Where shit meets eternity: India
Impressionen und ununterdrückbare Kommentare eines Unmaßgeblichen, der nicht mit den Maßgebern verwechselt werden möchte.
Dann schon lieber mit einem Unmaß-Geber.
Das, was ich hätte lernen sollen von Indien, ist, daß die Wahrheit eine sehr relative Sache sei. So jedenfalls die Essenz von E.M. Fosters A Passage to India
Dennoch ziehe ich das analytische und - an orientalischen Maßstäben gemessen - harsche Urteil vor.
Denn die krude Wahrheit über den Relativismus des Orientalen ist: er zieht den Beziehungsaspekt der zwischenmenschlichen Rede der Faktizität vor. Dieses blumige Herumgeeiere ist sehr hübsch.
Aber die bloße Feststellung, daß dergleichen sehr wohl übersetzbar ist, weil auch der Westen Modalisierungen einer Aussage kennt, verweist darauf, daß man das eine sehr wohl haben kann (die Wahrheit des säkularisierten Gehirns) und das andere nicht lassen muß.
So ist dem Westen durchaus geläufig, daß man im Hause des Henkers nicht vom Strick spricht, und er hält sich daran. Aushäusig jedoch ruht und rastet er nicht eher, bevor er dies gewußte Faktum aus der Welt geschafft hat.
Nein, es wird keinen Hymnus auf Indien geben. Der Himmel über Nordindien bietet dazu keinen Anlass: sein Blau ist stumpf, und die aufgehende Sonne ist der Orgasmus eines Greises. Daß die Sonne rot untergeht, ist in allen Wüsten der Staubschicht geschuldet. Das Thetysmeer lagert - sozusagen - noch heute über Hindustan: alles schnappt verzweifelnd nach Luft.
Kein Hymnus. Schließlich ist die groteske Kopie der "überlegenen Kultur" nichts als das Eingeständnis, daß dem Affen auch nichts Neues einfällt. Die allseits beliebte Überlebenstechnik des unverschämten Betrügens will der Zirkulationssphäre des Geldes ein schnelles Maximum entziehen. Überaus pfiffiger Gehorsam.
Und was soll an den dicken Bäuchen der Polizisten zu besingen sein?
Und was an den hohlen Wangen derer, die wohl wissen werden, warum sie von hier nach da strömen, breitgetreten von einer Gewalt, die zu benennen unmöglich scheint ?
Und die vielbeschreite Spiritualität Indiens? Ein Verkaufsargument für Meditationskurse und Busunternehmen, die sich gut mit den Pilgerbüros verstehen.
Angesichts gelegentlich auftauchender Inbrunst von Betern plädiere ich für die Aufhebung ruinöser materieller Abhängigkeiten. Dann wird man ja sehen, was es mit der eingebildeten von dem Ding mit tausend Namen auf sich hat. Vermutlich wird es auf seinen tatsächlichen Geltungsbereich schrumpfen, nämlich auf den Laut für all das, was wir nicht wissen und nie wissen werden.
Auch werde ich meine Wut auf die systematisch produzierte Armut erst dann in die Mitleidschiene transformieren, wenn das erwiesenermaßen irgendwem - außer den üblichen Nutznießern - nützt. Der Haß, den es zu kultivieren gilt, hat keine Ähnlichkeit mit dem tobenden Eigendünkel, der gegen Betonwände anschreit, und doch nur in Tränen enden kann. Er ist von kälterer Art. Ein Freund der Wahrheit, studiert er die Materie bis er ihre Gesetze kennt. Und das stimmt dann gemeinhin die Betonmauer nachdenklich.
Das Wasser, das ich getrunken habe, kam von der Coca-Cola-Company oder anderen Quellen-Besitzern. Soviel zu den Existenzialien, die man nur in ihrer Fülle besingen darf.
So. 11.-13. Nov. Ranakpur und Mount Abu
Ranakpur ist nur ein riesiger Tempelbereich von Jain - Heiligtümern. Das geht in Mount Abu mit diesen Tempeln, diesen in Stein gemeißelten Hymnen an Gott, genau so (Ehrfurcht gebietend?) weiter. Diese Jain-Tempel sind so was von filigran in ihrem figürlichen und anderem Dekor, einfach unglaublich. Daß dies Menschen möglich ist?! Ein Schlag zuviel, oder zu heftig, oder daneben, und die ganze Steinkette aus Monaten Arbeit wäre zerstört. Und die Säulen aus Marmor sind gleich ganze Säulenwälder.
Gestern 1442 Säulen! In einem einzigen Tempel, und jede Säule mit Hoch -und Tiefreliefs bearbeitet.
