100 schwarze Meisterwerke

Sonntag, 4. Januar 2009

Schwarzromantische Anti -Thetik als Kunstform.


Giovanni Papini: (Firenze 1881-1956).

Statt einer längeren Beschreibung der Statur dieses unruhigen Geistes, der es unter anderem geschafft hat, zum Katholizismus und zum Faschismus zu konvertieren, wie so mancher geistigen Halt suchende Freibeuter und Vagabund vor und nach ihm, hier ein paar charakteristische Kostproben:

Das Weltall zerfällt in zwei Teile - ich und der Rest." – (Giovanni Papini, Ein erledigter/fertiger Mensch)
· Aphorismus: eine Wahrheit in wenigen Worten – aber so formuliert, dass sie die Lüge auf überraschende Weise übertrifft.
·
· Da sind die, welche nichts sagen, dies aber gut – es gibt andere, die viel reden, dies aber schlecht. Die schlimmsten sind jene, die nichts sagen und auch das noch schlecht.
·
· Die Bescheidenheit ist die banalste/ geistloseste Erscheinungsform des Stolzes.

Anhand von einfachen und klugen Gedankenexperimenten führt Papini den Menschen in seiner Leichtgläubigkeit vor und stellt scheinbare Wahrheiten vom normierten Kopf auf enorme Füße.
In den Erzählungen (Der Spiegel auf der Flucht (Spiegelfluchten)) trifft der Ich-Erzähler beispielsweise auf sein Ich von vor 7 Jahren, das ihm nach genauerer Betrachtung lächerlich und überheblich erscheint. Soviel zur Identität, die dieser schwarzromantische Proteus als Zwangsveranstaltung durchschaut.
Da sucht ein Autor nach einer spannenden Lebensgeschichte und findet das langweiligste und vorhersehbarste Leben überhaupt. Soviel zur Kritik des Alltagslebens.
Oder der Ich-Erzähler belehrt den Optimisten, dass die Menschen nicht im Jetzt, sondern allein für die Zukunft und demnach überhaupt nie wirklich leben:
»Menschen, wir verlieren das Leben für den Tod, wir verbrauchen die Realität für das Imaginäre, wir bewerten die Tage, weil sie uns zu Tagen führen, die keinen anderen Sinn haben, als uns zu anderen, ihnen ähnlichen Tagen zu bringen ... Menschen, unser ganzes Leben ist ein entsetzlicher Betrug, den ihr selbst zu eurem eigenen Schaden begeht, und nur die Dämonen können kalt lachen über euer eilfertiges Streben nach dem Spiegel, der flieht.«

In seinem „Schwarzen Buch“ findet man folgende Stellung zur Weisheit.
Il grande savio ha chiuso un momento gli occhi, s'è passato la destra a mò di pettine sui capelli della fronte, eppoi, riaprendo gli occhi e fissandomi, ha esclamato:
— No, neppur io son felice. Sappiate che la vera saviezza non ha relazioni con la felicità bensí con la morte»
.( Papini, Il libro nero)

Ein Meisterwerk der Geschichte eines intellektuellen Werdegangs ist Papinis „Ein erledigter Mensch“. Gott sei Dank, keine Autobiographie, sondern die Nachzeichnung der Gleichgewichtsartistik eines Geistes, der auf sich als ein Versprechen reinfällt.

Seine lehrreiche und beispielhafte Unreife ist die der Kultur, auf die er vertraut. Eben das "geistige Tierreich"(Hegel), die buntscheckige Jacke der Bildungssphäre.

Homo? Humus
Fama? Fumus
Finis? Cinis.

Freitag, 2. Januar 2009

Die Schwarzen Pferde des Kohlhaas


Heinrich von Kleists „Michael Kohlhaas“

ist eine der spannendsten, bewegendsten und verstörendsten Geschichten der deutschen Literatur. Und sie ist moderner, als die meisten sich gern tragisch gebenden Literaturen und Bühnenwerke.
Michael Kohlhaas, ein Rosshändler aus dem Brandenburgischen widerfährt Unrecht. Zunächst einmal nichtstaatliches Unrecht, resultierend aus privater Willkür.
Als er sich an die Obrigkeit wendet, um sein Recht einzufordern, wird offenbar, dass staatliches Recht inzwischen staatlich gewordene private Willkür ist. Nicht nur, dass ihm das gesetzlich verbriefte Recht vorenthalten wird, nein, er wird als Querulant und Unruhestifter abgestempelt und in seine Schranken verwiesen.
Diese Schranken sind abgesteckt durch die zynische Arroganz der Macht. Vetternwirtschaft und Verantwortungslosigkeit. Selbstgefälligkeit und geistig-moralische Verwahrlosung sind an die Stelle der Appellinstanz Recht getreten.
Betrachtet man diese Geschichte vor dem Hintergrund der Gewaltgeschichte, so wird man schnell feststellen, dass diese Vorgänge ganz normal und gesetzmäßig sind. Am Ende stand in der Regel eine Revolution oder zumindest eine (Staats-) Reform. Kohlhaas war, und ist als quasi-naturgesetzliche Konstante in jeder historischen Gesellschaftssituation auffindbar, ein Handelnder, der das moralische Recht auf seiner Seite und das staatliche Recht gegen sich hat, einer der auf Veränderung veränderungswürdiger Zustände sann.

Die Antwort des Juristen Goethe auf das moralische Dilemma ist bekannt:

Es ist besser es geschehe dir Unrecht, als die Welt sei ohne Gesetz. Deshalb füge sich jeder dem Gesetz.“ (Das ist eine hemdsärmelige Maxime, also noch nicht einmal eine Reflexion, geschweige denn ein Aphorismus.)

