Moralinstinkte
als Kulturprogramm, oder „Ich bin in einer Irrenanstalt!“
Elias Canettis Blendung
Canetti ist der einzige Dichter-Denker, der den Hass so ernst genommen hat, dass er ihm und seinen Verzweigungen ein Lebenswerk gewidmet hat.
Das macht ihn notwendigerweise zu einem scharfsichtigen Moralkritiker. Denn die Moral ist immer schon mit ihm fertig, bevor sie ihn ins Auge zu fassen gedenkt. Sie weiß über ihn eigentlich nur zu berichten, dass er in Abwesenheit und Mangel von Liebe bestehe.
Der von Canetti gesichtete Zusammenhang von Hass und dem Stachel des Befehls, der in jedem gesellschaftlichen Machtverhältnis schwärt, verwahrt sich gegen solche Zumutung, die Hand liebend küssen zu sollen, die einen züchtigt. Geht also über die dumpfen Empfehlungen von Leute-Ausrichtern insofern hinaus, als die wohlbekannte Dialektik der Moral hinterfotzig sistiert wird zugunsten der Gratifikation, die in ihr steckt.
Keiner der schwarzen Moralisten hat das Menschenfresserische der Moral, also ihre Funktion und Wirkung so inständig verfolgt wie Canetti. Hier ein paar Facetten seiner giftigen Beobachtungen.
- Er betrinkt sich an den Fehlern der anderen, ein Trunkenbold der Moral.
- Ein Mensch, der sich allmählich in ein schlechtes Gewissen verwandelt. Aber es ist ihm so wohl dabei.
- Er hält sich für besser als sich selbst, es ist ihm angenehm, eine so gute und eine so schlechte Meinung von sich zu haben.
- Das Schuldgerede, durch das man sein Dasein fristet.
- O guter Mensch, wen noch willst du in deinen Bettelsack stecken?
- Er tröstet sich für seine Erfolglosigkeit mit Reinheit.
- Ich habe es satt, dass jeder Mensch alle anderen immer nur seiner eigenen schlechten Eigenschaften beschuldigt!-
Was immer ihre Tätigkeit, die Tätigen halten sich für besser.
Das gilt selbstverständlich für sämtliche Generäle, Puritaner, und alle möglichen anderen Superlative auf zwei Beinen, die immerzu instinktiv das Richtige tun: -Alle vergeudete Verehrung.
Canettis Folgerung aus diesem Befund: wenn man denn schon menschen- und selbstbildlich aufeinander losgehen muß, dann wäre es das Ungefährlichste, etwas zu hassen, dem damit kein Eintrag geschieht: Kampf dem Tod.
Listig ist das schon, aber genau so ein Moral- Reetablierungstrick wie bei Nietzsche, der eine konkurrierende Privatmoral gegen die soeben von ihm in Grund und Boden kritisierte entwirft, als ob er eine höhere Tochter wäre, die unter die Veganer geht, weil ihre Mutter was mit dem Fleischer hat.
Man halte sich in all diesen Fällen lieber an die bessere Hälfte der bürgerlichen Selbstkritik, ihre analytische Schärfe, bevor sie in den nächsten Fehler verfällt.
Moral pflegt in Büchern – wen wundert´ s? - als Sprache aufzutauchen. Und es wird einem unheimlich zu Mute, wenn in Canettis Roman Die Blendung die moralische Phrase als nicht durchschaute Welt der Interessen vorgeführt, aber von keinem der Akteure durchschaut wird. Im Kopf des Büchernarrs Kien, der - getrennt von der Welt - ein traditionalistisches Bücheruniversum seit Konfuzius bereit hält, geht unverhältnismäßig mehr vor sich, als in der verzerrten Kommunikation mit seiner angetrauten Haushälterin drin ist.