Wenn was zum Heulen schön ist, redet man wohl von Ergriffenheit.
Ergriffen wovon?
Von hin- und wegreissender Schönheit, Ent-Zücktheit. Unabhängig von dem, wofür die steht, gewährt sie Abgesoffenheit bis auf den ruhenden Grund des Meeres. Daß so etwas Menschen möglich ist...
Nachts:
Hier reden die Leute im Bus miteinander, d. h. da ist Regelungsbedarf angemeldet.
Ob unsereiner mit unsereinem im Deutschland redet oder nicht, macht keinen Unterschied: wir sind schon durchgeregelt.
Wegen dieses Ordnungsüberschusses bleibt dem Deutschen/Amerikopäer sein Innerlichkeitskram, oder man geht shoppen, weil man die Mittel dazu hat, und von den damit vollzogenen Zwecken nichts mehr wissen will.
Wir sind derartig aufs Funktionieren konditioniert, dass uns unangenehm auffällt: in Indien funktioniert erst mal nichts.
Daher – weil unser Wille in der bewusstlosen Funktion haust – mögen wir unsere Elektro-Domestiken. Und die ideologische Wucht des Autos erklärt sich überhaupt nur aus der Anzahl der P.S., über die einer verfügt, wenn er sonst schon nichts zu melden hat.
Die Anpassung der Seele an den Maschinenpark ist dann gelungen, wenn die von der Arbeit Heimkehrenden ganz freiwillig den On - Knopf des TV betätigen. Wehe, wenn dann kein Bild, kein Ton!
An der aufkeimenden Wut merkt man, dass da ein Sklave seinen Dienst verweigert.
13.Nov. Immer noch Mount Abu
Aus dem Plan, hier länger zu stationieren, wird wieder mal nichts. Grund; man widerrät allgemein, größere Streifzüge im Hinterland zu machen, wegen der drohenden Überfälle verarmter Bauernhorden im Hinterhalt, scharf auf die Träger von money, money.
Es lässt sich eben nicht jeder alles gefallen. Und wenn so einer nicht die Hilfe bekommt, die er braucht, greift er zur Selbsthilfe. Vor allem, wenn er dicht daneben den geradezu obszönen Reichtum in dicken Karossen nur so an sich vorbeiziehen sieht.
Ich rege mich gar nicht über „arm-reich“ auf. Habe nur was gegen die verordnete Armut. Sollen doch die Reichen so arm sein dürfen wie sie mögen, wenn sie nur nicht die ihnen funktional zugeordnete Armut managen, und von ihren Parasiten predigen lassen.
Mount Abu ist ein einziger Rummel, und ich dachte schon mal, der Petersdom und der ganze Lateran wäre überlaufen. Weit gefehlt. Von der über eine Milliarde Inder treffen sich jetzt zu Holiday - Zeiten mindestens die Hälfte immer genau da, wo ich auch bin
Die hiesigen Tempel der Jains sind aber auch zu schön. Und das in einer Bilderbuch-Indien-Landschaft. Die Szenerie hier ist das Indischste, was ich bislang zu sehen bekam. Der Exotismus setzt sich zusammen aus buckligen Felsen und leicht gewölbten Plattenschüssen, die von Palmen gesäumt werden, an denen Prunkwinden 10 m hochklettern. Schicke Tempeltürme (Shikaras). Bananenstauden, Felder, aus denen rundliche Felsen wachsen. Die roten Bougainvillas, überhängend aus den Gärten, nicht zu vergessen.
Die Vegetation: Mangiferens, Pipal, Ficus bengalis, eine Baumart (Erythrina indica), die über und über mit Stacheln bedeckt ist, was man erst dann richtig sieht, wenn alles Laub abgefallen ist.
Und wenn du ein Weilchen wartest, kommt eines der hübschen Buckelrinder mit Sichelmondgehörn hinter dem nächsten Palmen-Felsen hervor.
Nachts:
„The more you know, the less you understand.“ Trost derer, die schon immer der Ansicht waren, am kindlichen Wesen werde die Erde genesen.
Mi. 14 Nov., Udaipur
Im Palast konnte ich königliche Kuriosa bestaunen: den königlichen Nachtstuhl, Elfenbeintüren, Marmormosaiken mit eingearbeiteten Spiegelteilen, eine Rosenwasserzerstäubungsmaschine, eine Waage, die im Sitzen funktionierte, damit seine Hochwohledle Verfettetheit nicht etwa stehen musste beim Ablesen der neuerlichen Gewichtszunahme usw... im Märchenhaften und Grausligen.
