Dienstag, 1. April 2008

Notwendigkeit des Hasses


Die schwarze Haut des Knechts in der weissen Maske des Arrivierenden: Frantz Fanons Manifest.

Die Beziehung zwischen dem Kolonialherrn und dem Kolonisierten ist eine Massenbeziehung. Der Zahl setzt der Kolonialherr seine Stärke entgegen. Der Kolonialherr ist ein Exibitionist. Sein Sicherheitsbedürfnis führt ihn dazu, den Kolonisierten mit lauter Stimme daran zu erinnern: "Der Herr hier bin ich." Der Kolonialherr hält beim Kolonisierten eine Wut aufrecht, die er am Ausbrechen hindert. Der Kolonisierte ist in die engen Maschen des Kolonialismus eingezwängt. Aber wir haben gesehen, dass der Kolonialherr nur eine Pseudo-Versteinerung erreicht. Die Muskelspannung des Kolonisierten befreit sich periodisch in blutigen Explosionen: Stammesfehden, Cof-Kämpfe, in denen sich ganze Gruppen von Einheimischen aufreiben, und Schlägereien zwischen einzelnen. Auf der individuellen Stufe findet man eine wahre Negation des gesunden Menschenverstandes. Während der Kolonialherr oder der Polizist den Kolonisierten den ganzen Tag lang ungestraft schlagen, beschimpfen, auf die Knie zwingen kann, wird derselbe Kolonisierte beim geringsten feindlichen oder aggressiven Blick eines anderen Kolonisierten sein Messer ziehen. Denn die letzte Zuflucht des Kolonisierten besteht darin, seine Würde gegenüber seinesgleichen zu verteidigen. In den Stammesfehden leben die alten, in das kollektive Gedächtnis eingegangenen Ressentiments wieder auf. Der Kolonisierte stürzt sich mit Haut und Haaren in derartige Racheakte und will sich dadurch einreden, dass der Kolonialismus nicht existiere, dass alles so geblieben sei wie früher, dass seine Geschichte einfach weitergehe. Wir haben es hier eindeutig mit einer kollektiven Form von Ersatzhandlungen zu tun.
(Frantz Fanon)

Die von den Kolonisierten bewohnte Zone ist der von den Kolonialherren bewohnten Zone nicht komplementär. Die beiden Zonen stehen im Gegensatz zueinander, aber nicht im Dienste einer höheren Einheit. Beherrscht von einer rein aristotelischen Logik, gehorchen sie dem Prinzip des gegenseitigen sich Ausschließens: es gibt keine mögliche Versöhnung, eines der beiden Glieder ist zuviel. Die Stadt des Kolonialherrn ist eine stabile Stadt, ganz aus Stein und Eisen. Es ist eine erleuchtete, asphaltierte Stadt, in der die Mülleimer immer von unbekannten, nie gesehenen, nicht einmal erträumten Resten überquellen. Die Füße des Kolonialherrn sind niemals sichtbar, außer vielleicht am Meer, aber man kommt niemals nah genug an sie heran. Von soliden Schuhen geschützte Füße, während die Straßen ihrer Städte sauber, glatt, ohne Löcher, ohne Steine sind. Die Stadt des Kolonialherrn ist eine gemästete, faule Stadt, ihr Bauch ist ständig voll von guten Dingen. Die Stadt des Kolonialherrn ist eine Stadt von Weißen, von Ausländern.
Die Stadt des Kolonisierten, oder zumindest die Eingeborenenstadt, das Negerdorf, die Medina, das Reservat, ist ein schlecht berufener Ort, von schlecht berufenen Menschen bevölkert. Man wird dort irgendwo, irgendwie geboren. Man stirbt dort irgendwie, an irgendwas. Es ist eine Welt ohne Zwischenräume, die Menschen sitzen hier einer auf dem anderen, die Hütten eine auf der andern. Die Stadt des Kolonisierten ist eine ausgehungerte Stadt, ausgehungert nach Brot, Fleisch, Schuhen, Kohle, Licht. Die Stadt des Kolonisierten ist eine niedergekauerte Stadt, eine Stadt auf Knien, eine hingelümmelte Stadt...
Frantz Fanon. Die Verdammten dieser Erde.
Frankfurt am Main, 1966, S. 32.

Nur in einem irrt Fanon: das steht im Dienst einer höheren Einheit. Und der Ausschluss ist einer der vom Herrn bedingten Zulassung.
Dass es das Verreckenmachen eines nicht funktional gehaltenen Teils eines ganzen Kontinents durchaus geben könnte, war in der Phase der Entkolonialisierung noch nicht Thema, weil nicht sichtbar.


Heute hat die Utopie eine ganz schlechte Presse.
Wen das in seinem Behagen stört, dem kann ich mit einem kulturell unanfechtbaren Diktum aus dem Munde Friedrichs II. von Hohenstaufen, dem seinerzeitigen "Wunder der Welt" auf die vor Autoritativem strauchelnden Beine helfen:
"Den lieb ich, der Unmögliches begehrt."
Solches hat ihm allerdings den ehrenden Übernamen und Bannspruch "Antichrist" eingebracht.
Oder war es vielleicht doch mal wieder Goethes ganz falsch strukturierter "Faust"?

Als ob man dem eigenen Vorlaufen in die Heilung je entkommen könnte, wenn man vom System des Vorlaufs von Konsum vor geldbringend verbrauchter Lebenszeit nichts hält, und auch nicht vor ihm hält!

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