Ritualismus
ist das absurde Brauchtum des klassischen Klassikers, oder „Weh dem, der Symbole sieht!“: Samuel Becketts „Watt“
„..Mr. Knotts Mahlzeiten machten kaum Mühe.
Samstag abends wurde eine Menge Nahrung zubereitet und gekocht, die genügte, um Mr. Knott eine Woche lang durchzubringen.
Dieses Gericht enthielt Nahrungsmittel verschiedener Art, wie Suppen verschiedener Art, Fisch, Eier, Wild, Geflügel, Fleisch, Käse, Obst, alles verschiedener Art, und freilich Brot und Butter, und es enthielt auch Getränke, denen am meisten zugesprochen wird, wie Absinth, Mineralwasser, Tee, Kaffee, Milch, Stout, Bier, Whisky, Cognac, Wein und Wasser, und es enthielt auch viel für die Gesundheit, wie Insulin, Digitalin, Kalomel, Jod, Laudanum, Quecksilber, Kohle, Eisen, Kamille und Wurmmittel, und freilich Salz und Senf, Pfeffer und Zucker, und freilich ein Tröpfchen Salizylsäure gegen die Gärung.
Alle diese Dinge und noch viele andere, die zu zahlreich sind, als dass sie hier erwähnt werden könnten, wurden in dem berühmten Topf innig miteinander vermischt und vier Stunden lang gekocht, bis die Konsistenz von Maische oder Mus erreicht war, und all die guten Sachen zum Essen und all die guten Sachen zum Trinken und all die guten Sachen für die Gesundheit wurden unwiederbringlich vermengt und in eine einzige gute Sache verwandelt, die weder Speise noch Trank, noch Arznei war, sondern eine ganz neue gute Sache, von der schon ein Löffel voll den Appetit gleichzeitig anregte und verdarb, Durst erzeugte und löschte, die Lebensfunktionen des Körpers gefährdete und förderte, und überdies angenehm zu Kopf stieg.
Watt fiel die Aufgabe zu, die Zutaten, aus denen sich dieses Gericht zusammensetzte, mit äußerster Genauigkeit zu wiegen, zu messen und zu zählen, und jene, die einer Zubereitung bedurften, für den Topf zuzubereiten und sie ohne Einbusse innig miteinander zu vermischen, so dass nichts mehr voneinander zu unterscheiden war, und sie zum Kochen zu bringen, und wenn sie kochten, sie am Kochen zu halten, und wenn sie gekocht waren, ihr Kochen zu unterbrechen und sie hinauszustellen ins Kühle, an einen kühlen Platz. Diese Aufgabe beanspruchte Watts Kräfte, die seines Geistes und die seines Körpers, auf das äußerste, so heikel und so schwer war sie. Und bei warmem Wetter geschah es bisweilen, während er mischte, bis zu den Hüften entblößt, und mit beiden Händen die große Eisenstange handhabte dass Tränen hinabfielen, Tränen geistiger Erschöpfung, von seinem Gesicht in den Topf, und von seiner Brust, und aus seinen Achselhöhlen, durch seine Anstrengungen hervorgerufene dicke Schweißperlen, ebenfalls in den Topf. Auch seine seelischen Reserven wurden auf eine harte Probe gestellt, so groß war sein Verantwortungsbewusstsein. Denn er wusste, so als hatte man es ihm gesagt, dass das Rezept dieses Gerichts seit seiner Zusammenstellung vor langer, langer Zeit nie verändert worden war und dass die Auswahl, die Dosierung und die Mengen der nötigen Zutaten mit der peinlichsten Genauigkeit berechnet worden waren, um Mr. Knott für eine Folge von vierzehn vollen Mahlzeiten, das heißt sieben vollen Mittagsmahlzeiten und sieben vollen Abendmahlzeiten, ein mit der Erhaltung seiner Gesundheit vereinbares Höchstmass an Genuss zu gewähren.Dieses Gericht wurde Mr. Knott kalt, in einem Napf, um Punkt zwölf Uhr mittags und pünktlich um sieben Uhr abends das ganze Jahr hindurch serviert.“
Watt ist einer der Diener von Knott. Watt, als der übliche Ritualist, macht sich und alles andere Dienstliche mit, ist dieserhalb weder glücklich noch unglücklich, es passiert halt das vorübergehende Vorkommende, abgesehen von dem, was nicht passiert und was sonst noch hätte passieren können. Es geschieht. Riten sind Handlungen, denen sorgsam jeder erkennbare Zweck wegoperiert wurde. Hier zum Zwecke der methodisch konstruierten Sinnlosigkeits-Stiftung.
Man muss also gewisse Qualifikationen als Leser mitbringen, wenn man es mit diesem Lesestoff aufnehmen will. Es darf einem nichts ausmachen, seitenweise Beschreibungsprosa darüber durchzustehen, dass Watt nach rechts gesehen hat, gefolgt von ebenfalls seitenweisen Reflexionen darüber, dass er doch ebenso nach links hätte schauen können und dass ihn dabei jemand hätte beobachten können, derjenige es aber auch hätte sein lassen können. Man muss also der Strukturleserei was abgewinnen können, um in den Genuss der Absurdität zu kommen, die unentwegt Konstrukte sorgsam und umsichtig aufbaut, nur um sie auf ihrem Höhepunkt der Komplexität ins Nichts verpuffen zu lassen. Wer den Absurdismus unterhaltsamer haben will, der lese Becketts Murphy. Niederschmetternd auferbaulich. Falsch: auferbaulich niederschmetternd!
By the way:
Das gellende Lachen
des Austrägers jenes wöchentlich angelieferten Pfundes von zeitungsförmigem Werbematerial, der mich bei meiner seit Jahrzehnten geübten Handbewegung erwischte, die sein mühsam Herangeschlepptes aus dem Briefkasten ungesichtet in den Papiercontainer entsorgte,
ist leider reine Literatur.
Ein Mensch, dem ich mit der Mitteilung dieses Memorabiles etwas zu verstehen geben wollte, zeigte sich prompt vom Gegenteil überzeugt:„Wieso? Das kommt doch allen Beteiligten zugute. Ich habe selber geradezu dankbare Leute gesehen, die damit einkaufen gingen.“
Seitdem sind wir nicht mehr so gut bekannt miteinander.
gitano - 25. Jan, 09:23