Sonntag, 29. Juli 2007

Rücksichtslosigkeit

Ich muß zugeben: ich liebe das weblog.

Man braucht wegen des anonymisierten Adressaten keinerlei Rücksicht zu nehmen auf die Reizschwellen, Idiosynkrasien, Handicaps und Hangups des Gegenübers, die eine objektive Lagebeurteilung fast verunmöglichen, weil da immer unter Vorbehalt formuliert zu werden hat, und nicht die Sache selbst sprechen gemacht werden darf.
Diese übliche, aber nicht sehr hilfreiche Selbstunterstellung unter ein wechselseitiges Wohlwollen mag zwar als Kulturtechnik unter netten Leuten eine gewisse Bedeutung haben, aber die Auffassung, dass diese Leute sich in ihrem Handeln von der gestrengen Herrin Tugend leiten ließen, ist schlicht falsch.

Mal den Gedanken ernst genommen, dass das Prizip der Wahrung des fremden Wohls bei der Verfolgung des eigenen tatsächlich das „handlungsleitende Interesse“ bildete, ergäbe sich an der engen Tür zum Sitzungssaal folgende ergötzliche Szene:

„Bitte nach Ihnen…“

„Aber nein, Bitte nach Ihnen..“

„Kommt gar nicht in Frage. Bitte nach Ihnen.“
….
Wir wollen hoffen, dass die Unerbittlichkeit dieses Prinzips nur eine eingebildete ist. Sonst stehen die beiden Turner am Hochreck der tugendhaften Wahrung fremder Interessen nämlich auch heute Nacht noch da, und die Sitzung muß vertagt werden.

Sehen wir das Bild in die Sache hinein verallgemeinert doch mal so:

Warum sollte einer, dem ich Macht über mich gegeben habe, ausgerechnet mein Interesse verfolgen. Den Mann müsste man doch glatt für verrückt erklären.
Daß es so auf der Welt nicht zugeht, illustriert vielleicht gar nicht schlecht folgende Anekdote:

Die völlig verarmte Witwe eines kürzlich kriegeshalber verstorbenen Proviantmeisters kam beim alten Fritz mit der Petition um eine kleine Unterstützung ihrer absoluten Mittellosigkeit ein.
Der Friedrich, der ohne alle Ironie Grosse, lehnte mit der handschriftlichen Begründung ab:
„Ich habe ihn an die Krippe gebunden. Warum hat er nicht gefressen.“
Damit ist der Feudalismus zu Grabe getragen und die Freiheit des modernen Staats, der sich gegen die Ansprüche seiner Untertanen zu wehren weiß, ist aus der Taufe gehoben. Wenigstens schon mal prinzipiell. Näheres regelt dann ein ewig novellierungsbedürftiges Gesetz.
Aus unseren Tagen, die ein weltweites Erblühen dieser grundlegenden Verbindlichkeit erlebt, stammt das lehrreiche Faktum, dass die Italiener ihren erfolgreichen Politgangster Berlusconi zu einem statistisch relevanten Prozentsatz vergöttert haben.
Dem Leser mögen tausend weitere Beispiele einfallen.

Wie das da so steht, ist das schon wieder so ein Ding, das einem was erklärt, also den Grund mit der Sache nennt, was übrigens in akademischen Kreisen verpönt ist, ja geradezu für unmöglich erklärt wird. Ebenso folgenlose sittliche Empörung wäre statt dessen das durchhaus erwünschte Resultat der professionellen Menschenbildnerei.

Es ist nämlich schon lange her, dass am Goethe die Seite seiner prosaischen Realitätszugewandtheit für tradierenswert erachtet wurde:
Der Handelnde ist immer gewissenlos, es hat niemand Gewissen als der Betrachtende.“

Samstag, 28. Juli 2007

A-, -los, in-, un-, pseudo…


Gebe gerne zu, dass die kulturell hochgeschätzte Verarbeitungstechnik ("Das ausfallende Mittagessen wird durch stramme Haltung ersetzt!") namens Moral in allen ihren Sparten großen Spaß macht.

1) Beispiel aus der entlastenden Witzkiste:

Frage: Wieviele amerikanische Neocons benötigt man, um eine Glühbirne auszuwechseln?
Antwort: Neocons geben sich mit Glühbirnen gar nicht erst ab. Sie erklären gleich einen "Krieg gegen die Dunkelheit" und zünden das ganze Haus an.