Typisch, dass die Rajputen erst dann ihr Ja zum indischen Staat ablieferten, als man ihnen "Privatschatullen" zugestand, also das garantierte arbeitslose Einkommen in angemessener Höhe, wie sie das seit Jahrhunderten gewohnt waren.
Damit Ihresgleichen ihnen nicht etwa was wegnehmen konnte, waren die Tore ihrer Festungen in Höhe eines Elefantenkopfes mit sehr kräftigen Eisenspitzen versehen, so dass die Tore nicht von rammenden Elefanten eingedrückt werden konnten.
Märchenhaft auch das Verhältnis der Inder zur Zeit. Für morgen und gestern gibt es nur ein und das selbe Wort: kal. Schließlich ist beides vom Sprecher gleich weit entfernt. Dazwischen liegen einfach irgendwelche Wechsel, vom Sternenhimmel zur Sonne zwischen den Palmwedeln und zurück.
Was also ist Zeit?
Nachts:
Man kann Indien nicht lieben. Die das behaupten, wollen sich bloß interessant machen. Indien ist eine einzige Demütigung denkender Wesen.
Jeder Affe sieht proper aus, was man nicht von allen Indern sagen kann.
Kühe schreiten, Inder stolpern übereinander.
Ihre Welt endet an der Körpergrenze. Daher die Philosophie von Asozialen: Meditation als „erste und letzte Freiheit.“ Ein kostenloses Zurückgreifen auf das , was ohnehin da ist, um Zeit und Welt zu eliminieren. Sehr indischer Einfall.
Ein geeignetes Symbol für Indien wäre: eine riesige, vollkommen leere Abfalltonne steht in einem sie umbrandenden Schwall von Plastikmüll, der im nächsten Augenblick in die Tonne überzufließen droht.
Fr. 16. Okt., Eklingji
Ausflug zu den 108 Tempeln von Eklingji. Der Herrscher von Mewar stattet diesem Bezirk jeden Montag (heiliger Tag Shivas) seinen rituellen Besuch ab.
Merke: erst wenn etwas keinerlei erkennbaren Zweck hat, macht es wirklichen Sinn.
Jede Zwecksetzung des menschlichen Willens beschmitzt die Reinheit und Leere der Sinnsphäre.
Mädchen im heiratsfähigen Alter flüstern Nandi, dem Reittier Shivas, etwas ins Ohr. Da hier ein Lingam (Phallus) aus schwarzem Marmor verehrt wird, lässt sich zumindest auf den Bereich schließen, wohin die Wünsche zielen. Das Shivalingam ist die symbolisch stilisierte Kombination jener Körperregionen, über die Männlein und Weiblein herausgefunden haben, dass sie da gut zusammenpassen.
Sa. 17. Okt. Chittaurgargh
Heute morgen ein angenehmer Transfer nach Chittaurgarh. Über eine vierspurige Autobahn mit den in Indien üblichen Einschränkungen: in der Nähe von Ortschaften kamen einem Kinder, Kamele, Kühe und hochbeladene Karren auf der eigenen Spur entgegen. Das Gelände des Forts dann: reines Wohlfühlgelände mit Parkelementen, Tempeln, Türmen, Palästen.
Aber die Geschichte!
Hier ein paar Einzelheiten zu der Kultur des Todes der Rajputen. Beide Geschlechter wurden für den Tod erzogen. Das männliche für den Schlachtentod. Das weibliche für den kollektiven Selbstmord auf dem Verbrennungshaufen, Kriegerwitwen gab es also erst gar nicht.
Im Geiste des militaristischen Fundamentalismus, also für Sieg oder Tod erzogen, kam es dreimal zu diesen grausigen Massenselbstmorden (Jauhar), wobei beim ersten Mal die Männer zusahen wie ihre Frauen, Mütter und Schwestern sich lebenden Leibes ins Feuer warfen. Dann rieben sie sich mit deren Asche ein und zogen in den sicheren Schlachtentod. Beim ersten Mal wählten 13000 !! Frauen den rituellen Opfertod. Beim letzten Mal, als der Mogul Akbar a. d. 1567 einfach mal so 30 000 Bewohner von Chittaurgarh tötete, warfen sich vermutlich ebenso viele Frauen im kollektiven Selbstmord auf die Verbrennungshaufen. Lieber Tod als Unterwerfung.
Diese Kriegerkaste hielt zunächst nichts von Distanzwaffen, sondern sah seine Ehre in der Schnelligkeit der Nahkampfwaffen, die sehr einfallsreich ausfielen wie man das in den Museen besichtigen kann. Erst als die Kanonen der Mogule ihre Reihen schlagartig zu Hunderten lichtete, begann ein Uminterpretieren des Todes, für den man geboren wurde.
