Antike Modernität
Wenn die ehrfuerchtige Froemmigkeit der aelteren Tragiker deren Stuecke gleichsam mit einem Abglanz des Himmels ueberstroemt, wenn die Abgeschlossenheit des engen Horizontes der aelteren
Hellenen auch ueber den Hoerer ihre befriedende Macht uebt, so erscheint die Euripideische Welt in dem fahlen Schimmer der Spekulation so entgoettlicht wie durchgeistigt, und truebe Leidenschaften zucken wie die Blitze durch die grauen
Wolken hin. Der alte, tiefe innerliche Schicksalsglaube ist verschwunden; das Fatum regiert als aeusserlich despotische Macht, und knirschend tragen die Knechte ihre Fesseln. Derjenige Unglaube, welcher der verzweifelnde Glaube ist, redet aus diesem Dichter mit daemonischer Gewalt. Notwendigerweise gelangt also
der Dichter niemals zu einer ihn selber ueberwaeltigenden plastischen Konzeption und niemals zu einer wahrhaft poetischen Wirkung im ganzen; weshalb er auch sich gegen die Komposition seiner Trauerspiele gewissermassen gleichgueltig verhalten, ja hierin nicht selten geradezu gesudelt und seinen Stuecken weder in
einer Handlung noch in einer Persoenlichkeit einen Mittelpunkt gegeben hat - die liederliche Manier, den Knoten durch den Prolog zu schuerzen und durch eine Goettererscheinung oder eine aehnliche Plumpheit zu loesen, hat recht eigentlich
Euripides aufgebracht. Alle Wirkung liegt bei ihm im Detail, und mit allerdings grosser Kunst ist hierin von allen Seiten alles aufgeboten, um den unersetzlichen Mangel poetischer Totalitaet zu verdecken. Euripides ist Meister in den sogenannten Effekten, welche in der Regel sinnlich sentimental gefaerbt sind und oft noch durch einen besonderen Hautgout, zum Beispiel durch Verwehung
von Liebesstoffen mit Mord oder Inzest, die Sinnlichkeit stacheln.
(Mommsen: Römische Geschichte)
Hellenen auch ueber den Hoerer ihre befriedende Macht uebt, so erscheint die Euripideische Welt in dem fahlen Schimmer der Spekulation so entgoettlicht wie durchgeistigt, und truebe Leidenschaften zucken wie die Blitze durch die grauen
Wolken hin. Der alte, tiefe innerliche Schicksalsglaube ist verschwunden; das Fatum regiert als aeusserlich despotische Macht, und knirschend tragen die Knechte ihre Fesseln. Derjenige Unglaube, welcher der verzweifelnde Glaube ist, redet aus diesem Dichter mit daemonischer Gewalt. Notwendigerweise gelangt also
der Dichter niemals zu einer ihn selber ueberwaeltigenden plastischen Konzeption und niemals zu einer wahrhaft poetischen Wirkung im ganzen; weshalb er auch sich gegen die Komposition seiner Trauerspiele gewissermassen gleichgueltig verhalten, ja hierin nicht selten geradezu gesudelt und seinen Stuecken weder in
einer Handlung noch in einer Persoenlichkeit einen Mittelpunkt gegeben hat - die liederliche Manier, den Knoten durch den Prolog zu schuerzen und durch eine Goettererscheinung oder eine aehnliche Plumpheit zu loesen, hat recht eigentlich
Euripides aufgebracht. Alle Wirkung liegt bei ihm im Detail, und mit allerdings grosser Kunst ist hierin von allen Seiten alles aufgeboten, um den unersetzlichen Mangel poetischer Totalitaet zu verdecken. Euripides ist Meister in den sogenannten Effekten, welche in der Regel sinnlich sentimental gefaerbt sind und oft noch durch einen besonderen Hautgout, zum Beispiel durch Verwehung
von Liebesstoffen mit Mord oder Inzest, die Sinnlichkeit stacheln.
(Mommsen: Römische Geschichte)
gitano - 21. Aug, 09:54