Und nun, wo wir unseren Spaß hatten, ist uns, als ob da einer „unverantwortlich“ gerufen hätte, und gleich hinterher:“ Dixi et salvavi animam meam.“

2) „Unverantwortlich“ kraaakehlt (ich weiß, daß das orthographisch nicht korrekt ist!) Hillary Clinton als Präsidentschaftskandidatin über Osabas Programm, der seinerseits als Präsidentschaftskandidat Hillarys in die Luft Gemaltes als „unverantwortlich“ ver-pfeift. (Hört man in dieser Verbmetapher eigentlich noch das Murmeltier, das den bösen Adler verpfeift?) Hier nennt ein Jaucheeimer einen Jaucheeimer einen Jaucheeimer. Mehr ist da nicht zu holen.

„Politmarketing“ murmelt der abgeklärte demokratische Souverän und wählt dann doch in all seiner eingebildeten Überlegenheit einen neuen Herrn, von dem er gerade mal weiß, dass der wenigstens daran zu glauben glaubhaft versichert, die Karre demnächst so was von „verantwortlich“ in den Sand zu setzen, weswegen er absehbarerweise einen „Denkzettel“ verpasst kriegt in Form seiner Ablösung durch den nächsten Höchstverantwortlichen.

3) Neuerdings sind die Ökumene-Seelenfänger auf den Papst böse, weil der von seiner Alleinseligmachenden nicht lassen will und alles andere Ge-Christele als „de-fectus“, also als irgendwie „geschwächt; verlassen; mit einer Wunde versehen“ benennt.
Was haben die eigentlich geglaubt? Dass der Papst ihr Angestellter ist, der von der Gemeinde Gewünschtes prompt absegnet? Tja Leute, moralisieren kann jeder, glauben will gelernt sein, d. h. gegen sich selbst durchgehalten werden.

Meine Sorte Menschenfreundlichkeit, die als solche wohl kaum erkannt, geschweige denn anerkannt werden wird, reicht der Unberatenheit in diesen Dingen folgende geistige Hilfestellung:

Das Hantieren mit Privativa (a-historisch, verantwortungs-los, pseudo-revolutionär, in -human…) fuchtelt lediglich mit dem einschüchternden Prügel herum, der die Herde vorhersagbar in den Pferch der Konsentierenden schleichen macht.

Wirklich gesagt hat der Prügel nichts. Trotzdem verstehen ihn alle. Selbst wenn bloß sein Schatten auf sie fällt.

Dieser Geist des Konsenses ist demnach gut erkennbar der von Gedeckelten. Immerzu wollen sie, dass man für ihr Zeug ist, also gegen einen anderen Schmarren.
Bringt einer, der davon nichts hält, (also ein so genannter muckraker, faultfinder, wet blanket mitten im Freizeitpark, Spielverderber, Nörgler, Meckerer, der sich im chercher la petite b´e`te übt… usw.), mit dem Aussprechen des Mechanismus ihre mühsam erworbene Identität an den Bettelstab?

Vermutlich ja.

Denn nur dann, wenn einer aus sich selbst vertrieben ist und nicht mehr weiß, wer er ist, flüchtet er in eine Gesinnungsbrüderschaft und säuft im Klub auf ihrer aller Herzenskumpanei.

Freitag, 27. Juli 2007

Minima Amoralia

Was heute Not täte, wären nicht adornitische Zwergobstsammlungen über Rückzugsgefechte der Integrität vor dem Faschismus.
Und ob die damalige Selbstbewahrung Adornos nicht vielleicht doch bloß die Behauptung war, dass Faschismus nichts mit einem rigorosen Staatsmoralismus zu tun habe, ist auch noch nicht so ganz geklärt.
Klartext meinerseits, damit da gar kein Nebelgefühl aufkommt, bloß weil ich mal wieder aus purer Eitelkeit Selbstgenüssliches drechsele: Faschismus ist die totale Einberufung des Bourgeois als Staatsbürger sans phrase. Die rigorose Abrufung und Indienststellung sämtlicher Tugenden eines solchen, zu denen er sonst in weniger krisenhaften Zeiten gern Lippenbekenntnisse abgibt. Weswegen leider auch stimmt, dass gar mancher Anhänger für sich die Dämlichkeit eines „verführten Idealismus“ reklamieren darf.

Man muß heute durchaus daran erinnern, dass Faschismus nicht identisch mit dem „Holocaust“ ist, zu dem er im Bewusstsein des Normalverbrauchers polit-religiöser Denkfiguren zusammengeschnurrt ist.
Adornos aphoristisch moralisierende Charakterisierung „des Bösen“ am Nationalsozialismus hat der heutigen Schrumpfstufe sicherlich ungewollt Vorschub geleistet.

