Dienstag, 22. Januar 2008

Einen guten Hasser

des Gemeinplatzes muss man einfach lieben, oder: Vorm Anruf des Absoluten platzt der Bourgeois vor Gemeinheit: Léon Bloy

Aus seiner „Exegese der Gemeinplätze“

MAN KANN NICHT ALLES HABEN
Richtig; zumal man ja schon das Gesetz auf seiner Seite hat....Darüber hinaus auch noch den Rest fordern hieße das Weltall verschlingen wollen. So ist der Bürger nicht. Verächter des Unendlichen und des Absoluten, weiß er sich zu beschränken. Wer wüsste es besser als er? Von Kind auf sorgt und arbeitet er einzig für die Errichtung von Schranken allenthalben.
Und man beachte die Mäßigung diese Gemeinplatzes. Es heißt nicht: man soll nicht, sondern: man kann nicht. Der Bürger sollte natürlich alles haben, da ihm ja alles gehört, doch kann er nicht alles packen und festhalten, seine Arme sind zu kurz.....
Nicht alles haben! Welches Verhängnis! Ich frage mich nur, wie dies Wort, diese gleichsam übernatürliche Beschwerde, die von Millionen Mäulern ohne Unterlass zu den Gestirnen empordringt, nicht die Gewölbe des Himmels zum Bersten bringt!“


ES KÖNNEN NICHT ALLE REICH SEIN
Scheint zunächst weniger absolut als der vorige, hat aber den Vorzug größerer Präzision. Im Grunde sind beide vollkommen identisch. Es lag daher nahe, sie nebeneinander zu stellen, sie zusammenzubringen, um zu zeigen, dass sie beide die gleichen Gefühle, die gleichen Gedanken wecken.
Denn hier muss es endlich gesagt werden, die Sprache der Gemeinplätze, die erstaunlichste aller Sprachen, hat, wie die der Propheten, die wunderbare Eigenschaft, immer dasselbe zu sagen. Da der Bürger, dessen Privileg sie ist, nur über einen ungemein bescheidenen Ideenvorrat verfügt, wie es sich schickt für einen Weisen, der mit einem Mindestmaß geistiger Tätigkeit auslangt, begegnet er diesen Ideen notwendig auf Schritt und Tritt. Wer dies nicht zu schätzen versteht, tut mir leid.. Sagt etwa eine Bürgersfrau: „Ich lebe nicht in den Wolken“, so darf man überzeugt sein, dass sie damit alles sagen will, alles sagt und gesagt hat, endgültig und für immer..

PRAKTISCH
Nach den Definitionen in den Wörterbüchern handelt es sich hier um nichts weiter als den Gegensatz zum sogenannten Theoretischen, übrigens eine nicht minder schätzenswerte Sache.
Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, erscheint der praktische Mensch als das Werkzeug zur Verwirklichung einer Idee oder zur Anwendung eines Gesetzes. Der praktische Mensch im höchsten Sinne wäre demnach der Henker.....
Im Grunde ist der praktische Mensch der eigentliche Halbgott der bürgerlichen Welt, der moderne Ersatz für den Heiligen. Die meisten zeitgenössischen Denkmäler werden zu Ehren praktischer Menschen von anderen praktischen Menschen, errichtet, die ihr Handwerk verstehen und keine Schlafmützen sind.
Ein Hausherr, der mitten im Winter die Kranken und Hungernden auf die Straße werfen lässt, ist ein durch und durch praktischer Mensch, ... Was diesen Mann so hoch hebt, ist, dass er ein Herz hat, manchmal sogar ein überaus gefühlvolles Herz, und dass er sich Zwang antun muß, um nichts davon merken zu lassen...


DER PRINZIPIENREITER
Eine Art Reitkunst, die ausschließlich dem Bürger vorbehalten ist. Sie ist garantiert sicher. Nie hat man gehört, dass der also Berittene aus dem Sattel geflogen ist. Handelt es sich doch um trefflich dressierte Prinzipien! Das Reittier hat außerdem noch den Vorzug, dass es nichts kostet, es sucht sogar seinen Reiter!...
Die Prinzipien, auf denen der Bürger reitet, sind die unübertrefflichen, nicht einholbaren Rennpferde des Todes, die er im Stall seines Herzens verwahrt hält.


MAN MUSS MIT DEN WÖLFEN HEULEN
Eine kostbare Maxime, die aus der Hinterlassenschaft eines alten Hundes stammen muss. Das Heulen ist, wie ich wohl kaum zu erläutern brauche, eine Litotes, ein mildernder bildlicher Ausdruck. Es handelt sich natürlich darum, zu tun, was die Wölfe tun, nämlich die Schafe zu fressen und, wohlgemerkt, mit denen anzufangen, die man zu hüten hat.

WÄHLE VON ZWEI ÜBELN DAS KLEINERE
Hierüber herrscht Klarheit. Die mitleidigsten Seelen können sich der Erkenntnis nicht verschließen, dass das Übel des Nächsten immer das kleinere ist und folglich gewählt werden muss. Schon seit langem ist den Psychologen aufgefallen, dass man immer genug Kraft hat, das Leid der anderen zu ertragen.

Was ich an diesem Ankläger liebe, ist, daß ich ihm eine leicht zu machende Beobachtung verdanke: heute weiß ich schon nicht mehr, was gestern im Fernsehen war. Léon Bloys Bellen hingegen haftet. Unheimlich ist, dass in all dem Geschwätz und Schund, in dem man vor dem Fernseher versumpft und langsam ausblutet, man einer beständigen Apologie von Staatsanwälten der Teufelsarschküsser beizuwohnen glaubt. Der Teufel hörte übrigens während all der langen Weile all dem zu „in einem furchtbaren Schweigen.“
An diesen Teufel glaube ich sogar, dem haben wir alle schon die Hand gedrückt.
Meine Sympathien gelten dem Ankläger, der immer im Recht ist, das er nie bekommt. Seine hier nicht mitnotierten Rekurse auf Berufungsinstanzen wie regressive Utopien und Gottesknechtschaften der menschenfeindlichsten Art lasse ich dahingestellt sein, damit eventuelle Leser darüber selbst befinden. Eine Zurückweisung seines Ansinnens wegen Formfehlern würde ich ablehnen.
Dem Abstrakten des Absoluten abhold, schätze ich in ihm dennoch den hellsichtigen Verfolger todbringender Abstrakta. Das ist bis auf den heutigen Tag kein Popanz, was als MAN das Tun durchgeistert. Es heißt nur manchmal anders: in - out, musts and don´ts, trendy....

MAN...
Was ist dieses Man für den Bürger tatsächlich? Ist dieses von ihm beständig angerufene Abstraktum vielleicht der unbekannte Gott? Man kennt diesen Menschen nicht, Man liebt ihn nicht, Man hat ihn niemals gesehen, Man hat ihn oft genug gesehen. Gibt es treffendere, wirksamere Verdammungsurteile? Dieses Man verdichtet und belebt. Man kennt Sie gut, Man weiß ja, wer Sie sind, Man räumt Ihnen Kredit ein.
Jedesmal, wenn der Bürger spricht, klingt dieses geheimnisvolle Man, als würde ein Geldsack schwer auf den Boden gestellt in einem Nachbarzimmer, wo jemand umgebracht wurde.

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