Der Ankläger
kriegt einen Orden, oder: Die maulstopfende Rache der Sprachlosen an Uwe Dicks Individualanarchismus
Dem Schreihals, der da meint, etwas erinnern zu müssen, was voll an den laufenden Geschäften vorbeiläuft, wird gemeinhin ein: „Ja wie soll es denn anders gehen?“ entgegengehalten. ("Ja, was hat er denn bloß immer gegen den Benedikt?" hieß das bei Karl Kraus.)Und die nicht ganz so pfiffigen Aufsässigen tappen prompt in die Falle, ein idealiter durchaus teilbares Anliegen zu formulieren, zu denen nur leider kein bekannter praktischer Weg führt.
Der Noblesse des Anliegens wegen kriegt ein solcher Rebell dann, wenn es schlimm kommt, ganz zu Recht die Schmach eines Verdienstordens vom Ministerpräsidenten feierlich an ihn hinangeredet und herablassend hinabgeheftet.
Und alle sind’s zufrieden, bis auf den, der sich fragen muss, was er denn da jetzt wieder falsch gemacht hat, wenn ihm plötzlich alle auf die Schulter klopfen. Er pinkelt den vorgefundenen Verhältnissen ans Bein, und deren tragende Stützen lassen sich eine Laudatio auf ihn vom Germanistikprofessor anfertigen, die der Landesvater dann souverän verliest. Was ist denn da los?
Armer Uwe Dick! Dein Fehler war, dass du wohl selber die von dir benannten Schädigungen, die dich schreien machten, nicht für hinreichend erachtetest. (Dabei ist der Schrei die unverstellteste Lebensäußerung, die nun wirklich keiner Rechtfertigung bedarf.) Du aber musstest den Schädigungen auch noch das weihevolle Mäntelchen allgemein teilbarer Öko-Ideale und einer Erlebensauthentizität umhängen. An dieser staatsbürgerlich löblichen Heuchelei ist euereiner dann leicht zu packen. Und die ganze schöne Kritik an den laufenden Faschistereien, an geistig verlotterter Kirchengeilheit und an der Abschaffung der Welt durch und in den Medien geht nach hinten los.
Plötzlich ist die so was von gar nicht mehr da. Geradezu zu einem vergleichsweise nichtigen Anlass für menschheitlich Wichtigerem verflüchtigt. Schönes Beispiel für die Gewalttätigkeit der Ideale: sie machen jeden noch so ernsthaften Mucks einfach platt.
Die Logik im Vorgang: du und deine Gegner, ihr wart euch von vornherein in der Lagebeurteilung nicht einig. Bei klärendem Nachfassen hätte es Zoff gegeben, dass es nur so fetzt. Aber nur deine Gegner waren kluge Strategen. Statt dir den Grund fürs Wehgeschrei zu bestreiten belobigten sie die Schönheit des Schreis und gemeindeten dich in ihrer Aller Anliegen-Serienproduktion ein. Schön bös’ warst du wieder!
Man müsste dich eigentlich vor dir selber retten, wenn du’ s nicht selber schon sehr mehrdeutig und trefflich vorhergesagt hättest:
„Gehört schließlich zum Demokratieverständnis, dass jede Kehrseite ihre Medaille bekommt.“
Statt einer weiteren Goppelrede, hier ein paar reißerische Schmankerln dem Gedächtnis der Generationen zum Anbeißen anvertraut:
- Früher hängte man Brunnenvergifter, heute behängt man sie mit Verdienstkreuzen.
- Denn wer einen Dachschaden hat, der ist freilich offen für das Höhere.
- Am Anfang war die Sendung, und dann verging die Welt. So ist Karl Kraus bis heute aktuell. Und ein Scheusal. Denn nicht das Übel, sondern der’ s benennt, macht sich verhasst.
- Wer Sprache nicht will, der blöke als Stimmvieh sein Heil.
- "Das niemals vertagte Leben". Ach Uwe, das kapiert doch keiner!
Das Verarbeitungsmuster gibt´s doch gar nicht. Ich höre schon die Einordnungsrasterfahndung rattern: Lebensphilosophie, Vitalismus...Und wieso verirrt sich ein "vertagt" hierher. Diese immerwährende Justizsession gibt´s doch gar nicht!
Damit jetzt nicht alle gleich losrennen, die sowieso einen Grant auf Bayern als Teil eines größeren Deutschland haben, und sich Dicks Autobiographie „ohne Ich“ oder gar seine erfrischend anarchistelnde „Sauwaldprosa“ zulegen: a bissl kompliziert ist er halt schon zu lesen, der Uwe. Hier eine der weniger fordernden Stellen, die aber wenigstens andeuten könnte, was passiert, wenn stilbestimmender Bedeutungsüberschuss aus Portmanteau-Worten herausgekitzelt werden soll:
„Dies Ja zum Nein mit Witz und Galle; wissend dass es niemals mehrheitsfähig wird. Ergo: Biographie statt Karriere. Nur diese Haltung kann herausführen aus der sogenannten Identitätskrise, jener vielbequatschten Ausrede für jedermann, vom saturierten Doppelkinnhead obenauf...bis zum uniformierten Mob im staatlichen Ehrenschmutz".
Wer einen politisch aufgepimpten Arno Schmidt durchaus vertragen könnte und nicht gleich den schrägen Vogel in die Ecke schmeißt, wenn ihm ein poeta doctus mit einem „Canto für Ezra Pound“ kommt, der hat sehr viel länger an dem Werk zu lesen, als dessen Seitenzahl vermuten macht.
gitano - 28. Jan, 12:35