaffe hatte sich die mit der sprichwörtlichen affenartigen Geschwindigkeit gegrapscht und untersuchte sie auf eventuelle Genießbarkeit hin. Daher gab es auch nur eine kurze Verfolgungsjagd. Sie schmeckte ihm nicht.
Ansonsten: am Polizeirevier steht eine Skulptur, die einen Polizisten zeigt, der seine rechte Hand liebevoll väterlich auf dem Kopf eines kleinen Mädchens ruhen lässt, während er mit seiner Linken der Göre eine Ohrfeige verabreicht. Der Titel dieses Kunstwerks von der lehrhaften Sorte: "Duty and Love" also Pflicht und Liebe, und zwar in dieser Reihenfolge. Die ganze abendländische Kultur basiert auf diesem zynischen Unsinn. Dem Zögling wird beizeiten eingebläut, dass Gott zu fürchten und zu lieben sei, und sein irdischer Stellvertreter selbstverständlich dich liebt, wenn er dir eine reinsemmelt. Er tut das bloß für dich, und ihm tut das sogar noch mehr weh als dir...usw.
Shimla ist im übrigen so recht eine Allegorie des Affenfelsens, auf dem so dahingelebt wird. In der neogotischen Kirche am Beginn der Mall sind die ersten beiden Bankreihen links und rechts dem Viceroy reserviert, dahinter hat gleich der Commander in Chief seine Besitz-/Revieranspüche per Metallplättchen markiert. Darunter mag sich tummeln und drängeln, was Lust dazu hat.
Die Glasfenster mit den Allegorien von Glaube, Liebe, Hoffnung, Barmherzigkeit, Stärke, Geduld und Demut sehen allesamt gleich aus, nämlich wie schwindsüchtige höhere Töchter, von einem Präraffaeliten gemalt. Recht betrachtet ist das ja wirklich alles das selbe: Ertragen der freiwilligen Selbstauslöschung im Hinblick auf....

Nachts:
Die bloße Vorstellung einer Einheit genügt, um eine religiöse Modellierung welcher Art auch immer an sich selbst oder an anderen vorzunehmen. Der elementare moralische Gedanke“ Du bist Teil eines unhintergehbaren Ganzen“ lugt aus jeder fadenscheinigen Religion hervor.
Buddhismus: die von poetischem Gestrüpp gereinigte Fassung davon. Hinduismus: die dem Schein nach vielen Götter reduzieren sich als Inkarnationen
-erstens stark, und
-zweitens auf das eine Dharma des einen Brahma.

Fr. 19 Okt. > Dehra Doon > Mussoorie
Auf solchen elend langen Fahrten fällt man irgendwie in Trance. Kann mir sonst die meditative Grundstimmung schlecht erklären. Die Ebene geizt mit landschaftlichen Reizen. Aber die Natur mit ihrem Einfallsreichtum ist ab und zu schon ein Augenöffner. Hier gibt es klosettdeckelgroße Blätter an Bäumen, und 30-50 cm lange, daumenbreite Würste hängen im Baumgeblätter.
Die häufigste Frage, die man in den Bussen und an den Rastplätzen zu hören bekommt, ist: „Which country/land (sic!) do you belong to? Und da sage noch einer, der Nationalismus sei nicht die Religion des modernen Staats. Mutter Indien ist hier das Substrat, dem man (an)gehört. Sie ist das Eine, das du nicht bist, aber von dem du ein Teil bist. Es stimmt also gar nicht, dass hier alles unstrukturiert ist und lauter Unfokussierte herumstolpern. Der Staat hinterlässt eben seine Einschreibungen in jedem Gehirn.

Nachts:
Der Hinduismus kennt kein Glaubensbekenntnis. Das macht ihn sympathisch. Man vergleiche damit die „Auferstehung im Fleische“, also leibhaftig. Na, das wird ein Gedrängel geben, dereinst beim Jüngsten Gericht! Dagegen ist ja der Reinkarnationsgedanke ein Ausbund von Nachvollziehbarkeit.

