Freitag, 14. März 2008

Schwarze Meisterwerke

Ein Prediger hat grundsätzlich zwei Methoden, der Gemeinde zu kommen.
Entweder er pinselt das gemeine Höhere mit allen Farben und attraktiven Reizen der Rhetorik aus, oder er malt den Teufel in den rußigsten Tinten und Tuschen an die Wand.
Nicht anders verfahren die verpönten Gattungen der ideellen Unruhestiftung von Satire über Groteske bis zum Totalaufwasch der Auflehnung gegen Unbekannt.
Das hat eine subjektive Seite:
„Ich mag die Ideen, die von der Zerstörung der herrschenden Gesetze berichten. Ich bin an allem interessiert, was sich um Aufruhr, Unruhe, Chaos und spezielle, scheinbar unsinnige Aktivitäten dreht. Für mich scheint das ein Weg zur Freiheit zu sein; eine äußere Revolte ist ein Weg zu innerem Frieden.“ JIM MORRISON
Das unterschreibe ich ohne Abstriche.

Die objektive Seite daran: Gegenüber der u. a. von Klaus Vondung ("Die Apokalypse in Deutschland") ins Spiel gebrachten Krisenhypothese, die den Pessimismus als Reaktion auf historische oder andere Defizienzerfahrungen erklärt, im selben Atemzug aber seine ästhetischen und rhetorischen Elemente vernachlässigt, hält meine Charakterisierung der dunklen Brüder argumentativ durch, dass Pessimismus und literarische Destruktionslust spätestens seit Schopenhauer eine Form der Inszenierung von Kritik und Kritiker ist, zu der die Ästhetisierung des Leidens, die Verwandlung von Grauen in Genuss und die Selbststilisierung des Kritikers gehören.

Hier wird eben nicht Wirklichkeit nachgeahmt, sondern das freie Konstrukt des wetternden Pfaffen sozusagen als Blaupause für eine weitere autonome Gedankenfigur benutzt.
Wer Literatur anders verwendet, tut das aus fragwürdigen Beweggründen für noch fragwürdigere Zwecke. Das kann ich zwar verstehen, habe aber keinerlei Verständnis dafür. Denn Literatur ist kein - wenn und wie auch - dürftiger Lebensersatz.

Ein ganz anderes ist es mit dem Aphorismus, den Formen des Gedankens in der Polemik, und den Figuren des Pamphlets.

Im Aphorismus ertappt sich der Leser auf seinem eigenen Menschen- und Weltbild, und fühlt sich in dessen trügerischer Gesichertheit und dessen ungestörtem Besitz verstört. Das macht ihn verdrießlich, und die Form des Witzes entschädigt nur unzulänglich für das fatale Erlebnis.

Am schlimmsten ergeht es dem Rezipienten bei den „Definitionen“, einer Form, die sich parodistisch der lexikalischen Ernsthaftigkeit bedient, um sie aus den Latschen kippen zu machen.
Die hier anstehende Gedankenarbeit des Lesers beruhigt sich zumeist vorschnell in Sortierungsbemühungen, landet also beim - sich seiner Gültigkeit rückversichernden - Terminus (geistiger Endpunkt einer „Erfassung“, die sehr nach polizeilicher Dingfestmachung aussieht).
Aber den Versuch einer Attacke war es dem Autor wert.

Ich habe gesprochen und meine Seele in beiden relevanten Hinsichten gerettet.

Amüsieren, verb. refl.

Etymologisch von „sich der Muse entledigen, sich ihrer berauben,“ herzuleiten. Dieser Wink der Sprache plaudert eine Wahrheit aus, die sogar dann noch stimmt, wenn er falsch ist.

Apokalypse now
Den Untergang der Welt würden wir gar nicht wahrnehmen, was sehr für sein derzeitiges Stattfinden spricht.
Warum? Er ist als Wirklichkeit zwar visuell darstellbar, aber für unsere Sehgewohnheiten so nicht mehr decodierbar. Die Elends- und Kriegsdarstellungen lesen sich jetzt schon als sehr kritikable, überaus mangelhafte Abenteuerclips. Der Kameramann sollte ausgewechselt werden.
Das Tier mit den zehn Hörnern und sieben Köpfen halten wir dereinst für einen gelungenen special effect aus einem Fantasy- Film.
Die anfallende Sanierung der aufgelaufenen Schäden werden wir aus der Instandhaltungsrücklage begleichen.

Bedürfnisanstalten
Kantinen, Kasernen, Kinos, Kontakthöfe, Klosetts und Kirchen.

Verdauungsendprodukt
Recht, rectum, rectal – wie doch der Konservatismus der Sprache so treulich die innere Verwandtschaft der Sachen bewahrt! Das rechtmäßig Verschlungene korrespondiert – ganz recht - mit dem Mastdarm.

Denkfaulheit
Dogmatisches erregt heute bereits eine allgemeine Heiterkeit. Gut so. Gerettet sind wir aber erst, wenn der Skeptizismus als Dogma durchschaut ist.

Demut
Die nachantiken Religionen sind deswegen so unschlagbar in ihrer historisch erwiesenen Anpassungsfähigkeit an alle Erfordernisse des sozialen Kitts, weil die von ihnen gesichtete, unüberwindliche Geneigtheit der Kärrner, sich als Lasttiere der Könige aufzuführen, als „Mut zum Dienen“ angedient wird.

Ehre
Einem Gedanken die Ehre zu geben, ist so unendlich viel schwerer als dem Herrn Bürgermeister.

Gnome
Hast du das Gefühl, ein Aphorismus bestätige dich, bist du einem verunglückten auf den Leim gegangen.

Humanitas
Die edelsten Tugenden, als da sind: Hingabe, Selbstverleugnung, entsagende Selbstpreisgabe in der Loyalität an die Götter und ihre irdischen Sachwalter schaffen von je her unvergleichlich gewaltigere Kadaverfelder des gemetzelten Menschentiers, als ein noch so begabter Mörder hinbekäme.
Von den anderen Tieren ganz zu schweigen.

Selbst, das
Jeder Autobiograph vermittelt ein gestochen scharfes Bild von dem, was die Zeitgenossen von ihm erwarten durften.

Psychoanalyse
Als die Seele endlich Sigmund Freud entdeckt hatte, erschrak sie gewaltig vor dessen innerem Afrika.

Rollenspieler
So blöd, wie sie schlau schauen, können die gar nicht sein.

Sentenz
Sentenzen verzeiht man nur dann, wenn der Sententiöse mindestens Cäsar ist.

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