Um das Missliche des moralisierenden Verfahrens kurz zu skizzieren, folgender Aphorismus:

„Der Antisemitismus ist das Gerücht über die Juden.“

Das bereitet zunächst einmal als überraschender Überfall auf das bislang so noch nicht Gesehene Vergnügen.
Dann aber: das ist der Form nach eine schlichte Definition, keine Bestimmung des im Thema Genannten. Ihr Inhalt verdankt sich der Willkür, ist also nicht dem Gegenstand geschuldet. Um so hässlich zu reden wie der Umstand nun mal ist: es gibt umgekehrt genug Juden, die sämtliche Vorurteile gegen sie einlösen. (Als Vorstellungshilfe, weil mir sonst wieder keiner glaubt: Michel Friedman.)
Offenbar ist im Aphorismus der Gedanke noch nicht an sein Ende gekommen. Er springt als Witzstruktur entweder zu weit oder zu kurz. So ein Verfahren schubst ins angeregte Aufhorchen. Dafür sei er erst mal gelobt.
Dann aber wäre es nicht schlecht, sich zu erinnern, dass man der holden Drangsal des aphoristischen „Denkens“ durchaus entgehen kann.
Meine ständige Berufung aufs Denken ohne moralische Obertöne verwehrt dem Gegenstand nicht zu sein, was ihm beliebt. Er kommt tatsächlich in so vielen Zusammenhängen vor, dass man fast dessen Aufdröslern in seine Funktionen Recht geben möchte. Indem meine Tour aber dazu ermuntert, denkend die Bestimmungen des Gegenstand auszusprechen, verwahrt sie sich gegen die Zumutungen an den Intellekt, die in der Beliebigkeit der Sichtweise nun einmal liegt, und sei sie noch so attraktiv.

Und wenn nun der Antisemitismus die Wahrheit über den Ideologen Numero Uno, den Staat, wäre, der einen inneren Feind ausgemacht haben will? Einen Feind, der seines materiellen Erfolges wegen der Massenarmut eine einleuchtende Erklärung ihres Elends bietet? Der in Südostasien Chinese heißt, oder auch schon mal Christ? Und in Südafrika Hindu?

Dann sind das aber keine Gerüchte. So etwas fällt unter hoheitliche Kritik am Untertanen und unter den sich selbst erteilten Handlungsbedarf des Definitionsmonopolisten.

Es ist eben schlimmer als Adorno sich das gedacht hat. Und dergleichen geschieht in Staaten, die keineswegs von Faschisten und -men angeleitet sind.

Donnerstag, 26. Juli 2007

Epiktet, der Obendrauf/drüberhin-dings

"Nicht die Dinge beunruhigen die Menschen, sondern ihre Meinungen über die Dinge.“

Ja, das glauben mittlerweile alle, auch ohne Anspruch darauf, große Denker zu sein.
Der Bildungsstand des Mitteleuropäers ist nämlich ein erstaunlicher. Was ein merkwürdiges Licht auf die Bildung wirft. Man hat fast den Eindruck, ein Gebildeter sei einer, der alle Ideologien kennt, und im Bedarfsfalle lebhaften Gebrauch von der jeweilig einschlägigen macht. Vor allem beim Korrigieren des lieben Mitmenschen.

Die Werbung und der Spin doctor, in dem Werbung und Propaganda in einander übergehen, weil der promotete Markenartikel Politicus schon die ganze Politik ist, haben in Epiktets Lebenshilfesprüchlein sogar eine verlässliche Grundlage ihrer Revenue ausgemacht.

Von meiner Warte aus gesehen ist das Sprüchlein des stoischen „Obendrauf/drüberhin-dings“ nichts als eine gern angenommene Einladung zum Selbstbetrug, worin meine Zeitgenossen allerdings auch ohne philosophische Anleitung Meister sind. Wäre ich nicht so gebildet und erpicht auf Benevolenz des situationsmächtigen Lesers, würde ich sogar von einem veritablen Selbstbeschiss reden. (Übrigens weiß ich, daß Epi-ktet der "Hinzuerworbene" heißt, also ein Sklave war, der sich mit der psychohygienischen Verarbeitung seiner Lebensumstände hervorragend auskannte.)
Du brauchst nur die Beschriftung zu ändern und schon ist das Gammelfleisch Grundlage der Haute-cuisine?

Im KZ brauchst du wenigstens keine Miete zu zahlen?