Auch Friedrich der Große hätte das unterschrieben. Eben die Klassiker halt.

Meine Vorliebe für schwarze Gedanken verführt mich keineswegs dazu, die älteste Gedankenfigur des abendländischen Staatsdenkens mitzumachen: summum jus, summa injuria.. Und das noch bequemere von den Extremen, die s´etouchent. Oder dass die Quantität in neue Qualität übergehe, auch im Falle es umgekehrt gebrüllt wird: Fiat justitia et pereat mundus.. Und dass überhaupt alles so schwierig und unüberschaubar sei.

Ein paar Sätze im Klartext:
Kohlhaas ist ein „Don Quijote rigoroser bürgerlicher Moralität.“ (Ernst Bloch) Man braucht sich die Problemfracht nicht aufhalsen zu lassen. Die Windmühlen der staatlichen Gewalt arbeiten sehr gut. Und das ist schon ein Problem, an dem man scheitern kann.

Dem Kohlhaas wurden die Pferde geklaut! Da spielt es keine Rolle, von wem der Schaden ihm zugefügt wurde. Und außerdem, liebe Gesetzesfreunde: Die Mafia hat auch ihr Gesetz und ihre Rechte. Und bei gleichem Recht entscheidet allemal die Gewalt.
Es gehört zum Mechanismus der Herrschaft, die Erkenntnis des Leidens, das sie produziert, zu verbieten, und ein grader Weg führt vom Evangelium der Lebensfreude zur Errichtung von Menschenschlachthäusern so weit hinten in Polen, dass jeder der eigenen Volksgenossen sich einreden kann, er höre die Schmerzesschreie nicht."(Adorno, Minima Moralia, S.75)

Heute sind die Menschenschlachthäuser globalisiert.
„Kohlhiesels Töchter“ verbreiten in den Werbeblöcken Lebensfreude.
Und Kohlhaas ist ein Terrorist.

Samstag, 13. Dezember 2008

Messianismus in brillanter Schwärze:

Gore Vidals: Messias (1954)
In Kalifornien, der Heimstätte moderner Kulte, tritt in den fünfziger Jahren ein ehemaliger Leichenbestatter als obskurer Prediger auf, der eine gänzlich unamerikanische Religion predigt, dass nämlich der Tod nichts ist, vor dem man sich zu fürchten hab.: "Der Tod ist weder entsetzlich noch böse. Nur Sterben tut weh.“ John Cave (siehe die Initialen!) lehrt, dass „die Lebenden die Leidenden seien, von denen auf Zeit das schöne Dunkel des Nichtseins genommen worden sei.“
Was wäre, wenn eine solche alt-neue Verheißung im Medienzeitalter in die Hände derer geriete, die alles als Ware behandeln, die man verkaufen muss – „denn das ist alles, was wir haben.“?
Mit Hilfe von Eugene Luther (sic!) und dem Werbefachmann Paul (Paulus?!) Himmell lässt J. C., der ehemalige Einbalsamierer eines Bestattungsunternehmens, eine kirchliche Organisation aufziehen, die über die Medien das 'Wort Caves' verbreitet.
Mit keinem anderen Argument als: „Es funktioniert.“
Wofür die letzten beiden Offenbarungsreligionen Jahrhunderte und – tausende gebraucht haben, das schafft die disziplinierte Crew mitsamt den dazugehörigen Schismen und Konzilen und Umkehrung der ursprünglichen Botschaft per Kommentar und Auslegung durch die neuen Kirchenväter in einer Handvoll Jahren. Am Ende steht nicht die dem Leben ganz neuen Wert verleihende ursprüngliche Botschaft, sondern der erfolgreiche Verkauf von Todessehnsucht und die Organisation ihrer profitablen Verwertung. Das ehemalige Martyrium wird zum gewöhnlichen Life - style -accessoire.
Wie die Parallelisierung in den Initialen ihrer Agenten schon nahelegt, hat man es hier mit einer satirischen Persiflage aller Religionen zu tun, einschließlich des Mythos von Isis und Osiris, wenn man liest, dass eine weitere Protagonistin, Iris Mortimer, eine gesamtnationale Pilgerwallfahrt wiederaufleben lässt, die Caves über drei verschiedene Staaten verstreute Asche, einsammelt.
Die Psychoanalyse und “New-Age-Religionen” geraten ebenfalls unter den satirischen Beschuss des bekennenden Atheisten Gore Vidal. Die Hauptstossrichtung geht aber eindeutig gegen das in Amerika gebräuchliche Christentum, das so Charaktere wie Billy Graham und andere TV - Evangelisten hervorbringt, die trotz ihrer charismatischen und hypnotischen Ausstrahlung auf grauslige Weise medioker, bis vollkommen verblödet sind. Dem Erzähler selbst kommt schon früh „der Verdacht, dass sein gelassener Ausdruck ein nahezu vollständiges Vakuum an Intellektualität verbarg.“
Am Ende stolpert die neue Religion über die ihr innewohnende Ambivalenz, was jedoch dem gloriosen Laufen der Geschäfte keinen wesentlichen Eintrag tut. Denn der Sieg über die bisherigen symbolischen Universen in enttäuschend banalen Ritualen und Terminologien repräsentiert letztendlich die bloße Wucht des Mittelmaßes als medial erstellter totalitärer Transzendenz von skrupellosen Manipulatoren.
Dystopien, also Anti-Utopien, solch hoch angesiedelten Niveaus sind eher selten und erfrischend un-amerikanisch in ihren Zynismen.
Warnung:
1) die Anti-Utopie ist eine Textsorte, die man nicht wie einen Roman lesen darf.
Wer wegen des Plots und seiner interagierenden runden Charaktere zu lesen pflegt, wird sich über die hemdsärmelige Missachtung aller ihm bekannten Spielregeln des illudierenden Erzählens ärgern. Dystopien muss man der Welt – nicht der Charaktere - wegen lieben, die sie entwerfen. Der Spass daran ist der permanente Seitenblick auf die Transposition von Bekanntem, das der Erzähler/Autor augenzwinkernd und irritierend kommentiert.
2) Ja, der ehemalige Apostel, ghost-writer des neuen Kultes und ältliche Insider-Erzähler trägt die zwei sonst unterdrückten Vornamen Gore Vidals: Eugene Luther. Wegen des schamlos autobiographischen Anteils an diesem Text rät sich eine eher kursorische Lektüre solcher Partien an.

Nachtrag aus aktuellem Anlass:
Roger Kusch. Schon in seiner Zeit als Hamburger Justizsenator war er ein Hardliner, der aneckte und in die Schlagzeilen geriet. 2006 wurde er gefeuert.
Knapp drei Jahre nach dem Rausschmiss ist aus dem Politiker ein Sterbehelfer geworden - der bekannteste Sterbehelfer der Nation. Fünf Menschen hat Roger Kusch bislang zum Suizid begleitet. Fünf Menschen, denen er erfolgreich einreden ließ, für sie mache das Leben keinen Sinn mehr. Kusch betrachtet Sterbebegleitung, in dessen letztem Stadium er sich gefühlvoll entfernt, als Dienstleistung. Eine Dienstleistung, die er sich mit 8000 Euro bezahlen lässt. Das Prozedere ist immer gleich: Mit Hilfe seines gemeinnützigen Vereins informiert er die Menschen und rührt die Werbetrommel. Als Privatmann kassiert er ab.
Es funktioniert.

Dienstag, 18. November 2008

Autobiographie einer schwarzen Seele.


Paul de Gondi, Cardinal de Retz: Memoiren als ungenierte Rache an den erfolgreicheren Widersachern

Das bisschen Anteil, das ich an den Dingen hatte, von denen die Rede ist, könnte mir vielleicht erlauben, hier mein eigenes Porträt anzufügen; abgesehen davon aber, dass man sich niemals zur Genüge kennt, um ein vernünftiges Bild von sich zu entwerfen, will ich Ihnen gestehen, dass ich eine allzu tiefe Befriedigung darin finde, Ihnen allein und rückhaltlos das Urteil über alles zu überlassen, das mich betreffen mag ;so könnte ich mich nicht dazu verstehen, mir auch nur im Innersten meines Herzens vorab auch nur die Andeutung einer Vorstellung davon zu machen....
( Kardinal Retz: Memoiren)
Etwas Klügeres wird über den wesentlichen Grundsachverhalt im autobiographischen Schreiben nie geschrieben werden können.
Das wird die müßiggängerische Scheißhausparole des sentimentalen „Erkenne dich selbst“ von Leuten, die das Sündenbewusstsein beutelt, nicht aus der Welt schaffen, aber doch vielleicht das Bewusstsein dafür schärfen, dass ein jeder solcher Versuch im dialogischen Raum nichts als die Schöpfung eines „ineffabile“ ist, welche ihre Interpretation durch einen Anderen schon in seine eigene Deutung vorwegnehmend mit einbezieht, ohne sie jedoch festlegen zu können.
Außerdem lernt man aus den Aufzeichnungen dieses Meisterintriganten der Fronde viel über voraussetzungsloses Urteilen: „So entschloß ich mich nach sechs Tagen Überlegung, das Böse mit Absicht zu tun, was sicherlich das größte Verbrechen vor Gott ist, aber vor den Menschen zweifellos das Klügste, was man tun kann."
Ein Mensch, der seine Prinzipien immer nur dann aufgibt, wenn es dem eigenen Vorteil diente, muss uns interessieren. Sein Kampf an der Seite des Adels sieht ihn so lange auf der Seite des „peuple“, bis er es sich für ein Zweckbündnis gefügig gemacht hat, dann wird es ihm zur „populace“. Für die notorischen Volksfreunde der Sozialisten sei hier daran erinnert, dass auch die bürgerliche Revolution nur deswegen bürgerlich heißt, weil nach der Erreichung ihrer Ziele die Bürger sehr schnell das Zweckbündnis mit den hungernden, verlausten, dreckigen Massen vergaßen. Dankbarkeit ist keine politische Kategorie.
Und Verrat mag eine moralische Kategorie sei. Zur politischen wird sie, wenn eine Macht dein Versagen an deinem Leibe abstrafen kann.
Kardinal von Retz hat — obwohl Prälat — nicht nur kein Hehl daraus gemacht, dass er bewusst ein völlig unchristliches, ja moralfreies Leben geführt hat, er sprach zudem selbst in vorgerückten Jahren, als er in der äußeren Lebensführung die Konzessionen des Alters an kirchliche Konventionen machte, ohne jede Bußfertigkeit über die Jahrzehnte seiner erotisch-galanten Abenteuer und seiner zweckbewussten - manche sagen zynischen -Heuchelei.
Retz, zweitgeborener Sohn eines Herzogs, als Knäblein von 10 Jahren bereits tonsuriert, wurde in sechs Sprachen gedrillt und ungefragt zum Kardinal-Erzbischof von Paris gemacht, weil diese Bürde in seiner Familie erblich war. Sein liederliches Leben war wohl zum Teil Auflehnung gegen diese ihm aufgeherrschte Karriere und Trotz gegen die ihm aufgenötigte Verpflichtung zum heilig - mäßigen Einherwandeln.
Er wurde einer der mächtigsten Männer der „Fronde" gegen den Kardinal Mazarin und die Regentin Anna von Österreich, die Mutter Ludwigs XIV. Doch er, die „unkirchlichste Seele, die es gibt" ( er über sich selbst ), war auch Frondeur gegen den christlichen Grundgedanken der erlösungsbedürftigen Erbsünde.
Und diese sehr viel radikalere Frontstellung gab er auch dann nicht auf, als er, nach langem Kampf und noch längerer Verbannung unterlegen, seinen Frieden mit dem jungen König und mit den geltenden Normen priesterlichen Lebens gemacht hatte. Zwar setzte er dann seine Umgebung durch ein Leben der Entsagung in Erstaunen. Aber nichts konnte ihn bewegen, sein bewusst gewähltes Leben von einst zu verwerfen, geschweige denn es zu verleugnen und vor der Nachwelt zu verbergen.
Reue: du urteilst dich am Maßstab deines Gegners ab für etwas, das ohnehin nicht mehr im Verfügungsbereich deines Willens liegt, ist also nur noch das Krümmen des Rückens vor dem Situationsmächtigen.
Deswegen fehlen auch ca. 250 herausgerissene Seiten seiner Sicht der Dinge, die ohnehin erst 1717 erscheinen durfte.
Bemerkenswert:
Retz ist kein genießerischer Selbstbezichtiger wie Rousseau, der in der Selbsterniedrigung schon immer nach der kalkulierten Reaktion darauf schielt.
Der ganze Komplex einer angebotenen traditionsgeleiteten Identität ist ihm einfach gleichgültig. Auch die sonstigen Grundfiguren der Autobiographie (Rechtfertigungsstrategien und Absolutionen) fehlen hier.
Solche Denkform seiner Denkwürdigkeiten sieht sehr nach antik- heroischem Zuschnitt aus. Und der war ja soeben auf den zivilisatorischen Prozess seiner Abschaffung geschickt worden. Wenn in dieser historischen Stunde jeder zum eigenen Nutzen sich jedes anderen bedienen will, muss er ab sofort sich des Wohlwollens der Zentralgewalt versichern. Dazu braucht es keinen Sieg der subjektiven Vernunft über Ihresgleichen. Das ist der Tod der Intrige. Incipit: die „strukturelle Gewalt“.

