Mittwoch, 20. Juni 2007

Ausfahrten

Als Camoes, der Dichter des portugiesischen Nationalepos mit eben dieser Feier heroischer Welterschließung nach Lissabon zurückkehrte, erinnerte sich am Hofe keiner mehr, noch nicht einmal seines Namens.
Sieben Jahre Gestank ungewaschener Männer, das Jucken und Scheuern des Salzes zwischen den Schenkeln, nur die Läuse entbehrten nichts in der tropischen Feuchte von Goa bis Macao.
Und jetzt dieser König, abgestumpft von Frauen und Prälaten!

Wo der Feind an den Grenzen liegt, die Pest herrscht, Erdbeben drohen, man das Volk unterdrückt, Kloster auf Kloster stiftet und Ketzer umbringt, da bleiben für das Heldengedicht nur Hohn und eine später gestiftete Erinnerung.

Oder Jacob van Roggeveen, der mit wenig Sitzfleisch Behaftete!
Auf der Suche nach der Terra Australis entdeckt und benamst er 1722 die Osterinsel Rapa Nui.
Den gefährlichen Zug durchs Unbekannte besteht er und kehrt verwundet und krank nach Batavia zurück, wo die Niederländische Ostindienkompanie ihn anklagt, ihr Handelsmonopol verletzt zu haben. Er wird arretiert und seine Schiffe werden beschlagnahmt und verkloppt. In dem folgenden Rechtsstreit, der mit einem Vergleich endete, erhielt er jedoch eine Entschädigung und seine Mannschaft doch noch den ausstehenden Sold.
Gründlich bekannt gemacht mit der Prioritätensetzung hinieden fasste er schon früh eine Vorliebe für einen mystisch angehauchten Spinozismus und tat sich als Herausgeber des vierten Bands der Werke Pontiaan van Hattems hervor.
Er hatte Glück :man steckte ihn nicht wie andere frühe Aufklärer ins Irrenhaus, aber wer spricht schon mit einem gottlosen Narren, der von der Kanzel niedergemacht wird?
Daß es ihn überhaupt gibt, erfährt Jacob van Roggeveen auf seinen Spaziergängen durch Middelburg an den vorsichtig zurückgezogenen Gardinen der ihn Belauernden.

Oder der anonyme Kolonialbeamte!
Der kennt sich aus in elegischen Tönen.
Er sitzt auf seiner Veranda vor der Hütte.
Da unten fließt gelb der Kongo vorbei, unaufhörlich,
Mit diesem Rauschen, das einem alle Hoffnung raubt.
Durch die Ritzen seines Korbsessels sieht er:
Schwarze Bäume und Kaimane ziehn vorbei.

Bitter meditiert er: „Das ist sie nun, meine Idylle.
In Europa ist jetzt gerade überall Sonntag.
In Brest, in Bordeaux, in allen Häfen,
Die Straßen voll milder Sonne und kaum Verkehr.
Die lärmenden Karren bleiben zu Hause,
In den Kirchen singen die Chöre,
Selbst draußen noch hört man das tröstende Lied.
Heute Nacht tanzt der Matrose sturzbetrunken
Mit seiner Braut bis er in eine Ecke sackt.
Ich aber habe ein Rendezvous mit meinem Glas Toddy,
Die Müdigkeit von sechs Tropensommern im Leib.
Seit einer Woche ekeln mich die Umarmungen meiner Negerin an;
Sie hat meine Liebe, mein Verlangen zu befriedigen,
Und eines Nachts wird sie mich erwürgen.
- Welch neues Gericht für ihren Bruder, den Stammeshäuptling! –
Sie hat es ihm versprochen, als ich sie seinerzeit kaufte,
Und schrie ein Wort, das ich vergessen habe,
Aber das mich in meinen Fieberträumen verfolgt.“

Er drückt seinen Revolver dreimal ab:
Ein Affe fällt von seiner Kokospalme in das Grab,
Das sich just da im gelben Schlamm öffnet,
Wo ein Krokodil schlief – und gleich wieder einschläft.
Jetzt leiert er ein vorsintflutliches Grammophon an:
Ein Two-step schleift monoton dahin.

Aus den Uferbäumen fliegt ein Pfeil:
Einen Augenblick erhofft er seinen Tod, sein Heil
Wie ein Kind, das einen Stern fallen sieht,
Und sich schnell was wünscht. Doch der Schuss ging fehl.
Der Pfeil vibriert in der Wand.
Ein Neger flieht in den Wald.

„Dann eben ein andermal.“


(Mit Dank an J. Slauerhoff)

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Wandermönche
Der Weise Mein Haus ist schmutzig, meine Kinder, zahlreich,...
gitano - 22. Nov, 16:39
...
:-D
Greedy - 2. Feb, 16:08
Job-Center
bietet moralisch einwandfreien Lebensersatz, wenn es...
gitano - 4. Jan, 07:51
Polarisierung
Die hässliche Angewohnheit der Realität, nicht deiner...
gitano - 4. Jan, 07:15
Psychagogen
Tragend die Herzen der Menschen mit strebender Hoffnung...
gitano - 25. Dez, 15:15

Links

Suche

 

Status

Online seit 6545 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 22. Nov, 16:39

Credits


100 schwarze Meisterwerke
Definitionen und Aphorismen zur Lebens-Unweisheit
Fundstücke
Journalistisches
Literatur
Mythisches Bewußtsein
Persönliches
Reisen
Reisen - Indien
Reisen -Amerika, Südwest-
Reisen -Indien 1
Reisen -Indien 2
Reisen -Indien 3
Reisen -Indien 4
Reisen -Kappadokien
Reisen -Lykien
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren