Donnerstag, 15. Mai 2008

Marokko (14. Feb.-28.Feb. 2008)

immer wenn es mir gar nicht so recht gefallen will auf meinen manchmal doch recht anstrengenden und auch schon mal öden Reisen, dann brauche ich bloß an dich, geneigter Leser, und und dein Erwerbspflichtsleben zu denken, und schon geht es mir schlagartig besser. Ich erinnere mich nämlich dunkel an ein empörend unausgewogenes Lohn-Leistungsverhältnis unter Bedingungen, die sich mit meinen sonstigen Interessen immerzu stießen. Etwas Besseres als diesen seinerzeitigen Tod auf Raten finde ich überall.

Weiss nicht, bis wohin du meine Bewegungen in Raum und Zeit mitverfolgt hast. Nach der backpacker-Reise nach Nord-Indien im letzten Spätjahr wollte ich mir das Leben etwas leichter machen. Buchte also Grupppenreisen nach Marokko und der Türkei (Lykische Küste und Kappadokien).

Marokko war ein Reinfall.
Die Marokkogruppe war eine Zumutung. Die bestand nämlich aus zwei dominanten und militanten Berufs-Christen von der ökumenischen Sorte, und einem Pack junger Leute, die sich von denen herumschubsen ließen. Stell dir vor: wir mußten vor und nach dem Essen beten! Ohne "Bismillah" (Im Namen Allahs) und "Hamdullillah" (Dank sei Gott) lief da nix.
Erst habe ich gar nichts gemerkt, weil ich mit meinem allfrühjährlichen fiebrigen Infekt zu kämpfen hatte: also Essen rein, sobald dir einer was in die Hand drückt, und weg von der Nahrungsaufnahme, sobald die erledigt ist, und zur Regeneration ins Zelt. Als ich dann einigermaßen zurechnungsfähig unter den Lebenden auftauchte, war es schon zu spät.

Ich habe mich freilich dem Gruppendruck nicht gebeugt. Diese praktische Infragestellung ihres sinnbedürftigen Ritualismus brachte die Gruppe dermaßen gegen mich auf, daß ich der Steinigung nur deswegen entging, weil die Nordwest-Sahara aus Sanddünen besteht, und eben keine handlichen Felsbrocken herumliegen. Dafür mußte ich mir häßliche Redensarten und Kommentare anhören über alles, was ich sagte oder nicht sagte, machte oder eben nicht machte. Hätte nicht gedacht, daß man sogar falsch atmen kann.
Schließlich nahm mich eine Teilnehmerin beiseite. Die hatte mich durchschaut: gegen Erziehungsversuche ist der resistent, also komme ich ihm mit einer Bitte...! Ganz schön raffiniert. Da bin ich nämlich entwaffnet, machtlos, Wachs in fremden Händen. Hätte zwar Lust gehabt, darauf hinzuweisen, daß diese Gruppe ständig und gnadenlos auf meinen unchristlichen Gefühlen herumtrampelt....

Ansonsten war die Wüste natürlich schon ein starkes Erlebnis, und von ritualabhängigen Sinnhubern lasse ich mir die Laune nicht verderben.
Die Schärfe der Auseinandersetzung mit der Gruppe hatte einen Grund: Normen und der Regelgehorsam erscheinen immer dann als überaus wichtig, wenn Sinnentzug droht.
Außer gelegentlichen Anwandlungen des Schönheitsempfindens gibt es in der Wüste nämlich buchstäblich nichts.
Du bist reduziert auf Elementarstes: Gehen. Und das wird von Stunde zu Stunde schwerer.
Die westliche Intelligenz mit all ihren Konzepten des Fortschritts, der Bedeutsamkeit von Individualität und christlicher Staatsfrömmigkeit läuft hier ins Leere. Nichts bestätigt die erworbenen Überzeugungen. Und zu brauchen ist das hier draußen wie ein Schlag ins Gesicht.
Der Sandsturm quält und schleift dich in eine Form, die dir unbekannt vorkommt, also ganz neu ist.. Zu sehen und zu hören im Gekreisch des Sturms ist nichts mehr. Geh schneller, sonst verlierst du den Vordermann und dich in der Wüste.

