Mittwoch, 23. Januar 2008

Realsatiriker

pflegen des Irrsinns verdächtigt zu werden: Jonathan Swift

Wer mit offenen Augen durch die Straßen geht, der wird bestimmt die fidelsten Gesichter in den Trauerkutschen sehen.

Wenn jemand mich von sich fernhält, tröste ich mich damit, dass er auch sich von mir fernhält.

Trefflich bemerkt, sage ich bei der Lektüre einer Stelle , an der die Ansicht des Autors mit der meinen übereinstimmt. Sind wir uneins, so erkläre ich, hier irre er.


Das Meisterwerk des Sarkasmus schlechthin:
„Bescheidener Vorschlag, wie Kinder armer Leute in Irland davor bewahrt werden sollen, ihren Eltern oder dem Staat zur Last zu fallen, und wie sie dem Gemeinwesen zum Nutzen gereichen können."
Viele Fliegen gleich mit einer Klappe: man stelle doch einfach das arbeitslose Kroppzeug dem Adel als Wildbret für die Jagd zur Verfügung, oder als nicht gerade billige Delikatesse für den verwöhnten Gaumen des Gutsbesitzers. Wenn man die elterlichen Produzenten der Ware ihr Produkt gleich selber aufessen ließe, damit sie dem Sozialstaat nicht immerzu auf der Tasche liegen, wäre das volkswirtschaftlich einfach kontraproduktiv. Export dieses Nahrungsmittels wäre eigentlich die optimale Lösung der Überbevölkerungsproblematik und des damit einhergehenden Problems der Kriminalität unter Jugendlichen....(Das kommt einem alles irgendwie so unheimlich bekannt vor.)
...Und so weiter mit den Begründungen, an denen es noch nie gefehlt hat, wenn aus der Not der Menschen eine Tugend ihrer Herrschaft herbeigefabelt werden sollte.
Eigentlich schade, dass sein Gulliver in der klimaktisch sich aufgipfelnden Menschheitssatire an Biss gewinnt, was er an produktivem Hass gegenüber dem zu destruierenden Objekt verliert. Angesichts dessen lobe ich mir doch ein politisches Pamphlet wie den Modest Proposal über den grünen Klee. Schon deswegen, weil es bei der Polemik um was geht, was ihre wohlerzogenen Verächter gerne übersehen machen würden.
Aber in seiner Menschheitssatire ist er vielleicht doch zu retten, wenn man ihn als Stichwortgeber sieht für spätere Responsorien, die es noch sehr viel düsterer treiben. Caraco beispielsweise. Man wird sehen.
Die Frage des möglichen Irrsinns ist bei einem Traktat-Titel wie: “Abschweifung über Wesen, Nutzen und Notwendigkeit von Kriegen und Streitigkeiten“ sehr leicht zu entscheiden.
Da die meisten Leser ohnehin von der Untersuchungsunwürdigkeit, weil Längst-Entschiedenheit der Sache überzeugt sind, ist selbstverständlich der Autor verrückt.

Hohnlächelnd sich der Staatsmann zeiht
Des Fehlers seiner Redlichkeit.
Er tue nichts zu üblem Zwecke,
Was seine Freunde von ihm schrecke.
Sein einzig Ziel sei´ s, zu vermehren
Des Volkes Wohl, des Fürsten Ehren....“


Da steht übrigens - auch nicht im Weiteren - nichts davon, dass der Mann ein Gauner sei.

Es dürfte sich Swifts Sermocinatio (Rollenrede) an seinem Grabe( in den „Versen auf den Tod von Dr. Swift“) nicht allzu sehr vertan haben bei der Charakterisierung seines Nachruhms.

Hätt er´ s Experten überlassen!
Ein gutes Hundert gab´ s von diesen;
Auf ihn war´ n wir nicht angewiesen.
Mag sein, er hatte ein´ ges Wissen,
Jedoch an Takt ließ er´ s vermissen.
Seine Satire war empörend
Und wirkte maßlos ruhestörend;
Hof, Hochfinanz und Militär –
Er zog nach Laune drüber her.
Nur Geifersucht konnt ihn verführen...“


Weil das so ist, kennt jeder den Gulliver nur in der expurgierten Kinderbuchfassung.

Wahl


Stammverwandt mit „Wählen“.
Daher der unausrottbare Irrglaube, beim Abliefern seines Interesses am Hofe des höchsten könne man sich was heraussuchen.
Wie im Goldgräbercamp genügt für die Analphabeten der Ermächtigung ein schlichtes Kreuz.

Waffenstillstand
Die Fortführung des Krieges mit den Mitteln der Diplomatie.

Weltanschauung
Wie unterschiedlich sind doch die Anschauungen und Visionen, die einer hat, wenn er nichts mehr sieht!
Mir wäre es ja auch lieber, ich hinge von einem Gotte ab, als ausgerechnet von solchen Köpfen, wie ich sie Abend für Abend auf der Mattscheibe reden sehe.

Widerspruch
Die Redensart und Handlungsmaxime "Jeder ist sich selbst der Nächste." und das gleichzeitige Wettern gegen die egoistische Ellenbogengesellschaft wird heutzutage - bei der allgemeinen Laxheit im Umgang mit Denkkategorien - für einen eklatanten Widerspruch gehalten.
Gegen das unaufhaltsame Ausufern von angeblichen Widersprüchen sei unfreundlich dekrethaft und sehr von oben herab, ja geradezu arrogant klargestellt, daß das Ideal des Altruismus sehr gut zusammengeht mit der Alltags-Realität des Einzelkämpfers und Glücksritters:
Egoismus ist der Altruismus, den ich mir aus karitativen Rücksichten selbst zukommen lasse.
Man hat ja schließlich Pflichten gegenüber sich selbst.

Wirtschaftsethik
Obwohl die Moral in der Interessensphäre von Kauf und Verkauf nichts zu suchen hat, gibt es eine wissenschaftliche Disziplin dieses Namens. Staatlich gefördert sinnt man jetzt auch in Kommissionen nach über die Bedingungen der Möglichkeit einer Ethik alldorten. Man darf auf die Resultate gespannt sein.
Ganz spontan fällt mir dazu ein in der Sache liegendes, unumgängliches Teilergebnis ein: wenn die Moral in einer Wirtschaft sich dazu entschließt, praktische Geltung zu beanspruchen, kommt es regelmäßig zur Wirtshausschlägerei.


Wörterbuch
Eine Sedimentschicht verfestigter Durchgesetztheiten, die dieses Wörterbuch hier so dringend nötig machen.

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