Montag, 20. Oktober 2008

In Memoriam Jean Améry

I
Greisenweisheit, sofern sie nicht überhaupt nur ausgeborgter Überlegenheitsgestus ist, besteht im Vergessen, was es bedeutet hat, an sich selbst systemrelevante Tauglichkeit herzustellen, oder sich fürs Arbeitsleben einbrechen zu lassen, von den sonstigen Unzumutbarkeiten der professionell verabfolgten Konsensherstellung abgesehen.

Da ist man nicht undankbar für die Überforderungen durch das Geistesleben zorniger alte Männer, denen außer der trivialen Ergebung ins Unabwendbare auch noch was anderes dazu einfällt: der unbezahlte, unverwertbare Akt der Rebellion gegen das Einsickern des Vergessens in den verwelkenden Körper. In seiner Abgeschabtheit weist er die Spuren der Geschichte vor, und wenn wir Glück haben, in exemplarischer Verschlissenheit durch die Einschreibungen geschichtsmächtiger Eliten.

II
Was wir Skeptiker (Skeptiker ausschließlich vor dem Unverständlichen am Entsetzlichen, Nicht-Wegrationalisierbaren) Jean Améry verdanken, ist die gründliche Entfremdung als Voraussetzung des Denkens: „Wer Heimat hat, braucht sie nicht.“
Dass so einer ganz schnell nirgendwo mehr hingehört, führt vom Herdentrieb Gesteuerte zu den Anbetern der schwarzen Sonne melancholischer Resignation.
Ihm aber hatte die Revolte wohl näher gelegen.

III
Was hätte das Folteropfer Améry wohl von den heutigen Philosophien der wohltemperierten Friseursalons und dem gekauften Konsens gehalten?
Dafür, dass ich meine Sinne so halbwegs mir salvierte, bürgte der Konflikt.“...
„(Und nun mag, wer will, mich einen unversöhnlichen Hasser nennen, einen neurotisierten Juden, einen von Ressentiments verstörten Narren.) Ich weiß es besser, denn ich war dabei, war Tatzeuge.“

Es bleibt dabei: bei allen skeptischen Vorbehalten gegen Metaphysica und abstrakte Heilsansprüche der Religionen, Amérys illusionsfreies Wissen über Kapital und Staat hatte sich dieser Hans (Chaim) Mayer nie auf den Status einer beliebigen Meinung herunterreden lassen.
So hat er uns die Fähigkeit vermacht, zwischen einer ehrbaren Skepsis und dem aus keinem Leibe zu prügelnden Wissen zu unterscheiden.

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