Darin gleicht er uns, aber ihm fällt – wie Goethe, der wusste: „Der Handelnde hat kein Gewissen.“ - daran nichts Besonderes auf.
So charakterisiert er einen Mann des Rechtes folgendermaßen: Es „fehlte viel daran, dass sein Verstand seinem Mut gleichgekommen wäre. ...ich habe beobachtet, dass er jedes Mal Handlungen nach Leuten und fast nie Leute nach ihren Handlungen beurteilte. Da er im Formelkram des Justizpalastes groß geworden war, kam ihm alles Außergewöhnliche verdächtig vor. Gefährlicheres kann es eigentlich gar nicht geben unter Männern, die in Staatsgeschäften miteinander zu tun haben, wo die gewöhnlichen Regeln ihren Sinn verlieren.“
Das Porträt Richelieus enthält eine gute Portion Selbstcharakteristik: „Sein Wort war er gewohnt zu halten, solange nicht ein überwiegendes Interesse ihn zum Gegenteil vermochte; und auch dann unterließ er nichts, den Schein von Treu und Glauben zu wahren....Für diese Welt besaß er Religion genug...Zum Guten entschloss er sich aus Neigung oder aus Überlegung, solange sein Vorteil ihn nicht zum Bösen trieb, über das er, wenn er es tat, sich keiner Täuschung hingab.“
Wer will, kann natürlich in diesem hohen Vorbild auch die studierenswerten Konturen eines an der Antike geschulten, konsequenten Humanismus´ wiederbelebt sehen, auf den sich alle Ordnungsstifter aller westlichen Zeiten zu berufen pflegen.

Potentieller Leserkreis:
Sehr eingeschränkt. Vorsicht! Ganz ohne Ironie:Dieses Buch ist nur etwas für historisch interessierte Leser, die verlorenen Schlachten etwas abgewinnen können. Der brillante und pointierte Stil eines kühlen Geistes macht keinesfalls die Öde der Grabenkämpfe wett.