Sa. 20. Okt Mussoorie
Eine weitere hillstation der Engländer.Immer wieder in der Ferne die Eisriesen des Himalaya. Und all diese Schönheit geht demnächst mit mir dahin. Schlimmer: es steht zu befürchten, dass alle von mir Wertgeschätzten und durch Sympathie Verbundenen mich hier zurücklassen, und dann habe ich keinen mehr, den ich mit meiner Stimme aus dem Irgendwo berücken könnte.
In meinem „Du“, dem anonymisierten Gegenüber habe ich freilich ein treffliches Mittel, diese Abwesenheit vergessen zu machen. So lange ich spreche, bin ich. Und weiter als zu sICH hat es noch keiner gebracht.
Nachts:
Der mir als Verblendungs-Kritiker sympathische Buddhismus, der die Verhaftetheit an die Welt ebenso wenig mag wie ich Flaneur, der gerade die Flüchtigkeit und das ewige Verschwinden alles Vorübergehenden schätzt, wird im nächsten Wort schon abstoßend. Er liest nämlich Verblendung als Gier. Gier sei die Ursache des allgemeinen Ruins? Das klingt mir doch sehr wie die tautologische Allerweltsweisheit: wer nichts braucht, der nichts bedarf.
Also sprach Zaraistian: Sollte das Leben tatsächlich eines Tages sich nicht mehr nach sich selbst sehnen (Lebensfreude, die sich weiterschenkt), dann macht halt der Letzte das Licht aus.

Mo. 22. Okt. Rishikesh
Bin inzwischen in diesem hinduistischen, spirituellen Supermarkt angekommen. Da wo seinerzeit die Beatles sich ein wenig bei ihrem Guru ausgeruht haben. Es liegt sozusagen im Schoße des Himalaya, da wo zwei Flüsse sich vereinigen (immer ein heiliger Ort für die Hindus) und in die nordindische Ebene hinausfließen. Durch den dadurch entstehenden Wind-Kanal weht ein belebendes Lüftchen.
Ganz anders als in dem 24 km südlich davon gelegenen heißen Haridwar, wo ich gestern war. Dies Haridwar ist eins der ganz großen Hindu-Pilgerzentren. Du kannst dir nicht vorstellen, was da los ist. So viele Leute auf einem Haufen habe ich noch nicht einmal in der Pariser Metro gesehen. Und da ist ganz gewiss toll was los.
Auf Stufenanlagen lagern da die Pilger und steigen zu einem Ganzkörperbad in den eisigen Ganges. Weil der da noch ziemlich reißend ist, gibt es Ketten, an denen man sich festhält.
Ich habe ahnungslos meine be-sandalten Füße in der Mutter Ganga gekühlt.Da waren aber die Hindus sehr dagegen. Oder betritt unsereiner etwa die Mutter mit Schuhen? Na bitte.

Morgens ging es von Mussoorie zum 34 km südlich davon gelegenen Dehra Dun in endlosen Kehren abwärts. Der Fahrer fuhr derartig ruppig, dass vorne rechts eine junge Frau den Kopf aus dem Bus hielt, um das irgendwie störende Frühstück loszuwerden. Es dauert nicht lange, dann trennt sich auch die Mutter vor mir von allem überflüssigen Mageninhalt. Und jetzt ist ihr Kleines mit der roten Bommelmütze dran!
-Uuuaaargh!
Hält das Bündel Menschlein beim ersten, eindeutig sich anhörenden Grummeln einfach aus dem Fenster, und fertig.
Und wo ist hier die Pointe?!
Gibt´s nicht. Das Leben hat auch keine.
Für die Praktiker unter uns sei jedoch scheinheilig eine Moral der Geschicht’ angehängt: das Fenster neben dir immer schön geschlossen halten! Sonst zieht es das da vorne Rausgeworfene magisch zu dir wieder rein.
Kleines Scharmützel mit dem Busschaffner. Wir mögen uns von Anfang an nicht. Ich sitze wie gewohnt und häufig gleich neben der Bustür rechts. Ihm passt das nicht und er weist mich mit meinem Gepäck barsch anderswohin. Will 28 Rupien. Ich gebe ihm 100. Und warte auf das Wechselgeld.
Nach 10 Minuten rühre ich mich: "What about my change?"
- „One minute.“
Ich warte 5 Minuten.
- “I' m still waiting for my change.”
- „....’“ .
Als er sich in seine Wolldecke hüllen will (gegen den Luftzug in diesen klapprigen, in verschiedenen Stadien des Verfalls befindlichen Bussen sehr nötig) werde ich laut und erkläre brüllend, dass ich ihm 100 Rupien gegeben habe und nun 72 zurück haben will.
Das erweckt allgemeine Aufmerksamkeit. Denn wenn einer nichts kann und weiß, die englischen Zahlen haben sie alle drauf.