Und in der Hölle sparst du jede Menge Heizkosten?

Kein Wunder, dass dir schlecht ist.
Du denkst, daß dir schlecht ist?
Nicht denken, aber immer dran denken: du brauchst nur deine Einstellung zu ändern.

Willkommen in Absurdistan!

Ach, so sei das gar nicht gemeint gewesen? Das beträfe nur die Dinge, auf die ich überhaupt Einfluß habe? Was voraussetzt, dass ich unterscheide zwischen mir Zugänglichem und dem
schicksalhaft Unveränderlichen?
Als ob das nicht alle Welt von sich aus täte! Und nicht längst über den Jordan gegangen wäre, wenn sie´s nicht täte!

Wer grämt sich denn überhaupt darüber, dass es die milchgebende Woll-Honig-Sau nicht gibt? (Utopie, Utopie!)

Komisch. Man selbst weiß sich immer frei von solchen Verirrungen des Geistes, die man als solche ganz schnell durchschaut.
Aber den anderen traut man die Abirrung durchaus zu.
Sei´ s drum! Sollte es tatsächlich Geister geben, die von Herrn Epiktet eigentlich betreut werden müssten:

Willkommen in der Freistatt Albernien!

Zur Klarstellung: Nicht Epiktet ist albern, er verweist ja seinen Schülern ihr ungeprüftes Vertrauen in das, was die als anstrengungslos sicheren Besitz wähnen.

Dabei gibt es das, was die Stoa gerne möchte, durchaus. Oben auf der Oberfläche des Meeres, wo die Dinge sich stoßen, schaukelt es beängstigend, aber unten, auf dem Grunde des Meeres: die ungerührte Stille des Begriffs.

Dienstag, 24. Juli 2007

Slowakei:Tatra und Zips

Freitag, 13. Juli:
Abflug vom Hahn (19:55) nach Bratislava (21:25):

Warum nur muß ich es immer sein, der beim Fliegen neben den dicken Inderinnen zu sitzen kommt, und warum muss immerzu und ausgerechnet in meiner unmittelbaren Nähe eins dieser kleinen, kreischenden Monster seine heftige Abneigung gegen alles ihm Gebotene durch die Phonzahl einer Kreissäge kundtun?

Diesmal war es allerdings bloß eine zeternde Göre.

Dafür haben mich im Hostel drei Spanierinnen daran erinnert, dass das hier unten ein Jammertal ist.
Erstens guckten die mich vorwurfsvoll und strafend an, warum ich überhaupt hier bin und nicht dort, wo ich hingehöre, nämlich zu und bei den Enkelchen, und die am Schaukeln auf den Knien. (Man verzeihe die verkorkste Syntax. Aber die innere Erregung…führt stilistisch zu Anakoluthen) Und zweitens schnarchten die selbdritt - zwar damenhaft dezent - aber doch im Verein - ein gut hörbares Trio bildend - ganze Opern.
Morgens um drei kriegten dann noch zwei britische Spätheimkehrerinnen einfach nicht die Tür von aussen auf. So etwas gibt es also auch.
Und wer muss da wieder den Kavalier spielen, weil sich die Katholikinnen - bis unter die Nase vermummt - irgendwie zu fein dafür waren?

Na, Na?

Genau.

Samstag, 14. Juli: Bahnfahrt nach Poprad (Deutschendorf)

Abfahrt 7:30 Uhr. Als ich nach endlosen zwei Stunden durch das Vahtal (links Puszta, rechts Weingehügele) auf die Uhr schaute, war es gerade mal 8:00 Uhr.
Die Umrüstung der Strecke für die Belange des demnächstigen Schienenverkehrs für Hochgeschwindigkeitszüge erzeugt eben eine Baustelle nach der anderen.

Hinter Schillein hübscht es sich aber gewaltig auf.

Hause diese Woche in einer Ferienwohnung für 400 SK/Tag ( ca. 13,33 €) am ländlichen Stadtrand. Die handgeschöpften Häuser haben vor und hinter sich Fruchtbäume und Gärtlein. Wenn ich nicht schon früh auf krumme Bahnen geraten wäre, hätte ich vermutlich auch mit der Häuserei mich anfreunden können, sinniert der säuselnde Idylliker. So aber war da immer anderes:

Wer die Schönheit angeschaut mit Augen,
Ist dem Tode schon anheimgegeben,
Wird für keinen Dienst auf Erden taugen…

(Platen)
Um nur eins der vielen aufregenden Programme, dem Leben ein durchexerziertes Schnippchen zu schlagen, zu nennen.