Montag, 10. November 2008

España negra

Camilo Jose Celas Ideologiekritik per Abstinenz in "Der Bienenkorb"
Was ist an dieser romanlangen langweiligen Bebilderung der spanischen Nachbürgerkriegszeit eigentlich so spannend?
Wenn man ihn durchstehen will, muss man Gefallen finden an ihrer Verweigerung gegenüber der nicht nur seinerzeit grassierenden politischen Heilslehre.
Wie jede bekannte Herrschaftsform versuchte auch das Franco-Regime sich zu seiner Legitimierung als die Verwirklichung der besten aller möglichen Regierungs- und Gesellschaftsformen darzustellen. Das Bild, das der Roman ohne jedes politisch engagierte Pathos bietet, entspricht jedoch in keiner Weise dem offiziellen Selbstbild des Regimes.
Der „Bienenkorb“ schildert als erster spanischer Stadtroman ein Madrid , das beherrscht ist von materiellem und menschlichem Elend, und staatlicher Repression.
Man muss zweitens Gefallen daran finden, dass auch die Herren und Damen Untertanen keineswegs idealisiert und glorifiziert werden, wie dies sonst in der oppositionellen »novela social«, dem sozialkritischen Roman, geschieht. Hunger, der Trieb, sich fortzupflanzen und sich, so weit es geht, zu amüsieren, bestimmt jenes Heer von weit über 300 Gestalten, die in diesem Roman vom Autor in kalt behaviouristischer Draufsicht beschrieben werden.
Der vom Regime und seinen Mandarinen so oft beschworene Geist einer neuen Solidarität und der christlichen Nächstenliebe fehlt ihnen völlig. Dem Protagonisten, dem jungen Hunger leidenden Intellektuellen Martín Marco, geht alles falangistisch Heroische und imperial Markige ab. Er muss froh sein, wenn er sich vor der Polizei ins Zimmer einer mitleidigen Prostituierten retten kann, die ausgerechnet »Pura«, heißt.
Bloße Ironie oder bewusste Infragestellung des öffentlich geschürten Selbstverständnisses ?
Die Zensur gewahrte jedenfalls in dem Roman, »offenkundige Unmoral«, Pornographie und Unehrerbietigkeit der Religion gegenüber, und eine Unterminierung der Werte des »ewigen Spaniens«, weswegen er in Spanien auch erst in den 50er Jahren publiziert werden durfte.
Dona Rosas Café ist der zentrale Ort des Aufrisses einer Dramen - Personage, die so gut wie nichts miteinander zu schaffen kriegt, also für beziehungslos aufeinander Bezogene steht.
Die Betreiberin des Etablissements „lächelt den Gästen mit ihren schmutzigen, schwärzlichen Zähnen zu. Im Grunde hasst sie ihre Kundschaft.“
Nichts hindert den Leser an diesen Stellen auf eine parabolische Lesart überzugehen. Und die Verschleierungstaktiken der Alltagsgespräche könnten durchaus gleichnishaft für die Sprachregelungen unterm Diktat einer Staatsideologie stehen.
Für eine subversive Lesart spricht auch, dass der Autor Zeit seines Lebens durch zahlreiche Skandale, spektakuläre Provokationen sowie polemische Ausfälle gegen bekannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Institutionen und tradierte Werte viel Aufmerksamkeit erregt hat.

Der stilistische Gestus eines brutalen Realismus, die drastische Sprache und das Experimentelle des Umgangstons sind als so spezifisch empfunden worden, dass diesem naturalistischen Verismus ein eigener Terminus zugeteilt wurde: Tremendismo.

1989 hat Cela den Nobelpreis verliehen bekommen.
Diese Schande hat er aber doch nicht verdient.
So langweilig er ist, so schlecht ist sein Roman nun wirklich nicht.

Sonntag, 9. November 2008

Schwarze Politikermaximen

so schwarz, wie nur ein Weißer über den white trash, also über Seinesgleichen, befinden kann.

- In die Schranken verwiesen wird nur der, der nicht weiß, dass und wie man ungestraft seine Kompetenzen überschreiten kann. (Bush)

- Der wahre Heldenmut besteht darin, über das Elend des Lebens der ANDEREN erhaben zu sein. (Napoleon)

- Hammer oder Amboss, Fraß oder Fresser musst du sein . (Hitler)

- "Alles, was in der Schöpfung ohne mein Wissen existiert, existiert ohne mein Einverständnis. Die Erde ist meine Domäne. Und doch gibt es überall noch Schlupfwinkel voll autonomem, ungebundenen Leben. Damit ich es mir untertan machen kann, darf nichts ohne meine direkte Einflussnahme geschehen."(Richter Holden in Cormac McCarthys „Blood Meridian)

Damit nicht immer ich die scheelen Blicke abkriege, hier ein paar charakterisierende Sätze zu diesem überaus fruchtbaren Genre von Martin Compart, dem Experten in Sachen ”Roman noir”:

"In "Blood Meridian" gelingt McCarthy für die Indianerkämpfe das, was Daniel Woodrell in "The Woe To Live On" für den Bürgerkrieg getan hat: die Zertrümmerung aller zuckersüßen mythischen Verklärungen. Mit einem Buch löscht der Autor Jahrzehnte von Hollywoods Western-Sozialisation beim Leser aus. Die Szene, in der bekloppte Freischärler von Komantschen niedergemacht werden, die gestohlene Rinder und Pferde als Deckung vor sich hertreiben, vernichtet jede Indianerattacke von John Ford oder sogar Sam Peckinpah (dem einzigen Hollywood-Regisseur, der McCarthy gerecht worden wäre).
"Gott hat die Welt erschaffen, aber nich so, daß alle sich drin zurechtfinden, stimmts?" sagt ein alter Mann. In diesem blutrünstigen Kosmos hätte sich auch John Wayne nicht zurechtgefunden.
Hat man sich erst mal auf die hypnotische Sprache eingelassen, dann wird das verdammte Buch zum Pageturner, und man kann es nicht mehr aus der Hand legen. Und am Ende weiß man zumindest eines: Es gibt keinen amerikanischen Traum, es hat ihn nie gegeben. Und wenn es doch einen gab oder gibt, dann heißt er: Gier und Blutdurst. Langsam begreift man, dass die USA von Gesindel begründet wurde, das man aus Europa rausgeworfen hat."

Unterschreiben würde ich die Weltanschauung dieser Kleinmeister einer ganzen Richtung nur im Zustand fortgeschrittener Trunkenheit. Dieses Genre des "country and history noir" lässt nämlich Joseph Conrads Herz der Finsternis wie einen Kindergeburtstag bei den Schlümpfen erscheinen.