Im nächsten Bus habe ich dann aber verloren. Der war härter als ich.
Indische Verhältnisse!
Das fängt schon morgens in Haridwar gut an. Der Zug soll 6 Uhr 45 los. Ist aber erst 7 Uhr 20 erstmals gesichtet worden. Die -zig Schläfer auf dem Steinfussboden des Bahngebäudes schütteln jetzt langsam aber mit Nachdruck ihre Decken aus. Seither beisst es mich mal hier, mal da. Und ich entdecke mit Entsetzen, dass ich das selbe tue wie der Affe da drüben: mich kratzen.
Überhaupt diese possierlichen Affen. Denen kann man stundenlang zuschauen. Sie sind einfach die Parodie all unserer Verhaltensweisen aus dem äffischen Erbe.
Das zankt sich mit einer Kuh und einem verzweifelten Unglückswurm um den Inhalt seiner geplatzten Tüte gerösteten Reises als wäre gerade mal wieder eine Tarifrunde.
Das besteigt unerlaubterweise eine ihm nicht zustehende Haremsdame, geht aber elegant und eilig flitzen, als das beim Haremsbesitzer übel vermerkt wird. Rauf auf die Peitschenlampe und von da auf halber Höhe – haste nicht gesehen! - auf den Zug. Habe auch einen Affen mit einem blauen Auge (Veilchen!) gesehen.
Und wenn so einer ganz ruhig dasitzt und vor sich hinsinnt, da ist er doch das Urbild von Weisheit und Verständigkeit.
Die Bahnfahrt selber in der "Holzklasse" hat dann 1und eine halbe Stunde gedauert. Habe dabei die meiste Zeit an der offenen Tür gestanden, weil die Sicht auf den Dschungel da draußen umfassender war, und der Latrinengestank vom Fahrtwind praktischerweise verweht wurde.

Nachts:
Die schöne Schrift der Inder hat einen mich - mit seiner tiefen Wahrheit - entzückenden Namen:Devanagari. In seine Bestandteile zerlegt bedeutet das: Stadt der Götter.
Die Sprache der heiligen Bücher ist jeder täglichen praktischen Zwecksetzung so weit entrückt, dass ihre geheimnisvolle Verschriftung nur eine Botschaft aus einem ganz Anderen, dem Jenseits, sein kann.