Dem Grundgesetz der Groteske gemäß suchen die Figurenperspektiven dieses Romans vergeblich nach der Geltung der von ihnen für gültig erachteten Werte und sind regelmäßig schwer in ihrer Person gekränkt, wenn sich wieder mal erweist, dass nirgends gilt, was alle propagieren. Man lese und staune über folgende Verarbeitung eines Zwists um Sitzplätze in der Straßenbahn, den eine Mutter aus dem ihr ja wohl zustehenden Muttertrieb für ihre Kinder anzettelt. In der - im Streit zu Schaden gekommenen - Kontrahentin Therese lesen wir Folgendes vorgehen:
„Man hatte sie beleidigt, sie musste sich wehren. Ihre Erwiderung war so unfein wie der Angriff. Sie trug keine Schuld. Therese sank auf ihren Sitz zurück. Niemand, auch der Herr neben ihr, dem sie den Platz verschafft hatte, nahm für sie Partei. Die Welt war von Kinderfreundlichkeit verseucht.“
Das Zitat stehe symptomatisch für eine Parabel über einen weiblichen „Herrn Karl“ und dessen erbleichen machende Rechtschaffenheit. Da alle Figuren auf der Gültigkeit dessen beharren, was ihnen die Wirklichkeit in der Geltung vorenthält, geht - irgendwie logischerweise - diese Weltusurpation unter der Flagge enttäuschter Idiotismen schließlich in Flammen auf. Wie der gebildete Wiener sagt: vorläufig definitiv.
Man beachte, das sind keine Blinden, die da herumtapern.
Da wurde laut Titelmetapher höchst aktiv geblendet. Von wem? Und da will es dem deutenden Blick so scheinen, als ob das Thema sei: selbstinduzierte Beihilfe zur Realitätsverkennung... und unterlassene Hilfeleistung bei entgleisten Selbstmythisierungen...und innerliches Einverständnis unter consenting adults, denen am Verstehen ihrer einsamen Kopfinhalte nichts liegt, weil diese - methodisch ihren abstrakten Wahn pflegenden Gestalten - mit sich und ihrem entfremdeten Aneinander - Vorbei sturzzufrieden sind.
Elias Canettis Blendung
Canetti ist der einzige Dichter-Denker, der den Hass so ernst genommen hat, dass er ihm und seinen Verzweigungen ein Lebenswerk gewidmet hat.
Das macht ihn notwendigerweise zu einem scharfsichtigen Moralkritiker. Denn die Moral ist immer schon mit ihm fertig, bevor sie ihn ins Auge zu fassen gedenkt. Sie weiß über ihn eigentlich nur zu berichten, dass er in Abwesenheit und Mangel von Liebe bestehe.
Der von Canetti gesichtete Zusammenhang von Hass und dem Stachel des Befehls, der in jedem gesellschaftlichen Machtverhältnis schwärt, verwahrt sich gegen solche Zumutung, die Hand liebend küssen zu sollen, die einen züchtigt. Geht also über die dumpfen Empfehlungen von Leute-Ausrichtern insofern hinaus, als die wohlbekannte Dialektik der Moral hinterfotzig sistiert wird zugunsten der Gratifikation, die in ihr steckt.
Keiner der schwarzen Moralisten hat das Menschenfresserische der Moral, also ihre Funktion und Wirkung so inständig verfolgt wie Canetti. Hier ein paar Facetten seiner giftigen Beobachtungen.
- Er betrinkt sich an den Fehlern der anderen, ein Trunkenbold der Moral.
- Ein Mensch, der sich allmählich in ein schlechtes Gewissen verwandelt. Aber es ist ihm so wohl dabei.
- Er hält sich für besser als sich selbst, es ist ihm angenehm, eine so gute und eine so schlechte Meinung von sich zu haben.
- Das Schuldgerede, durch das man sein Dasein fristet.
- O guter Mensch, wen noch willst du in deinen Bettelsack stecken?
- Er tröstet sich für seine Erfolglosigkeit mit Reinheit.
