Reisen -Slowakei

Dienstag, 24. Juli 2007

Slowakei:Tatra und Zips

Freitag, 13. Juli:
Abflug vom Hahn (19:55) nach Bratislava (21:25):

Warum nur muß ich es immer sein, der beim Fliegen neben den dicken Inderinnen zu sitzen kommt, und warum muss immerzu und ausgerechnet in meiner unmittelbaren Nähe eins dieser kleinen, kreischenden Monster seine heftige Abneigung gegen alles ihm Gebotene durch die Phonzahl einer Kreissäge kundtun?

Diesmal war es allerdings bloß eine zeternde Göre.

Dafür haben mich im Hostel drei Spanierinnen daran erinnert, dass das hier unten ein Jammertal ist.
Erstens guckten die mich vorwurfsvoll und strafend an, warum ich überhaupt hier bin und nicht dort, wo ich hingehöre, nämlich zu und bei den Enkelchen, und die am Schaukeln auf den Knien. (Man verzeihe die verkorkste Syntax. Aber die innere Erregung…führt stilistisch zu Anakoluthen) Und zweitens schnarchten die selbdritt - zwar damenhaft dezent - aber doch im Verein - ein gut hörbares Trio bildend - ganze Opern.
Morgens um drei kriegten dann noch zwei britische Spätheimkehrerinnen einfach nicht die Tür von aussen auf. So etwas gibt es also auch.
Und wer muss da wieder den Kavalier spielen, weil sich die Katholikinnen - bis unter die Nase vermummt - irgendwie zu fein dafür waren?

Na, Na?

Genau.

Samstag, 14. Juli: Bahnfahrt nach Poprad (Deutschendorf)

Abfahrt 7:30 Uhr. Als ich nach endlosen zwei Stunden durch das Vahtal (links Puszta, rechts Weingehügele) auf die Uhr schaute, war es gerade mal 8:00 Uhr.
Die Umrüstung der Strecke für die Belange des demnächstigen Schienenverkehrs für Hochgeschwindigkeitszüge erzeugt eben eine Baustelle nach der anderen.

Hinter Schillein hübscht es sich aber gewaltig auf.

Hause diese Woche in einer Ferienwohnung für 400 SK/Tag ( ca. 13,33 €) am ländlichen Stadtrand. Die handgeschöpften Häuser haben vor und hinter sich Fruchtbäume und Gärtlein. Wenn ich nicht schon früh auf krumme Bahnen geraten wäre, hätte ich vermutlich auch mit der Häuserei mich anfreunden können, sinniert der säuselnde Idylliker. So aber war da immer anderes:

Wer die Schönheit angeschaut mit Augen,
Ist dem Tode schon anheimgegeben,
Wird für keinen Dienst auf Erden taugen…

(Platen)
Um nur eins der vielen aufregenden Programme, dem Leben ein durchexerziertes Schnippchen zu schlagen, zu nennen.


Sonntag, 15. Juli:
Eigentlich wollte ich bloß mal so drei bis vier Stunden meine Beine an die Inklination der Berge gewöhnen. Lief zu diesem Zweck zuversichtlich von Strbske Pleso aus hinter einer Art von Völkerwanderung her, die sich zusammensetzte aus wirklich allen Lebensaltern. Die würden ja doch wohl wissen, wo sie hinwollten.

Aber es ist halt nichts mit den ungeprüften Annahmen. Nach zwei Stunden Aufstieg durch eine sich verbreiternde Erosionsrinne kamen mir doch Bedenken, ob das der richtige Plan war. Da stand ich nämlich im abschließenden Talkessel, fühlte mich eingekesselt von zerrissenen Bergsilhouetten wie gigantische schadhafte Unterkiefergebisse und gewahrte ganz links oben am gezähnten Horizont eine bunt gekleidete Ameisenspur im Zickzack einen Überstieg ins nächste Tal anstreben.
Es waren dann halt doch 7 Stunden Rundtour geworden.

Lernte gelegentlich der Rückfahrt mit der Tatrabahn die äußerst ausländerfeindlichen Ticket-Automaten kennen. Drückt man nämlich das Symbol der deutschen Flagge, zahlt man automatisch das Doppelte.

Abends winkte eine Menu -Karte mit der verlockenden Spezialität „gerostete Bullen-Drüse.“
Für heute schien es mir aber dann doch genug mit den kalkulierten Risiken und Experimenten.