Die Berber, die da wohnen, haben außer der Härte ihrer Entbehrungen und Widerwärtigkeiten nur sich selbst und ihre Familie. Waren noch nicht einmal in Marrakesch. Und es scheint ihnen nichts zu fehlen. Abends trommeln sie erregende Rhythmen auf den leeren Wasserkanistern und singen sich in Ekstase. Betreten lernt der hochintelligente Westeuropäer, dass Kultur ein befriedigendes, aktives Vergessenmachen der täglichen Qual ist. Der Vergleich mit den heimischen, abendlichen Isolationskillerbegierden fällt nicht zu Gunsten des westeuropäischen Lebenszuschnitts aus.
Alles stellt ihn hier in Frage.

Und dann komme auch noch ich, der so leicht nichts gelten lässt, was so an schrillen Nichtigkeiten der Persönlichkeitspflege ausgebreitet wird.
Die Juden haben es vorgemacht: in absolut feindlicher Umgebung gibt es nur das sture Festhalten am Ritual der Väter, und am Text, mit dem sie dir ein Gedächtnis machten.
Hier wird gebetet, unappetitlicher Kerl, und damit basta.!
Die Wüste ist ein Geburtsort reaktionärer Weisheiten. Immer gewesen.

Naturkatastrophen

15 000 Tote durch Wirbelsturm in Birma, mehr als 20 000 Tote durch Erdbeben in China, 60 Jahre Israel.
Hier steht übrigens nicht, dass ich für die Palästinenser und gegen die Israelis bin.

Staatsmonopolistischer Kapitalismus (Stamokap)
Ishmael stand mit anderen ganz aufgeregt vor der als bankrott gemeldeten Bank. Ein besonnener Nachbar redete ihm gut zu:
„Verzage doch nicht, Ishmael! Vertrau auf die Großmut des Staates. Der wird dich bei der Sanierung hoch entschädigen.“
Ishmael gallig:
„Wenn es derselbe Staat ist, den ich schon kenne, dann nicht für weniger als ihm erst mal von unseren Steuern zusteht.“

Zirkel, vitioser
Den Hass ernst zu nehmen, bewahrt vor den hochherzigen Unbedachtsamkeiten der Öffentlichkeitsarbeit in Sachen Liebe, die ewig nur dazu führen, dass man den Hass ernst nehmen muss.

Mittagsstille
Einen Gedanken erkennt man daran, dass es völlig gleichgültig ist, wer da oben oder unten liegt. Daher der panische Schrecken dessen, der sich ungewohnterweise auf einem ertappt.
„Man darf gar nicht daran denken“ hieß das als Sprachdenkmal in meiner Herkunftsgeneration.

Kismet
Koran:„Shit happens.“
Christentum: „Shit happens“, weil deine Ureltern bösi-bösi macht haben.
Rastafari:„Smoke shit“

I´d prefer not to overstand.

St. Georg
Ein Märtyrer dieses Namens starb 303 in Kappadokien.
Nach 800 Jahren geistert zu Zeiten der Kreuzzüge ein berittener Drachentöter dieses Namens auf weißem Ross gen Orient, um dem Bösen mit Rüstung und Speer heimzuleuchten. Seither entrollen die weißen Ritter immer mal wieder bei passender Gelegenheit das blutrote Kreuz auf ihren schneeweißen Fahnen von Georgien bis Georg Bush.
Diese Story vom Pferd den interessierten Umtrieben der Kurie ans Bein zu binden, ist falsch: den Erzengel Michael gibt es in den abrahamitischen Religionen von Anfang an. Herrschaft und Heil sollen sich eben wechselseitig auseinander verstehen, und das eine aus dem anderen interpretiert werden, und zwar von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Verklärung
ER hat den Schoß der Jungfrau nicht gescheut.
Wie sollte diese prä - figurierende Hochzeit von glorioser Begeistung der Materie nicht das analoge Versprechen einer dermaleinstigen Auferstehung im Fleische beinhalten?
Das Leben wäre demnach ein quälend langes Erwachen aus einem pänatalen Alptraum.

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