- Ich habe es satt, dass jeder Mensch alle anderen immer nur seiner eigenen schlechten Eigenschaften beschuldigt!-
Was immer ihre Tätigkeit, die Tätigen halten sich für besser.
Das gilt selbstverständlich für sämtliche Generäle, Puritaner, und alle möglichen anderen Superlative auf zwei Beinen, die immerzu instinktiv das Richtige tun: -Alle vergeudete Verehrung.
Canettis Folgerung aus diesem Befund: wenn man denn schon menschen- und selbstbildlich aufeinander losgehen muß, dann wäre es das Ungefährlichste, etwas zu hassen, dem damit kein Eintrag geschieht: Kampf dem Tod.
Listig ist das schon, aber genau so ein Moral- Reetablierungstrick wie bei Nietzsche, der eine konkurrierende Privatmoral gegen die soeben von ihm in Grund und Boden kritisierte entwirft, als ob er eine höhere Tochter wäre, die unter die Veganer geht, weil ihre Mutter was mit dem Fleischer hat.
Man halte sich in all diesen Fällen lieber an die bessere Hälfte der bürgerlichen Selbstkritik, ihre analytische Schärfe, bevor sie in den nächsten Fehler verfällt.
Moral pflegt in Büchern – wen wundert´ s? - als Sprache aufzutauchen. Und es wird einem unheimlich zu Mute, wenn in Canettis Roman Die Blendung die moralische Phrase als nicht durchschaute Welt der Interessen vorgeführt, aber von keinem der Akteure durchschaut wird. Im Kopf des Büchernarrs Kien, der - getrennt von der Welt - ein traditionalistisches Bücheruniversum seit Konfuzius bereit hält, geht unverhältnismäßig mehr vor sich, als in der verzerrten Kommunikation mit seiner angetrauten Haushälterin drin ist.
Dem Grundgesetz der Groteske gemäß suchen die Figurenperspektiven dieses Romans vergeblich nach der Geltung der von ihnen für gültig erachteten Werte und sind regelmäßig schwer in ihrer Person gekränkt, wenn sich wieder mal erweist, dass nirgends gilt, was alle propagieren. Man lese und staune über folgende Verarbeitung eines Zwists um Sitzplätze in der Straßenbahn, den eine Mutter aus dem ihr ja wohl zustehenden Muttertrieb für ihre Kinder anzettelt. In der - im Streit zu Schaden gekommenen - Kontrahentin Therese lesen wir Folgendes vorgehen:
„Man hatte sie beleidigt, sie musste sich wehren. Ihre Erwiderung war so unfein wie der Angriff. Sie trug keine Schuld. Therese sank auf ihren Sitz zurück. Niemand, auch der Herr neben ihr, dem sie den Platz verschafft hatte, nahm für sie Partei. Die Welt war von Kinderfreundlichkeit verseucht.“
Das Zitat stehe symptomatisch für eine Parabel über einen weiblichen „Herrn Karl“ und dessen erbleichen machende Rechtschaffenheit. Da alle Figuren auf der Gültigkeit dessen beharren, was ihnen die Wirklichkeit in der Geltung vorenthält, geht - irgendwie logischerweise - diese Weltusurpation unter der Flagge enttäuschter Idiotismen schließlich in Flammen auf. Wie der gebildete Wiener sagt: vorläufig definitiv.
Man beachte, das sind keine Blinden, die da herumtapern.
Da wurde laut Titelmetapher höchst aktiv geblendet. Von wem? Und da will es dem deutenden Blick so scheinen, als ob das Thema sei: selbstinduzierte Beihilfe zur Realitätsverkennung... und unterlassene Hilfeleistung bei entgleisten Selbstmythisierungen...und innerliches Einverständnis unter consenting adults, denen am Verstehen ihrer einsamen Kopfinhalte nichts liegt, weil diese - methodisch ihren abstrakten Wahn pflegenden Gestalten - mit sich und ihrem entfremdeten Aneinander - Vorbei sturzzufrieden sind.
gitano - 30. Jan, 17:09