Sonntag, 3. Februar 2008

Nach der Apokalypse,


die natürlich wieder keiner bemerkt haben will, empfiehlt sich für die Wonnen einer unerquicklichen Erbauung das
Brevier des Chaos von Albert Caraco.

„Ich bin einer der Propheten meiner Zeit, und da ich nicht das Wort ergreifen darf, schreibe ich, was ich zu sagen hatte. Um mich herum wechseln Wahnsinn, Dummheit und Unverständnis mit Lüge und Berechnung ab, wobei die Tugenden die einen genauso wie die anderen unterstützen, denn das Tragische bei der Sache und was die Moralisten leugnen, ist, dass die Welt von Tugenden überquillt, ich vermute, dass man ihrer niemals mehr sah. Ungeachtet so vieler Tugenden gehen wir dem Chaos entgegen, so viele Tugenden bewahren uns nicht vor dem allumfassenden Tod, und ich frage mich schließlich, ob die Tugenden nicht überflüssig sind zwischen uns selbst und der Kohärenz, dem Maß der Objektivität? Die Tugenden retten uns nicht vor der Ordnung, und die Ordnung bedient sich ihrer, um uns zugrunde zu richten, wir sind jetzt die Geprellten eines Systems, das uns über unsere Interessen täuscht und uns den seinigen opfert, indem es uns überzeugt, sie seien auch die unsrigen. So glauben wir alle das Rechte zu tun und betrügen uns selbst um die Wette, wobei der Wahnsinn unsere Belohnung und unsere Atmosphäre die Dummheit ist, wo Unwissenheit die erste Pflicht zu sein scheint, damit Lüge und Berechnung freie Hand haben. Wir sind immer noch Kinder und werden es bleiben, solange es die Familie gibt....

Wir verblöden um die Wette, ganz gleich auf welchem Gebiet, und unsere Erfindungen helfen dem Paradox nicht ab. Immer dümmer inmitten unserer immer intelligenteren Mittel, werden wir uns in die Gesetze dieser Mittel fügen, zu unserer eigenen Enttäuschung, unsere Staatsoberhäupter werden ihre ersten Diener sein und uns in eine Sklaverei ohne Grenzen bringen.

Wir sind gegenwärtig immer noch so blind, dass wir die innig lieben, die uns irreführen, wir werden ihnen ihren Verbrechen und Schwächen zum Trotz alles verzeihen, wir halten immer noch an ihren unsinnigen Lehren fest und trotten unter ihrem Krummstab einher, als wären sie Hirten und wir unwürdige Tiere Und dabei werden sie uns ins Verderben führen, diese unfehlbaren Männer, die wir für gottgleich halten, sie irren sich nun schon seit Generationen, und wir weigern uns, es zu begreifen, wir opfern ihnen unsere Interessen und sogar unsere Ehre, in Kürze werden wir ihnen unsere Zukunft opfern. Die Geschichte kennt wenige derartige drastische Fälle von Geistesgestörtheit.

Ich werde rasend, wenn schwachsinnige Gläubige mir ihre Gedanken herplappern, ich erschrecke angesichts ihrer Verhärtung und begreife ihren Wahnsinn nicht, sie vergegenwärtigen mir die Alten, die man in den Asylen sieht, aufbrausend und Steine sammelnd. Ich komme aus dem Staunen nicht heraus, wenn sich Familien am Sonntag zur Kirche begeben, alles als ob nichts wäre, ich habe Mühe zu glauben, dass es sich um menschliche Wesen handelt, diese Unglücklichen bringen mir die Insekten wieder in Erinnerung, die man dabei beobachtet, wie sie sich gegenseitig verschlingen, jenes nicht von seiner Beute lassend, indessen das andere ihm die Eingeweide auffrisst...

Ich mißtraue dem Ideal und ziehe die zynischen Peiniger diesen in die blaue Blume verliebten Ungeheuern vor, diesen Kleinbürgern, die in Worten zaghaft und fähig zu grausamen Untaten sind, dieser mit einer schönen Seele versehen Horde engherziger Dämonen, die es peinlich genau mit Nebensachen nimmt. Was wollen Sie? Ich hasse die Gemeinplätze, und unser Jahrhundert lehrt uns, dass sich die Schlimmsten seiner bedienen, dort verkriecht sich die Schurkenbande, die die Mücken durchsiebt, um alles, ganz gleich was, zu verschlingen, wenn der Moment gekommen ist.“

In den Künsten der Verneinung hat es dieser späte Nachfahre der Gnosis weit gebracht. Wie ihm scheint es manchem nicht ausgemacht, ob die Gnosis (mit ihrer Entlarvung der Ordnung der von einem Demiurgen geschaffenen Welt als auf der Grundlage von Terror und Lüge beruhend ) nicht doch der Wahrheit und Selbstachtung näher kommt, als die Legionen derer, die erstere verächtlich beschniefen, so sie nicht die ihre ist, und letztere als unter den Selbsthass fallend denunzieren.
Wie Melvilles Bartleby, der Schreiber, der mit seinem Lieblingssatz „I would prefer not to“ die Weltaskese zur metaphysischen Irritation vorantreibt, hält Caraco den nachtschwarzen Vor-Posten der unnachgiebigen Provokation der Normalität und der nicht mehrheitsfähigen Subversion der Macht bis zur letzten Konsequenz, dem Aufruf zum Zeugungsverzicht.
Leicht zu erraten, dass er da ganz schnell allein da steht.
Die obigen Kostproben stehen weniger für eine mir genehme Kronzeugenschaft, obwohl ich ja schlecht verhehlen kann, dass der von einer Metaphysik des Dämons Umgetriebene mir sympathischer ist, als die rosenwangige Naivität.
Ich habe mir vielmehr die Arbeit des Zitierens gemacht, weil das Internet ja nicht unbedingt auf dem Niveau der Städtischen Leihbüchereien vor sich hinzuwesen braucht. Starker Tobak einer umfassenden Verweigerung wie der von Caraco war bislang im Internet nicht aufzufinden. Vielleicht machen die obigen Kostproben ja Appetit auf mehr von solch stärkendem Tonikum.
Denn gegen die kommenden Schrecken und Alpträume braucht es die Breviere und schwarzen Litaneien der Bloy, Céline und Bernanos, die auch gerne den SCHRUMPFGERMANEN und seine zahllose Verwandtschaft unter den Gartenzwergen zur Besichtigung freigaben.
Man steht dann nicht ganz so allein da.

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