Montag, 16. Juni:

Auf der morgendlichen Fahrt zur Tatra ein Ort namens „Pod Lesom“. Das ist sogar mir mit meinen bescheidenen Durchkommer-Kenntnissen des Slawischen als „Unterm Wald“ erkennbar.
Wald? Wo ist denn hier ein Wald? Muß sich wohl um ein historisches Toponym handeln.
Nachfragen ergeben: auf der Höhe zwischen 800 und 1200 m hat ein Sturm im Jahre 2004 Kahlschlag gemacht. Jedenfalls, was die Fichten betrifft.
Die vereinzelt herumstehenden Nadelbäume, die sich auch schon mal zu sehr lockeren Gruppierungen gesellen, sind ausnahmslos Lärchen. Auf dieser ratzekahlen zig-quadratkilometerweiten Bresche eines Windbruchs gedeiht das rosa Waldweidenröschen aufs prächtigste: das ganze Tatra-Dékolleté eine einzige pinke Schmuckkette.

War acht Stunden unterwegs auf der Tatra-Magistrale von Strbske Pleso nach Starý Smokovec. Auch das hatte ich mir ursprünglich anders ausgemalt. Stelle mit gewissem Unbehagen fest, dass das alles früher sehr viel einfacher war.

Dienstag, 17. Juni:
Von dem See unter den Lomnitz-Spitzen auf der Magistrale nach Starý Smokovec. Kein Ruhmesblatt, aber mein Muskelkater (von Panthergröße) diktierte da knurrend Unmissverständliches über allgemein anzuratende Ruhetage.
Das Wetter ist von anhaltend gut warmen 40 Grad, vor allem in den windgeschützten Ecken der Latschenzone. Wegen der kontinentalen Trockenheit des Klimas lässt sich das aber ertragen.

Der Sehnsucht nach Abwesenheit von höherer Bewußtseinstätigkeit tut die Lauferei freilich vollauf Genüge.

Mittwoch, 18. Juni:
Kulturprogramm Leutschau und Zipser Neudorf (Nova Vez) mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Heute und morgen viel farbenfrohe Gotik. Flügelaltäre in filigranem Schnitzwerk. Unaufdringlicher Realismus setzt dieses alte deutsche Siedlungsgebiet ab von den sonst epochal üblichen Stilisierungen.
Halt, auch in Schlesien gibt es diese Sorte Kunstübung zur nämlichen Zeit. Hat die lebenslängliche Not und Plage des Kolonisierers etwas mit der im Realismus aufscheinenden Würde zu tun?
Sonst war und bin ich eher der breitspurigen Ansicht: „Die Vergewisserung im Realismus mag Literatur sein. Aber nur das Gegenteil davon ist Kunst.“
Da sind meine Maßstäbe anscheinend verdorben von der ästhetizistischen Moderne, für die das gelten mag.

Donnerstag, 19. Juni:
Kezmarok (Käsmarkt) mit dem Radl erstrampelt.
Radeln bis der Hintern wehtut.
Immer noch besser als in der Hitze schmoren.

Kezmarok ist einfach schön. Die alten Bürger mögen sich wohl gezofft haben um jedes Brinkel Brot, das diese „friedlichen“ Kaufleute einander nicht gegönnt haben. Nachdem aber jetzt alle Kämpfe und Ränke dahin sind, stehen da die hübschen Häuser am "Rynk" (vom deutschen Wort Ring für den ringförmigen Marktplatz), es bleibt halt die nunmehr fast zweckfreie Schönheit zurück.
Wie bei den Burgen, Schlössern und Ruinen, wo auch keiner mehr an den dahingegangenen Zweck der Stabilisierung von Unterwerfungsverhältnissen denkt.

Der selbstbewusste Zyniker im Reisenden zimmert sich ein markiges Sprücherl über die Funktionalität von Kunst für die Zuhausebleiber:
„Ruhen, Bleiben, keine Kunst. Der
Kunst bedarf´s, das auszuhalten.“

Es gibt da auch eine "Artikularkirche" ganz aus Holz.

-???

