Freitag, 2. Januar 2009

Die Schwarzen Pferde des Kohlhaas


Heinrich von Kleists „Michael Kohlhaas“

ist eine der spannendsten, bewegendsten und verstörendsten Geschichten der deutschen Literatur. Und sie ist moderner, als die meisten sich gern tragisch gebenden Literaturen und Bühnenwerke.
Michael Kohlhaas, ein Rosshändler aus dem Brandenburgischen widerfährt Unrecht. Zunächst einmal nichtstaatliches Unrecht, resultierend aus privater Willkür.
Als er sich an die Obrigkeit wendet, um sein Recht einzufordern, wird offenbar, dass staatliches Recht inzwischen staatlich gewordene private Willkür ist. Nicht nur, dass ihm das gesetzlich verbriefte Recht vorenthalten wird, nein, er wird als Querulant und Unruhestifter abgestempelt und in seine Schranken verwiesen.
Diese Schranken sind abgesteckt durch die zynische Arroganz der Macht. Vetternwirtschaft und Verantwortungslosigkeit. Selbstgefälligkeit und geistig-moralische Verwahrlosung sind an die Stelle der Appellinstanz Recht getreten.
Betrachtet man diese Geschichte vor dem Hintergrund der Gewaltgeschichte, so wird man schnell feststellen, dass diese Vorgänge ganz normal und gesetzmäßig sind. Am Ende stand in der Regel eine Revolution oder zumindest eine (Staats-) Reform. Kohlhaas war, und ist als quasi-naturgesetzliche Konstante in jeder historischen Gesellschaftssituation auffindbar, ein Handelnder, der das moralische Recht auf seiner Seite und das staatliche Recht gegen sich hat, einer der auf Veränderung veränderungswürdiger Zustände sann.

Die Antwort des Juristen Goethe auf das moralische Dilemma ist bekannt:

Es ist besser es geschehe dir Unrecht, als die Welt sei ohne Gesetz. Deshalb füge sich jeder dem Gesetz.“ (Das ist eine hemdsärmelige Maxime, also noch nicht einmal eine Reflexion, geschweige denn ein Aphorismus.)

Auch Friedrich der Große hätte das unterschrieben. Eben die Klassiker halt.

Meine Vorliebe für schwarze Gedanken verführt mich keineswegs dazu, die älteste Gedankenfigur des abendländischen Staatsdenkens mitzumachen: summum jus, summa injuria.. Und das noch bequemere von den Extremen, die s´etouchent. Oder dass die Quantität in neue Qualität übergehe, auch im Falle es umgekehrt gebrüllt wird: Fiat justitia et pereat mundus.. Und dass überhaupt alles so schwierig und unüberschaubar sei.

Ein paar Sätze im Klartext:
Kohlhaas ist ein „Don Quijote rigoroser bürgerlicher Moralität.“ (Ernst Bloch) Man braucht sich die Problemfracht nicht aufhalsen zu lassen. Die Windmühlen der staatlichen Gewalt arbeiten sehr gut. Und das ist schon ein Problem, an dem man scheitern kann.

Dem Kohlhaas wurden die Pferde geklaut! Da spielt es keine Rolle, von wem der Schaden ihm zugefügt wurde. Und außerdem, liebe Gesetzesfreunde: Die Mafia hat auch ihr Gesetz und ihre Rechte. Und bei gleichem Recht entscheidet allemal die Gewalt.
Es gehört zum Mechanismus der Herrschaft, die Erkenntnis des Leidens, das sie produziert, zu verbieten, und ein grader Weg führt vom Evangelium der Lebensfreude zur Errichtung von Menschenschlachthäusern so weit hinten in Polen, dass jeder der eigenen Volksgenossen sich einreden kann, er höre die Schmerzesschreie nicht."(Adorno, Minima Moralia, S.75)

Heute sind die Menschenschlachthäuser globalisiert.
„Kohlhiesels Töchter“ verbreiten in den Werbeblöcken Lebensfreude.
Und Kohlhaas ist ein Terrorist.

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