Aber welch ein Lese-Erlebnis!
Wir haben es immer gewußt: die Sauerei, daß Stil der Wahrheit überlegen ist, ist die blutige Wahrheit.

Samstag, 8. November 2008

Im schwarzen Herzen

der Finsternis der Zivilisation: Evelyn Waughs „Eine Handvoll Staub“
Motto des Romans:
"And I will show you something different from either
Your shadow at morning striding behind you
Or your shadow at evening rising to meet you;
I will show you fear in a handful of dust.

T. S. Eliot: „The Waste Land“

Im Unterschied zu Joseph Conrads Abgrundspoesie in der Novelle „Heart of Darkness“, die an denunziatorischer Desillusionierung über die Kulturtauglichkeit „des Menschen“ nichts zu wünschen übrig lässt, bekommt das Grauen in diesem Roman stärker sozial konturierte Züge: wenn man lange genau genug hinschaut, wird der erzählte Kasus eines arglosen „socialite“ der fashionablen Welt zum Exemplum einer ganzen Klasse.

Hier des ewigen Bourgeois, der – enttäuscht von seiner rituellen Teilhabe an der Verlässlichkeit des Schicklichen – vor einer ruinös gegen ihn in Stellung gebrachten Scheidung flüchtet, und sich mehr per Zufall auf die Quest nach „der leuchtenden Stadt“ begibt.
Eine hinterhältig witzige Modernisierung des Gralsstoffes, die vom Mythos wie von seinem gesellschaftlichen Substrat nicht viel mehr als die Reminiszenz an dahingegangene Verbindlichkeiten übrig lässt.
Nach einem langen Abstieg aus den Kalmenzonen eines beschaulichen Landjunkerdaseins über die Delirien einer schmerzhaften Orientierungslosigkeit in die Rapportlosigkeit des Wohlerzogenen in einer darauf pfeifenden Umwelt landet der sympathische tumbe Tor irgendwo im Amazonasdschungel und kriecht in der Asche seiner Illusionen.
Gegen ein heimliches Davonlaufen ist die Waffe seines Sklavenhalters, eines mestizischen Analphabeten, auf ihn angelegt.
Und so wird er in diesem bizarren Kontrastarrangement auch morgen wieder auf Wunsch seines hochgerüsteten Herrn den sentimentalen Sozialromantiker Dickens vorlesend zu Gehör bringen.
Übrigens glaubt der Vorleser an Dickens genau so, wie der Pfaffe seines englischen Heimatortes an seine deplazierten Predigten, die er schon vor Jahrzehnten in den fernen indischen Kolonien aufgeschrieben hat, und die sich auf Gegebenheiten, ungefähr 10 000 Meilen weiter weg, beziehen . Seine Zuhörerschaft hat wohl nie erwartet, dass Predigten irgendetwas mit ihrem Leben zu tun haben könnten, und so macht ihr das nicht wirklich was aus.
Damit sind wir beim Begriff dieses faszinierenden Erbrochenen eines nichtswürdigen Renegaten seiner eigenen Klasse: die absolute Beziehungslosigkeit der britischen Upper class zu sich selbst und dem Rest der Welt und die Verheerungen, die das im knisternden Gebälk der Moral anrichtet.
Noch keiner aus der respektablen Reihe der Desillusionsromane seit Balzacs „Verlorenen Illusionen“ hat derartig witzig, destruktiv und sardonisch vom Zusammenhang von Barbarei und Zivilisation in der Führungsschicht der dekadenten englischen Klassengesellschaft und ihren öden Amüsierriten dahergeredet.
Ich gebe nur ein einziges, aber wohl durchschlagendes Beispiel der vom Roman inszenierten Trennung von Vorstellungswelt und sozialer Matrix, nämlich den Schlusssatz der Phase des Deliriums:
- Ambrose (der Diener) verkündete: „Die Stadt ist angerichtet.“
Für diesen Satz allein, der die Sphäre des Erhabenen und die des Trivialen blitzartig in einander stürzen macht, sollte eigentlich ein eigener Preis ausgesetzt werden...

Und zu diesem widerlichen Ekel von einem Autor wäre heute, wo kaum einem mehr der soziale Befund einer machtgeschützten Innerlichkeit etwas sagt, vielleicht doch gerechtigkeitshalber festzuhalten: Ein Mann, der seine Standesgenossen derartig hasst, kann nicht durch und durch schlecht sein.

Aufpassen beim Kaufen! Damit man nicht eine der frühen amerikanischen Druckfassungen zu packen bekommt, die aus Urheberrechtsgründen eine sehr un-europäische Schlussvariante, eben eine amerikanische, mit happy ending aufweisen mussten.