Sonntag, 15. Juli:
Eigentlich wollte ich bloß mal so drei bis vier Stunden meine Beine an die Inklination der Berge gewöhnen. Lief zu diesem Zweck zuversichtlich von Strbske Pleso aus hinter einer Art von Völkerwanderung her, die sich zusammensetzte aus wirklich allen Lebensaltern. Die würden ja doch wohl wissen, wo sie hinwollten.

Aber es ist halt nichts mit den ungeprüften Annahmen. Nach zwei Stunden Aufstieg durch eine sich verbreiternde Erosionsrinne kamen mir doch Bedenken, ob das der richtige Plan war. Da stand ich nämlich im abschließenden Talkessel, fühlte mich eingekesselt von zerrissenen Bergsilhouetten wie gigantische schadhafte Unterkiefergebisse und gewahrte ganz links oben am gezähnten Horizont eine bunt gekleidete Ameisenspur im Zickzack einen Überstieg ins nächste Tal anstreben.
Es waren dann halt doch 7 Stunden Rundtour geworden.

Lernte gelegentlich der Rückfahrt mit der Tatrabahn die äußerst ausländerfeindlichen Ticket-Automaten kennen. Drückt man nämlich das Symbol der deutschen Flagge, zahlt man automatisch das Doppelte.

Abends winkte eine Menu -Karte mit der verlockenden Spezialität „gerostete Bullen-Drüse.“
Für heute schien es mir aber dann doch genug mit den kalkulierten Risiken und Experimenten.

Montag, 16. Juni:

Auf der morgendlichen Fahrt zur Tatra ein Ort namens „Pod Lesom“. Das ist sogar mir mit meinen bescheidenen Durchkommer-Kenntnissen des Slawischen als „Unterm Wald“ erkennbar.
Wald? Wo ist denn hier ein Wald? Muß sich wohl um ein historisches Toponym handeln.
Nachfragen ergeben: auf der Höhe zwischen 800 und 1200 m hat ein Sturm im Jahre 2004 Kahlschlag gemacht. Jedenfalls, was die Fichten betrifft.
Die vereinzelt herumstehenden Nadelbäume, die sich auch schon mal zu sehr lockeren Gruppierungen gesellen, sind ausnahmslos Lärchen. Auf dieser ratzekahlen zig-quadratkilometerweiten Bresche eines Windbruchs gedeiht das rosa Waldweidenröschen aufs prächtigste: das ganze Tatra-Dékolleté eine einzige pinke Schmuckkette.

War acht Stunden unterwegs auf der Tatra-Magistrale von Strbske Pleso nach Starý Smokovec. Auch das hatte ich mir ursprünglich anders ausgemalt. Stelle mit gewissem Unbehagen fest, dass das alles früher sehr viel einfacher war.

Dienstag, 17. Juni:
Von dem See unter den Lomnitz-Spitzen auf der Magistrale nach Starý Smokovec. Kein Ruhmesblatt, aber mein Muskelkater (von Panthergröße) diktierte da knurrend Unmissverständliches über allgemein anzuratende Ruhetage.
Das Wetter ist von anhaltend gut warmen 40 Grad, vor allem in den windgeschützten Ecken der Latschenzone. Wegen der kontinentalen Trockenheit des Klimas lässt sich das aber ertragen.

Der Sehnsucht nach Abwesenheit von höherer Bewußtseinstätigkeit tut die Lauferei freilich vollauf Genüge.

Mittwoch, 18. Juni:
Kulturprogramm Leutschau und Zipser Neudorf (Nova Vez) mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Heute und morgen viel farbenfrohe Gotik. Flügelaltäre in filigranem Schnitzwerk. Unaufdringlicher Realismus setzt dieses alte deutsche Siedlungsgebiet ab von den sonst epochal üblichen Stilisierungen.
Halt, auch in Schlesien gibt es diese Sorte Kunstübung zur nämlichen Zeit. Hat die lebenslängliche Not und Plage des Kolonisierers etwas mit der im Realismus aufscheinenden Würde zu tun?
Sonst war und bin ich eher der breitspurigen Ansicht: „Die Vergewisserung im Realismus mag Literatur sein. Aber nur das Gegenteil davon ist Kunst.“
Da sind meine Maßstäbe anscheinend verdorben von der ästhetizistischen Moderne, für die das gelten mag.

Donnerstag, 19. Juni:
Kezmarok (Käsmarkt) mit dem Radl erstrampelt.
Radeln bis der Hintern wehtut.
Immer noch besser als in der Hitze schmoren.

