Montag, 11. Februar 2008

Schwarze Uniformen


und Soutanen: Thomas Bernhards: Die Ursache. Eine Andeutung. Oder: die Liebe kann sich irren, der Hass nie.

Historie, in Erzählseln weitergegeben, kann, so Thomas Bernhard in seiner autobiographischen Schrift, immer nur verfälschte Historie sein.
Ein bekanntes Problem aller non-fiktionalen Literatur: "Wie man es erzählen kann, so ist es nicht gewesen" (Christa Wolf).
Und so hat auch der Leser der Ursache nichts anderes zu erwarten als Andeutungen über eine zwar gefälschte Historie, aber über eine erlebte, erlittene Geschichte: Bernhards Aufwachsen im
1) nationalsozialistischen Salzburg, das er als "architektonisch-erzbischöflich-stumpfsinnig-nationalsozialistisch-katholische[n]Todesboden" bezeichnet.
2) unterm ideologischen Drill: Mal angenommen, nur so zum Spaß, es hätte einen Grünkranz, einen Muster-SA-Offizier - sozusagen als Einsprengsel eines Zeitdokuments - tatsächlich gegeben. Warum hätte der Ich-Erzähler ihm wie den meisten, ihm gleichenden Personen, nicht feindlich gegenüberstehen sollen? Was ist so reizvoll an Eltern, die sich nicht um einen kümmern? Ein Sensibelchen, das doch tatsächlich glaubt, man habe einen Anspruch auf irgendwas? Vorsicht! Der ideologisch angeleitete Hass, der sich hier voller Verachtung auf die Seite der Verfolger stellt, ist der Revers des Bernhardschen lebensgeschichtlich akkumulierten Hasses. Und das ist irgendwo erkenntnisträchtig in beiden Richtungen...
3) und unter als ungerecht empfundenen Demütigungen im Internat: Grünkranz ohrfeigt den Internierten mehrmals grundlos , was den jugendlichen Schüler irritiert und verletzt. Diese Erlebnisse schüren Ängste in ihm und bringen ihn auf Suizidgedanken. Selbst als der Schüler die Laufdisziplin beim Sportfest gewinnt ist dies "dem Grünkranz eher ein Dorn im Auge" Vielleicht hat ja noch der verkorksteste anti-autoritäre Affekt doch ein fundamentum in re.
4) Salzburg als einer "totalen Vernichtungsmaschine", die Menschen nicht bloß so ein bissl im Wohlbefinden stört, sondern verstört und schließlich zerstört
Eine Serie von Verletzungen also, die auch in ihrer ästhetischen Dämonisierung noch die Genese eines zur Lebensaufgabe avancierten Hasses nachvollziehbar machen. Dieser Hass will vernichten und gerade seine Form des ohnmächtigen Schäumens ist die ästhetische Wahrheit über eine Empörung, der weder Hinterhältigkeit noch Tücke irgendetwas nützt. Was an dem Bernhard-Sound in den fiktionalen Texten so stört, nämlich der litaneienhafte methodisch zelebrierte Hochmut, hier ist er das stilistisch gerechtfertigte Vorzeigen schwärender Wunden.
Seinen Vater hat der Selbsterlebensgeschichtenerzähler nicht ein einziges Mal gesehen. Nur seine Großeltern, den „Elternersatz“, kritisiert er nicht. Weitere positive Bezugspersonen: ein körperlich behinderter Freund im Internat, der auch zu den ,,Schwächeren" gehört, und ein Geografieprofessor, der andauernd wegen seiner Hässlichkeit verspottet und gequält wird.
Merke: es gibt offenbar einen Mechanismus der Option, über den man sich als gestandener Rechter, nach dem dort empfohlenen Bewältigungsmuster lustig machen soll, oder auf den man als Linker rein fallen kann. Das ist als vorläufiges Zwischenergebnis so unverächtlich nicht. Normalerweise sind Autobiographien, die den Horizont der augenblicklich geltenden Moral an der eigenen erfolgreichen Person bebildern, nicht ganz so denkanstoßgebend zynisch.
Als gebildeter Universalist sage ich natürlich großzügig, wenn es überall kneift: „Ach, es hat ja doch überall etwas...“ Bin mir aber nicht ganz so sicher, dass das nicht die übliche Rede eines bereits Zerstörten ist.
Anti- Heimat-Literatur:
Heimat ist eine Ursache, die an einem wie Bärendreck klebt, man kriegt sie auch nach 20 Jahren in der Fremde nicht vom Herzen weg.
Nach dem Bombenkrieg, den Verbrechen, den Zerstörungen, den Toten, die es nie gegeben hat, werden die Vorbilder einfach ausgetauscht: Jesus ersetzt den Hitlerkult, "Großer Gott, wir loben Dich." "Es zittern die morschen Knochen": die Heilige Kommunion und die Predigt wanzen sich ersatzweise für das gemeinschaftliche Anhören der Nachrichten aus dem Führerhauptquartier an. Ein neuer Anstrich für das alte Miserere.

Die Geburt- eine Ursache: “Es gibt überhaupt keine Eltern, es gibt nur Verbrecher als Erzeuger von neuen Menschen.“
Skandalös,... schwer übertrieben,... muß man sich nicht antun, ....das schimpft, grantelt und nörgelt ein seinsvergessenes Privatissimum über eine versaute Kindheit in die Gegend.
Vorsicht! Gegend pflegt bei Sprechern dieser Observanz normalerweise Gelände zu heißen.
Die polarisierende Rede ist immer ein Indikator für den Mechanismus der Option.
Ich hätte gern einmal den unzensierten Originaltext gelesen. Aber auch so ist das Pamphlet eine meisterhafte Polemik. Oder ist Salzburg etwa nicht ein „totes und verlogenes Schönheitsmuseum“, das alljährlich anlässlich der Festspiele „Universalität heuchelt“?

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