23. Okt. Rishikesh
In Rishikesh mit seinen vielen Ashrams (Lebens-, Arbeits- und Besinnungsstätte eines Gurus und seiner Gemeinde. Zahlende Besucher willkommen.) laufen die Europäer im gemessenen Wandelschritt, grußlos wie die Kühe aneinander vorbei, mit einem bescheuert selbstzufriedenen Lächeln. Als hätte man ihnen gerade verraten, dass sie eigentlich Königskinder seien, was sie aber keinem verraten dürften. Das müsse ihr Geheimnis bleiben.
Klar, dass die gerade von ihrem Guru (spiritueller Lehrer) kommen, wo man in Meditationskursen für viel Geld lernt, wie man im Sitzen schläft, oder einem Yogakurs, wo man so seltsame Fertigkeiten beigebogen bekommt wie : die Beine hinten auf dem Rücken verschränken, oder sich mit gespreizten Knien nach hinten beugen und unterm Hintern weg dazwischen her nach vorne gucken. Es soll aber noch mehr dahinter stecken.
Andere Tricks, den Leuten Bedürfnisse zu schaffen, die dann eilfertig bedient werden, sind etwa: dir auf die Füße zu treten nachdem die Schuhsohle des Attentäters kräftig im Kuhfladen gerührt hat, um dir dann die Dienste eines Schuhputzers anzudienen.
Erinnert mich diese Technik stark an die Methode eines gewissen amerikanischen Politikers: erst steckt er dir die Hütte über dem Kopf lichterloh an, und schon bist du froh, wenn derselbe sich dir als Feuerwehr präsentiert.
Auf der Laxmanjhula-Brücke , einer schmalen Hängebrücke, fiel mir der vollgefressene Mittelstand mit seinen vorübergehend spindeldürren Töchtern im Anhang auf. Besorgniserregend meine Rapportlosigkeit gegenüber „der Inderin“. Bin ich schon so alt und abgeklärt? Aber diese knochigen Hände, die wie große Spinnen an den zerbrechlichen Ärmchen hängen, sind auch zu hässlich. Beruhigend andererseits, dass ich „den Inder“ öfter mal sehr hübsch finde und lieber mit ihm als mit seiner Schwester mir was anfangen würde.
Komisch auch sonst dieses Indien: keine Socken in den Schuhen, die schieben ihre behäuteten Knochen einfach so in den Schuh, aber ein Handy am Ohr muss sein.

Nachts:
Ziel des Buddhismus: Unverwundbarkeit in der Sphäre, die nun wirklich jeder in der Hand hat, weil dort der sonst überall sich einbrennende Herr nicht hinreicht: das weltlose Innen und seine souveräne Verfügung über sich selbst.
Sein Stil: das Ethos des reinen Denkens, d.h. des von jeglicher Restwelt gereinigten Denkens. Diese absonderliche Leistung der Subjektivität hat von der Stoa bis zum KZ-Insassen noch jeder Knecht zustandegebracht. Das erklärt auch die Hilflosigkeit des Buddhismus in weltlichen Dingen. Übrigens vertut er sich schon wieder gewaltig beim nächsten „Grundübel“, dem des Hasses, der unter anderem so respektable Kunstwerke wie Swifts Satiren hervorgebracht hat. Die kulturell kanalisierte Aggression ist geradezu der Motor abendländischer Geschichte. Auf die notorische Unfähigkeit Indiens, Geschichte überhaupt zu denken, braucht es sich wahrlich nichts einzubilden.

Nachts:
Das allgegenwärtige Bronzesymbol von „Shivas Tanz im Flammenkreis“: endlose Veränderung des immer mit sich selbst Identischen, Selben, in der Zeit. Eine sehr viel poetischere Fassung der bekannten Oma-Weisheit „Das war schon immer so“. Wenn die Leute anfingen, über Das, worüber sie gerade nicht nachzudenken gewillt sind, sondern lieber über Das ein nichtiges All-Urteil abgeben, sich Gedanken machten, wäre die Welt gerettet.