Kezmarok ist einfach schön. Die alten Bürger mögen sich wohl gezofft haben um jedes Brinkel Brot, das diese „friedlichen“ Kaufleute einander nicht gegönnt haben. Nachdem aber jetzt alle Kämpfe und Ränke dahin sind, stehen da die hübschen Häuser am "Rynk" (vom deutschen Wort Ring für den ringförmigen Marktplatz), es bleibt halt die nunmehr fast zweckfreie Schönheit zurück.
Wie bei den Burgen, Schlössern und Ruinen, wo auch keiner mehr an den dahingegangenen Zweck der Stabilisierung von Unterwerfungsverhältnissen denkt.

Der selbstbewusste Zyniker im Reisenden zimmert sich ein markiges Sprücherl über die Funktionalität von Kunst für die Zuhausebleiber:
„Ruhen, Bleiben, keine Kunst. Der
Kunst bedarf´s, das auszuhalten.“

Es gibt da auch eine "Artikularkirche" ganz aus Holz.

-???

Im Zuge der Gegenreformation war den Protestanten per entsprechender Artikulare (auf Latein ist die Schweinerei doch gleich eine ganz andere!) verboten worden, Kirchen aus Stein und Metall zu errichten. Die braven Katholen hofften wohl, dass eine nicht richtig zusammengenagelte Kirche erstens nicht geht, und zweitens: wenn doch, dann bald in sich zusammensinken wird.
Haben nicht mit dem Erfindungsreichtum der Not gerechnet. Nun steht das listig verfugte Gebäude für immerhin 1400 Leute immer noch. Auffällig viel gepinseltes Spruchgut im Verhältnis zu den gemalten Schildereien. Erziehung zum Wortglauben der neuerdings Lesekundigen.

In der Kreuzkirche gab es als Besonderheit zwei Putten zu besichtigen, die keineswegs diese fetten Bäuche der sonstigen barocken Kinder-Engelein aufwiesen. Ich war mir mit der Führerin darin einig, dass die Schlankheit dieser Himmelsboten daher kommt, dass die Tag für Tag über die Tatra einfliegen, um morgens die himmlischen Zeitungen auszutragen.

Samstag, 21. Juni:
Von Starý Smokovec zur Räuberhütte.
5 Stunden Marsch zum Abschiednehmen von blühendem Hochgebirge. Da schiebt sich schon mal quellende Feuchtigkeit unter den Augen hervor, und ich bin richtig froh, kein ernsthafter Atheist zu sein. So einer hat ein echtes Problem, weil er gar nicht recht weiß, bei wem er sich denn nun bedanken soll, wenn ihm das Herz übergeht.

Aus gegebenem Anlaß noch zwei nützliche Hinweise:

1) If you´re going to San Slowakia, be sure to wear some toilet-paper in your hand.
Denn nicht überall sitzt eine Toilettenfrau, die euch eine sehr abgezählte Anzahl von leicht zerbröselndem Blatt-Grau in die Hand drückt, um damit die Spuren eures „Opfers an die dunklen Götter“ zu beseitigen.

2) Bevor ihr jetzt erschauert, o ihr Freunde des ernsteren Wortes, bedenket wie leicht es doch ist, aus ausnahmslos jedem Scheiß eine mythische Ebene zu erzwirbeln! Beweiskräftig genug scheint mir der obige Finalsatz unter 1.

Sonntag, 22. Juni::
Sechsstündige Rückfahrt nach Bratislava und Flug zum Hahn.

Als der Reisende rheinlandpfälzischen Boden betritt, springt ihm ein Plakat ins Gesicht, das die 60 Jahre bloßen Bestehens dieses Bundeslands zu feiern bestrebt ist mit folgendem Emblem.

-Pictura (Bild): Vor dem Hintergrund der Hambacher Burgruine einmontiertes Foto einer fanatisierten Masse junger Menschen. Schwarz-rot –gold flattert es über die Raver hin.

-Inscriptio (Titelzeile): „Kaum machen wir eine Party,
wird gleich Demokratie daraus.“

-Die Subscriptio (Eindeutigkeit sichernder Text darunter) legt Wert auf die Unmissverständlichkeit der Botschaft. Da ist die Rede von 1832 und „Deutschlands Wiedergeburt“.

Eine scharfe Pein im Arsch mahnt den Reisenden, doch lieber umzukehren und einen weiteren Flug nach Irgendwo zu buchen.