Mittwoch, 29. Oktober 2008

Ein schwarzer Messias des Anarchismus

Ilja Ehrenburgs Groteske „Die ungewöhnlichen Abenteuer des Julio Jurenito“ (1922)
In dieser Parodie aller Evangelien durch einen Candide des frühen 20. Jahrhunderts ist der Titelheld ebenso der geheime Urheber aller geschichtsrelevanten Ereignisse als auch ein ewig scheiternder Prophet, der nichts lehrt.
Kommt uns also sehr bekannt vor, so ein Subjekt.
Und ist uns lieber als der gesunde Menschenverstand, der lieber den „Don Quixote“ des Cervantes liest, weil da der verfressene Pancho eine Idealismuskritik abliefert und doch in der Genossenschaft mit der traurigen Gestalt des Hidalgo die Unverzichtbarkeit des Ideals gerettet ist.
Dem öffentlichkeitswirksameren Sowohl- Als auch begegnet die Groteske mit ihrem Weder - Noch.
Als Gustostückerl hier ein Beispiel für das Verfahren der satirischen Entlarvungstechnik:
Als Bevollmächtigter der fiktiven Republik Labardan befragt Jurenito den französischen Außenminister nach dessen Kriegszielen und erhält zur Antwort: „Diese Ziele sind der ganzen Welt bekannt … wir kämpfen für das Recht aller, selbst der kleinsten Völker, über ihr Schicksal zu entscheiden, für die Demokratie und für die Freiheit“
Daraufhin schickt Jurenito eine Deklaration folgenden Inhalts an alle Zeitungen, die jedoch, wenig überraschend, von der Militärzensur nicht durchgelassen wird:
Die Regierung der Republik Labardan kann im großen Kampfe zwischen der Barbarei und der Zivilisation nicht neutral bleiben. Aus den Unterredungen mit den Vertretern der verbündeten Mächte hat die Regierung von Labardan Einblick in die hohen Ziele der Verfechter des Rechts gewonnen. Allen Völkern, selbst den kleinsten, wird das Recht eingeräumt werden, über ihr Schicksal zu entscheiden. Die Polen, Elsässer, Georgier, Finnen, Irländer, Ägypter, Hindus und Dutzende anderer Völker werden vom fremden Joche befreit werden. Die Unterdrückung der Völker anderer Rassen wird aufhören, und es darf keine Kolonien mehr geben. Schließlich wird im despotischen Russland beim Siege der Verbündeten die Freiheit eingeführt werden. Die Regierung und das Volk von Labardan können nicht länger schweigen und treten stolz in die Reihen der Kämpfer für das wahre Recht!

Nach eingehender Lektüre offizieller Verlautbarungen redigiert Jurenito nunmehr seine Deklaration in folgendem Sinn:
In Nürnberg lebte, wie es die Historiker genau erforscht haben, im XVII. Jahrhundert ein Uhrmacher labardanischer Staatsangehörigkeit. Darum muss Nürnberg mit allen anliegenden Gebieten, München mit inbegriffen, Labardan zufallen.


Als Beispiel für die unheimliche Ätze fast schon wissenschaftlich zu nennender Klarsicht im Charakterisieren weltanschaulicher Kernbestände folgende Episode:
Einer der Jünger, ein Mensch namens Karl Schmidt lässt einen Soldaten hinrichten, der zu seiner im Sterben liegenden Frau flüchten wollte. Und erklärt sachlich:
Ich verstehe Ihre Gefühle … und würde Sie unverzüglich zu Ihrer Frau schicken, aber dies würde zum Überhandnehmen der Desertionen und zur Herabsetzung der Kampffähigkeit der Armee führen. Darum werden Sie im Interesse Ihrer Kinder, und wenn Sie keine Kinder haben, im Interesse der Kinder Deutschlands in zehn Minuten sterben müssen“
Und dieser Schmidt hat - schon bevor Ernst Jünger überhaupt zu schreiben begann – bereits dessen Porträt gesprochen:
„Sie glauben, dass es mir und allen Deutschen angenehm ist, zu töten? … Nein, das Töten ist eine sehr unangenehme Notwendigkeit. Eine sehr schmutzige Beschäftigung ohne Begeisterung und ohne Freude. … Aber es gibt keine andere Wahl. … Ob man zum Wohle der Menschheit einen verrückten Greis oder zehn Millionen Menschen tötet, ist nur quantitativ verschieden. … Gerade deshalb werde ich keinen Augenblick schwanken, wenn es der Gesellschaft zum Vorteil gereicht, zum Wohle Deutschlands morgen und zum Wohle der Menschheit übermorgen alle ‚Lusitanias‘ zu versenken und Hunderttausende von Menschen umzubringen. Lohnt es sich da noch, von Städten, Kirchen und ähnlichen Dingen zu sprechen? Obwohl es um sie natürlich schade ist...
Und der Kommunistenfigur (Lenin erkannte sich widerspruchslos darin wieder) wird folgendes Credo in den Mund gelegt:
Wir führen die Menschheit einer besseren Zukunft entgegen. Die einen, deren Interessen dadurch geschädigt werden, stören uns auf jede Weise … Diese müssen wir beseitigen und oft einen zur Rettung von Tausenden töten. Die anderen widerstreben, da sie nicht begreifen, dass man sie ihrem eigenen Glück entgegenführt; sie fürchten den schweren Weg und klammern sich an den elenden Schatten der gestrigen Heimstätte. Wir treiben sie vorwärts, wir treiben sie mit eisernen Ruten ins Paradies

Nach 1928 konnte der Julio Jurenito 34 Jahre lang nicht mehr in der Sowjetunion erscheinen. Irgendwo verständlich.

Falls das der Differenziertheit des Lesers zu schematisch ist, sei daran erinnert, dass im Klischee erst der Bürger zu sich kommt und sich auch noch was darauf zugute tut.

Bei eventuell erwachtem Interesse: sehr gut vorgestellt ist dieser geniale Schelm aller Antis dieser Welt unter

http://de.wikipedia.org/wiki/Die_ungew%C3%B6hnlichen_Abenteuer_des_Julio_Jurenito

Diesem Artikel sind auch die obigen Zitate entnommen.

Montag, 20. Oktober 2008

In Memoriam Jean Améry

I
Greisenweisheit, sofern sie nicht überhaupt nur ausgeborgter Überlegenheitsgestus ist, besteht im Vergessen, was es bedeutet hat, an sich selbst systemrelevante Tauglichkeit herzustellen, oder sich fürs Arbeitsleben einbrechen zu lassen, von den sonstigen Unzumutbarkeiten der professionell verabfolgten Konsensherstellung abgesehen.