Im Zuge der Gegenreformation war den Protestanten per entsprechender Artikulare (auf Latein ist die Schweinerei doch gleich eine ganz andere!) verboten worden, Kirchen aus Stein und Metall zu errichten. Die braven Katholen hofften wohl, dass eine nicht richtig zusammengenagelte Kirche erstens nicht geht, und zweitens: wenn doch, dann bald in sich zusammensinken wird.
Haben nicht mit dem Erfindungsreichtum der Not gerechnet. Nun steht das listig verfugte Gebäude für immerhin 1400 Leute immer noch. Auffällig viel gepinseltes Spruchgut im Verhältnis zu den gemalten Schildereien. Erziehung zum Wortglauben der neuerdings Lesekundigen.

In der Kreuzkirche gab es als Besonderheit zwei Putten zu besichtigen, die keineswegs diese fetten Bäuche der sonstigen barocken Kinder-Engelein aufwiesen. Ich war mir mit der Führerin darin einig, dass die Schlankheit dieser Himmelsboten daher kommt, dass die Tag für Tag über die Tatra einfliegen, um morgens die himmlischen Zeitungen auszutragen.

Samstag, 21. Juni:
Von Starý Smokovec zur Räuberhütte.
5 Stunden Marsch zum Abschiednehmen von blühendem Hochgebirge. Da schiebt sich schon mal quellende Feuchtigkeit unter den Augen hervor, und ich bin richtig froh, kein ernsthafter Atheist zu sein. So einer hat ein echtes Problem, weil er gar nicht recht weiß, bei wem er sich denn nun bedanken soll, wenn ihm das Herz übergeht.

Aus gegebenem Anlaß noch zwei nützliche Hinweise:

1) If you´re going to San Slowakia, be sure to wear some toilet-paper in your hand.
Denn nicht überall sitzt eine Toilettenfrau, die euch eine sehr abgezählte Anzahl von leicht zerbröselndem Blatt-Grau in die Hand drückt, um damit die Spuren eures „Opfers an die dunklen Götter“ zu beseitigen.

2) Bevor ihr jetzt erschauert, o ihr Freunde des ernsteren Wortes, bedenket wie leicht es doch ist, aus ausnahmslos jedem Scheiß eine mythische Ebene zu erzwirbeln! Beweiskräftig genug scheint mir der obige Finalsatz unter 1.

Sonntag, 22. Juni::
Sechsstündige Rückfahrt nach Bratislava und Flug zum Hahn.

Als der Reisende rheinlandpfälzischen Boden betritt, springt ihm ein Plakat ins Gesicht, das die 60 Jahre bloßen Bestehens dieses Bundeslands zu feiern bestrebt ist mit folgendem Emblem.

-Pictura (Bild): Vor dem Hintergrund der Hambacher Burgruine einmontiertes Foto einer fanatisierten Masse junger Menschen. Schwarz-rot –gold flattert es über die Raver hin.

-Inscriptio (Titelzeile): „Kaum machen wir eine Party,
wird gleich Demokratie daraus.“

-Die Subscriptio (Eindeutigkeit sichernder Text darunter) legt Wert auf die Unmissverständlichkeit der Botschaft. Da ist die Rede von 1832 und „Deutschlands Wiedergeburt“.

Eine scharfe Pein im Arsch mahnt den Reisenden, doch lieber umzukehren und einen weiteren Flug nach Irgendwo zu buchen.

Gänzlich unverständlich?

Schon in der Schule schmerzte die verlogene Lehrbuchweisheit über das „zerrissene“ Deutschland. Das habe im Vormärz, also zwischen 1832 und 1848 … usw.
Wenn was zerrissen wurde, muß es ja wohl erst mal heile gewesen sein.
Da war aber gar kein integres Dings, das ein ehemals heiles Bums gewesen wäre. Da gab es nur den Dreck unter den Füßen, dessen Bearbeitung Früchte in die Kammern der ca. 132 Territorialherren karrte. Von Deutschland weit und breit auf weiter Flur keine Spur.

Und jetzt sogar verschärft: Wiedergeburt!?

Ganz abgesehen davon, dass da schon eine gezielte Verwechslung vorliegen muß, wenn die – jetzt mal ehrlich - von absoluter Beliebigkeit gekennzeichnete Freizeitgestaltung als der eigentliche ideelle Kern eines Gewaltverhältnisses hingestellt wird.

Weil ich auch mal wieder lachen will:

Na schön, dann gibt’s halt neben den drei existierenden noch eine jocose Gewalt als den eigentlichen Ursprung der bekannten drei demokratischen Streicheleinheiten.

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