Gänzlich unverständlich?

Schon in der Schule schmerzte die verlogene Lehrbuchweisheit über das „zerrissene“ Deutschland. Das habe im Vormärz, also zwischen 1832 und 1848 … usw.
Wenn was zerrissen wurde, muß es ja wohl erst mal heile gewesen sein.
Da war aber gar kein integres Dings, das ein ehemals heiles Bums gewesen wäre. Da gab es nur den Dreck unter den Füßen, dessen Bearbeitung Früchte in die Kammern der ca. 132 Territorialherren karrte. Von Deutschland weit und breit auf weiter Flur keine Spur.

Und jetzt sogar verschärft: Wiedergeburt!?

Ganz abgesehen davon, dass da schon eine gezielte Verwechslung vorliegen muß, wenn die – jetzt mal ehrlich - von absoluter Beliebigkeit gekennzeichnete Freizeitgestaltung als der eigentliche ideelle Kern eines Gewaltverhältnisses hingestellt wird.

Weil ich auch mal wieder lachen will:

Na schön, dann gibt’s halt neben den drei existierenden noch eine jocose Gewalt als den eigentlichen Ursprung der bekannten drei demokratischen Streicheleinheiten.

Mittwoch, 11. Juli 2007

Dialektik der Moral

Am Amoralismus solle es liegen, wenn alles im Argen liegt, hetzt die Intellektuellenmeute.

Nichts da! An der Instrumentalisierung der Moral gehe das Vertrauen in die Verantwortung, der einzige Schutz vor dem Verhängnis, den Bach runter…

Lassen wir die Pfaffen bei ihrem Gezänk. Wer wissen will, was es mit der Moral auf sich hat, darf sich nicht ihrer bedienen.
Man weiß ja, was dabei herauskommt, wenn die Organe der Inneren Sicherheit dazu aufgefordert werden, die Organe der Inneren Sicherheit hinsichtlich der Sicherheit des Inneren zu überprüfen.

Und wer nach der Moral ruft, weiß, dass sie entweder gerade mal wieder nicht da ist, oder er ihre ekelhaft aufdringliche Präsenz einfach nicht wahrhaben will, weil er sie für ihr Double hält.

Bevor aber jetzt alle Welt über den Höllenhund herfällt sei daran erinnert, dass die französischen Moralisten des 18. Jahrhunderts (Ja, es gibt ein Aufklärungserbe, das man nicht auszuschlagen braucht!) Leute waren, die sich die Mores ihrer Zeitgenossen anschauten, um darüber moralfreie Auskünfte zu geben. Sie untersuchten sozusagen das Formelle der Moral und kamen zu merkwürdigen Einsichten:

Treue zu Gott ist Verrat an der Menschheit
Treue zur Menschheit ist Verrat an Europa
Treue zu Europa ist Verrat an Deutschland
Treue zu Deutschland ist Verrat an Amerika
Treue zu Amerika ist Verrat an der Menschheit
Treue zur Menschheit ist Verrat an Gott

Bin mir sicher, dass hier nicht ein ziemlich weit gehender Gedanke auf kurzem Raum gestaltet wurde, sondern eine krankhafte Distinktionsgewinns-Sucht den Schreiber dieses umtreibt. Jedenfalls muß ich mir das dahinten aufbrandende unwillige Gemurmel vermutlich so deuten.
Kusch, Papa, ich habe nichts dagegen gesagt, dass du dich anständig aufführst, und ich werde auch nicht die Welt in Brand stecken, ehrlich.

Aber:

- Kann ich vielleicht was dafür, dass die Leute sich ein schlechtes Gewissen machen, bloß um hinterher ein gutes zu haben?

- Um des Erfolges willen weicht so mancher ab vom Pfad der Tugend. Aus dem selben Grund besteht er aber auch auf der Beseitigung skandalöser Schleichwege anderer.

-Ein Skandal ist nur so lange einer bis genau das selbe Skandalon in rechtsstaatlich geordnete Bahnen überführt ist.

-„Beim Anblick all dessen, was auf der Welt so vorkommt, müsste der größte Menschenfeind zuletzt heiter werden und Heraklit* vor Lachen sterben.“ (Chamfort: Maximen und Reflexionen).