Da ist man nicht undankbar für die Überforderungen durch das Geistesleben zorniger alte Männer, denen außer der trivialen Ergebung ins Unabwendbare auch noch was anderes dazu einfällt: der unbezahlte, unverwertbare Akt der Rebellion gegen das Einsickern des Vergessens in den verwelkenden Körper. In seiner Abgeschabtheit weist er die Spuren der Geschichte vor, und wenn wir Glück haben, in exemplarischer Verschlissenheit durch die Einschreibungen geschichtsmächtiger Eliten.

II
Was wir Skeptiker (Skeptiker ausschließlich vor dem Unverständlichen am Entsetzlichen, Nicht-Wegrationalisierbaren) Jean Améry verdanken, ist die gründliche Entfremdung als Voraussetzung des Denkens: „Wer Heimat hat, braucht sie nicht.“
Dass so einer ganz schnell nirgendwo mehr hingehört, führt vom Herdentrieb Gesteuerte zu den Anbetern der schwarzen Sonne melancholischer Resignation.
Ihm aber hatte die Revolte wohl näher gelegen.

III
Was hätte das Folteropfer Améry wohl von den heutigen Philosophien der wohltemperierten Friseursalons und dem gekauften Konsens gehalten?
Dafür, dass ich meine Sinne so halbwegs mir salvierte, bürgte der Konflikt.“...
„(Und nun mag, wer will, mich einen unversöhnlichen Hasser nennen, einen neurotisierten Juden, einen von Ressentiments verstörten Narren.) Ich weiß es besser, denn ich war dabei, war Tatzeuge.“

Es bleibt dabei: bei allen skeptischen Vorbehalten gegen Metaphysica und abstrakte Heilsansprüche der Religionen, Amérys illusionsfreies Wissen über Kapital und Staat hatte sich dieser Hans (Chaim) Mayer nie auf den Status einer beliebigen Meinung herunterreden lassen.
So hat er uns die Fähigkeit vermacht, zwischen einer ehrbaren Skepsis und dem aus keinem Leibe zu prügelnden Wissen zu unterscheiden.

Montag, 16. Juni 2008

Der Mann, der seine Kinder liebte

(von Christina Stead), ein schwarzer Mann, vor dem man sich wirklich fürchten muß.

Wenn Marx Zeit gehabt hätte, die bürgerliche Familie nicht nur en passant als eine der üblichen Mystifikationen zu streifen, hätte er schon damals einen Familienroman dieses Kalibers über dieses gemütvoll-alberne Schlachthaus verfasst.
So hat sich eine ungnädige Australierin kurz vor 1940 die Arbeit machen müssen, eine irgendwie nicht so ganz unvertraut klingende, grauenvolle und vermutlich ultimative Auskunft über eine Familienhölle aus ihren autobiographischen schmerzhaften Erinnerungen zu illuminieren.
Weil es bei ungefilterter Erlebniswucht nie um den Goethepreis geht, wurde den Australiern dieses Leseangebot eines „gemeinen, jaulenden, im Dreck schnüffelnden Straßenköters“, wahlweise auch „einer ganz gewöhnlichen Rinnsteinratte“ erst 16 Jahre später zugänglich. Als nämlich die anglo -amerikanische Kritikerelite von einem „Buch wie ein schwarzer Diamant“ daherschwafeln zu müssen meinte.
Mir empfahl sich dieses Datum freilich als unwiderstehlicher Leseanreiz. Seitdem bin ich mir wieder mal von Herzen uneins mit den Heulsusen, die von einer Ästhetik des Hässlichen Heuschnupfen und Hautausschlag kriegen. Sagen sie.
Ach, wenn sie doch wenigstens die Unumgänglichkeit des Hasses hassen würden!
Wer nicht gerade aus Überzeugung bei seiner Mutter oder Tante auf dem Sofa den Rest seiner Tage zu verdämmern entschlossen ist, sondern ungern vergessen möchte, warum er sich seinerzeit unter die Familienflüchtlingsströme gemischt hat: hier hat er einen seitenstarken Denkzettel.
Ich liebe meine Kinder, wie kein Mann vor mir je seine Kinder geliebt hat. Ich weiß, auch andere Menschen lieben ihre Kinder, aber meine sind unauflöslich mit mir verbunden, sie sind ein Teil von mir...
Nach dieser grauenhaften Drohung hält dieses Monster „einen Moment lang inne. `In all meinem Kummer sind sie mir der größte Trost [Aha, das Kind als Sinngratifikation!]; eine größere Freude als mein eigenes Heim könnte es in der Welt nicht für mich geben.´
Genau, deswegen Abschottung aller außerhäuslichen Gefährdungspotentiale der Familienzentriertheit ...

Die diesem „self-serving“ „Pappmessias“ beigepferchte Mutter ist in ihrer giftsprühenden Ausgelaugtheit auch nicht gerade das, was der Schöngeist sich gerne an „uplifting“ erlesen hätte.
Und: Fünf Kinder suchen sich ihre Auswege. Und die fallen als interpretierende Verrechnungskünste mit den sonstigen Druckverhältnissen unvorhersehbar und so unterschiedlich aus wie Gedichte über Mineralien.

Die gerade mal wieder laufende, massenhafte Deklassierung einer ganzen Gesellschaftsschicht dürfte als Parallelerfahrung einen günstigen Resonanzboden abgeben für dieses Meisterwerk des lebensprallen Verismus im Psychosozialen.

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