24. Okt. Rishikesh
Ich hatte es nicht darauf angelegt, aber es war irgendwie schon damit zu rechnen, dass ich bei meiner Rumstromerei auch mal in die Elendsviertel gerate. So heute morgen, als ich dem Gangesufer folgend an einen ausgetrockneten Nebenflussarm geriet, in dem Leute Kieselsteine nach der Größe sortierten. Am Uferrand dann die aus Abfall und Müll zusammengeschusterten Quartiere. Ich kann da nur sagen:
Hallo, Freiheitsfreunde der westlichen freien Weltfreiheit! Freiheit ohne irgendwelche Mittel riecht von einem bis zum anderen Ende nach Scheiße. Buchstäblich.
Und da keimt in mir schon eine - ich nenne das mal - gesunde Wut auf bei dem Gedanken an die beschäftigungslosen Akademikerinnen, die, um sich schön vorkommen zu dürfen, Geld sammeln, damit die arme Dritte Welt das Lesen lernt. Na dann wird' s ja wohl werden, wenn jedes dieser armen Schweine dermaleinst seinen Arbeitsvertrag lesen kann und den Lohnzettel, falls er denn jemals eine Arbeit kriegen sollte. Seine Arbeitgeber, falls er so was Kostbares auftreiben kann, können nämlich schon lesen, und seine Pfaffen auch, und die Politiker erst recht.
Die andere mir verhasste Sorte von Wohltäterinnen aus Akademikerkreisen steht auf "Amnesty International" Da soll man Unterschriftenlisten füllen für Petitionen, damit ein abgeräumter politisch Unliebsamer wieder aus dem Gefängnis raus darf. So was bringt' s echt. Der einzige indische Politiker, der so etwas wie ein soziales Anliegen durchzufechten schien, Laloo Prasad Yadav, erwies sich nach der Wahl, also bei seiner tatsächlichen Amtswaltung, noch korrupter als das übrige Politiker-Gesindel.

Eine Wahrheit über mich ist, ich hasse alle Pundits, Brahmanen und ihre neuzeitlichen professionellen Nachfahren. Die haben das sehr schnell herausgefunden. Seither verachten wir uns gegenseitig mit aller gebührenden Hochachtung, wir Heuchler.

Und hier noch ein aufgeschnappter kleiner Dialog, weil der in meine ausufernden “Definitionen und Aphorismen zur Lebens-Unweisheit“ gehört:
Inder zu Amerikanerin: "...and then I went to Las Vegas."
Amerikanerin zu Inder: " Oh, so you have seen God!"
Der angeberische Inder hat den Witz - seinem Gesicht nach zu urteilen - gar nicht verstanden.
Und außerdem ist das - recht bedacht - überhaupt keiner, denn ich lese hier mehrfach an Schulwänden: Work is worship. Arbeit aber gibt es nun mal nur im Namen des Dollars. Und was steht auf dem Dollar? "We trust in God".
Unterschrift, der Bundesbankpräsident.
So spake
Krish Tian, der Unweise

25. Okt Uttarkashi
Als Reisekumpel hatte ich einen jungen Amerikaner aus Oregon. Wir interessierten uns für die selben Bücher und Filme. Außerdem gehörte er zu den 50 % jener Amerikaner, die Bush nicht gewählt haben. Da verging die Zeit wie im Fluge. Habe kaum was von der Landschaft mitbekommen. Dafür die Entdeckung gemacht, dass es keinen amerikanischen Proust gibt, und einen amerikanischen Dostojewski erst recht nicht.
Statt des psychologischen Realismus hervorragende Täterliteratur mit moralischen Problemen.
In aller amerikanischen Genreliteratur gibt es wohl auch trouble, aber dafür hat man schließlich seinetroubleshooter.