* Dem tragischen Ernst seiner Aphorismen verdankt Heraklit die Hausmarke: „der weinende Philosoph“

Dienstag, 10. Juli 2007

Öffentliches Sprechen

Wie sehr das öffentliche Sprechen über Politik und Wirtschaft die um Gefälligkeit bemühte Tonspur zu den täglichen Gewaltakten ist, zeigt sich an der Reaktion auf die Verdoppelung des gleichen Wortlauts im Munde des Macht simulierenden Parteigängers, (aber eben ohnmächtigen Nachplapperers): betretenes Schweigen der von solcher Peinlichkeit unangenehm Berührten.

„His masters voice“ ohne dessen Macht ist eben ein klägliches Stammtisch-Schauspiel, das man heute auch in zahlreichen blogs aufgeführt findet. Wirklich bis in den Wortlaut hinein wird die vom Gewalthaber unter die Leute gebrachte schmeichelhafte Sicht seiner Taten repetiert.
Bei dieser Wiederholung von Wiederholungen kommt sich der freiwillige Propagator aber keineswegs als bedauernswertes Würstchen vor, sondern als mit den höheren Graden privilegierter Einsicht gesalbt. Während unsereiner ein déjà – vue - Erlebnis der entsetzlicheren Art verpasst bekommt, wenn er unversehens archiviertem Tagesschaumaterial ausgesetzt wird, sieht der Affe in der Textsorte „Demokratischer Personenkult“ die Bestätigung, dass er also schon damals richtig gelegen habe.

Der springende Punkt an diesem Sprechen: es ist verwechselbar, nicht austauschbar.

Beim Gedanken ist es genau umgekehrt: aus wessen Mund er kommt, spielt überhaupt keine Rolle. Völlige Austauschbarkeit der Sprecher. Und mit nichts anderem als mit sich selbst kann der Unverwechselbare verwechselt werden.

Solange Sprachphilosophie nicht Sprechaktkunde ist, blendet sie sich selbst. Sie hat dann das Wichtigste (weg-) abstrahiert und sich getrennt von der Geschichte der Gewalt, als hätte es jemals den Grunzlaut des Durchsetzers gegeben ohne die Keule, die das Gegrunze Erfolg verbürgend „unterstreicht.“

Was haben wir eigentlich vom Fernsehen, wenn es uns mit dem Anblick von Schweinebacken aus Amerika und seinen Satrapien versorgt, wo unser Bedarf an solchen doch vom Inlande schon reichlich gedeckt wird?

Montag, 9. Juli 2007

Zum DAFÜR eines Dagegens

Liebes blog, wie gut, dass es dich gibt.

Wenigstens du verstehst mich…

Du, das du so alles verstehst, jetzt erklär mir doch bitte mal, wie das zugeht, dass der Klimawandel es sich ganz gewaltig hinter die Ohren schreibt, wenn ein weltweites Jahrhundert - Konzert mit geballter Wucht gegen ihn ist und ihm das noch nicht mal vorsingt, sondern nur eben mal draußen drauf schreibt, dass das Gesinge diesmal nicht gegen die Pelzmäntel geht. Hat der böse Klimawandel das vielleicht bis jetzt noch nicht zu hören gekriegt?

Oder das mit der Armut, der da erst neulich ganz gehörig was vorgetrommelt und –gepfiffen wurde, dass sie endlich den Schwanz einzieht und verschwindet?

Und das mit den Lichterketten für Borussia,… oder war das für den Frieden? ... Nein, ich glaube doch eher, es war für die …Polizei?

Ähnelt das alles nicht jenen Leuten, die frühmorgens schon in den Wald gehen und Kniebeugen bis zum Umfallen machen, und auf dem Plakat an ihrem Hintern steht: “Bitte nicht stören. Bin am Arbeiten.“?

Kann es sein, dass es Leute gibt, die nicht mehr zwischen dem tatsächlichen Zweck und einem ihm völlig äußerlichen Symbolismus der „guten Sache“ unterscheiden können?

Kann es sein, dass es Leute gibt, die noch nicht gemerkt haben, dass es zwar zahllose Wege vom Tun zu dessen bildlicher Verarbeitung im Symbol gibt, aber keinen auch nur halbwegs verlässlichen Weg vom Symbol zu irgendeiner bestimmten Tat oder Untat?

Sollte es ein DAFÜR geben, das sich als Aufschrei tarnt?

Solches Benefizwesen wäre dann freilich noch nicht einmal die übliche Rebellion auf den Knien, sondern glatter Etikettenschwindel.

Bevor ich mich in Verdächtigungen oder gar in Vermutungen auf mich umzingelnden Wahnsinn hineinrette: es wird wohl doch so sein, dass die schon wissen, was sie tun, sich aber daneben gern ein paar wohltuende Einbildungen halten.

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