26. Okt. Gangotri In Gangotri waren alle Treks gesperrt. Grund: eine Gruppe von den mir allmählich ziemlich verhassten neureichen Russen hat sich ohne Permit und ohne Guide an dem sehr schwierigen KALINDI - Pass verhauen und drei Tote produziert. Von dem losgeschickten Suchtrupp sind auch noch welche vermisst. Da hatte es den Indern gereicht und sie haben bis kommenden April alles gesperrt.
Und der heutige Tag?
Es gab natürlich viel frische Luft und großartigen Gebirgs-Szenerien. Aber der hinter mir im Bus holte sich alle zwei Minuten ein Quantum aus der Lunge und düngte damit den Himalaya, während wir nur zentimetergenau an hauerartigen Felszacken vorbeisausten.
-Chchrrrkt.-Ptui!
Da lernte ich die hässlichere Seite an mir kennen. O Krishna, lass ihn sich den Schädel an den Felszähnen einschlagen!
Das andere Ungemach rührte von einer dicken Wade, die sich mir, dem neben der Bustür Sitzenden, jetzt, und jetzt schon wieder warm aufdrängte. Übrigens benutzten Einsteigende zudem mein Knie ungeniert als Steighilfe.
-Drück. -Drück.
O Krishna, tu jetzt was, sonst setzt es was!
-Chchrrrkt.-Ptui!
-Drück.-Drück.
Hare, Hare, Krishna!
Lass diesen Teil von Indien,
für mich mal kurz verschwindien.
Und siehe da! Der Anschmiegsame fuhr nicht ganz bis Uttarkashi mit. Muss gelegentlich mal über das Verhältnis von Gebet und Zufall nachdenken. Oder auch nicht.
-Chchrrrkt.- Ptui!

Die Triefnase habe ich mir wahrscheinlich auf dem letzten Trek bei einem abendlichen "Aarti"(Hinduistischer Gottesdienst mit Socken auf kaltem Stein) in einem Tempelchen am Dodital geholt. Zwar hat der Mönch mir für himmlischen Beistand ein rotes Bändchen ans rechte Handgelenk gezwirbelt, aber Shivas Schutz hat wohl versagt.

Kann aber auch sein, dass mein Körper es gar nicht mag, wenn die Zwiebeln für mein Omelette auf der Sitzfläche eines Stuhls geschnitzelt wurden. Phantasien angesichts der - durch Sauberkeit nicht gerade hervorstechenden - Hosenböden ringsum verbieten sich: das wird ja alles kräftig erhitzt!
Hatte ab 3000 Höhenmetern wie üblich mit dem inneren Schweinehund zu kämpfen. Habe ihm gesagt, er solle doch gefälligst die Schnauze halten. War schwer beleidigt, denn im Grunde hatte er ja recht. Der Tag scheint mir nicht mehr fern, an dem auch ich ihm recht gebe.
- Du lässt nach, alter Sack.
- Das will ich nicht gehört haben.
- Antiker Sack?
- Schon besser.

Wenn ich nix mehr von den kleinen Hausgenossen schreibe, heißt das nicht, dass die freiwillig die Untermiete aufgegeben hätten. Nach wie vor behause und verköstige ich eine kleine Kolonie von Flöhen, die meinen Körper bewandern auf der Suche nach sicheren und leichteren Bohrstellen.

Heute morgen lagerte eine Kuh quer über der Fahrbahn. Die Kehle von einer Grosskatze aufgerissen und auf die Brust niederblutend. Sie schien geduldig auf Hilfe zu warten. Da kann sie in Indien lange warten. So heilig sie auch sein mag. Hier ist jeder selber mit Überleben vollauf beschäftigt.

Flohbericht: derzeit keine neuen Einstiche.
Vorgestern noch machte sich die agile Truppe an meinem linken Oberschenkel ein Fest, gestern war sie schon an der rechten Kniekehle zugange, und jetzt so gar nix. Entweder die sind an einem Ort zurückgeblieben, wo es ihnen besser gefällt, oder die hängen in einer gemütlichen Kuhle meines Körpers herum und stöhnen über ihre prallen Bäuche.

Auf dem Rückweg aus dem Ganges-Tal noch mal lange Blicke auf den Himalaya. Unten der zum See gestaute Ganges, darüber die steilen Terrassenfelder und noch eins drauf:die Schneeriesen. Das macht was. Und da will ich gar nicht so genau wissen was. Unschädlichen Irrationalismus wie diesen kann man sich ruhig leisten. Es sind einfach die Formen mit einem undefinierbaren, vielmehr nicht definitionsbedürftigen Überschuss, die es einem antun.

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