Die entsprechende Musikkultur: eine die blutigsten Instinkte wachrüttelnde Trommelrhythmik und ein Blasinstrument, das sich anhört wie der Wutschrei eines verärgerten Elefanten. Noch nie kam mir der Tod derartig schrecklich verlockend vor. Ein düsteres Erlebnis, das mich gegen mich selbst misstrauisch machte.
Viva la muerte!
Dem Hitler seinem Adolf hätten die Kerle gut gefallen.
Nachts:
All dem entnehme ich: Glaube ist immer fundamentalistisch und destruktiv.
Tut mir leid. Der leidige Bischof Meissner hat recht, auch wenn das dem Christenpöbel nicht in den Kram passt. Wenn Kunst und Religion nicht mehr Fundament zu sein beanspruchen, dann liegt da eine phantasievolle Bebilderung gängiger Moral vor, an die man sich hält, oder im günstigen Falle der Unbeaufsichtigtheit eben auch nicht.
Religion beansprucht nämlich definitionsgemäß - und der Sache nach - tatsächlich unterschieden von Moral zu sein, und sie letztinstanzlich zu begründen. Womit nun mal die Schweinerei vorliegt, dass sie den in die Scheiße Getunkten erklärt, warum das genau so sein muss. Die Gnadenlosigkeit der Kastengesellschaft spricht da eine deutliche Sprache.
18.-19. Nov., Bundi
War mal wieder ein hartes travelling heute.
Wenn meine Keimdrüsen einen Hintern hätten, könnte ich schreiben, dass sie heute eine verdammt lange Tracht Prügel bezogen. So muss ich mich begnügen mit der nüchternen Feststellung, dass besagte Gonaden auf einer im Werden begriffenen Art Lehmpiste 5 Stunden lang durchgerüttelt wurden.
Musste nach Ankunft mein linkes Hosenbein durchwaschen, weil die Schuhsohlen eines süßen kleinen Mädels das mehrfach durchgekaute Gras, das hinten aus den Kühen rausfällt, darauf verteilt hatte.
Blieb gerade noch Zeit für den Besuch eines privaten Museums. Ein elender Angeber von Maharadja namens Bahadur Singh gab für viel Geld zu besichtigen, dass er mehr im Ausland (England und Hollywood) war, als in Indien, wen er alles kannte (Frank Sinatra, Ava Gardner und Erroll Flynn, nebst den Mountbattons aus England), und dass er auch bei sich zu Hause den großen Jäger Hemingway imitierte. Ohne freilich, dass man jemals von einer Publikation aus seiner Feder gehört hätte. Ein ganzer Flügel seines Palastes gilt nur den präparierten Exponaten seiner Jagdleidenschaft.
Wollte doch mal sehen, was die Rajputen nach der Einordnung in das Apanage-Wesen durch den indischen Staat in den 50 er Jahren so trieben. Jetzt, wo sie sich nicht mehr gegenseitig umzubringen brauchten, hielten sie sich an die restlichen Viecher: Krokodile, Schwertfische, Bären, Bisons, Panther, Elefanten und Tiger.
Der Ort selber ist sehr anziehend, weil klein und mit Orientalischem nur so vollgestopft.
20. Nov. Ajmer
Hier ein paar Neuigkeiten. Zum Beispiel über den inter-kulturellen Austausch. Der geht im typischen Dialog so:
-Good day,sir,sagt das Gegenüber, what is your good name?
-Chris.
-Where are you from?
-Germany.
-Ahhh.Germany very good. What is your job?
-Pensioner.
- Ahhh. Very good.
Und dann geht uns der Gesprächsstoff aus. Dieser faszinierende Dialog fällt ungefähr 1000 Mal am Tag an. Eine Variante enthält:
-Are you married?
Und da lasse ich meine Renate vorsichtshalber sterben:
-No.
Denn kein Inder würde verstehen, warum ich nicht bei meiner Familie bin. Von den zahlreichen Leuten, die ganz genau wissen wie Leben geht, habe ich noch auf jedem Kontinent das abschließende Urteil über mich zu hören gekriegt: „You are a fool!“
Wie’s der Teufel will, bin ich aber so engstirnig, dass ich mir jede Bewusstseinserweiterung durch kundige Lebenspraktiker verbitte und dem kleingeistigen Vorurteil anhange, es gehe auch anders und beileibe nicht schlechter.
Da ich gerade beim Inder und seinen liebenswerten Eigenheiten bin, hier noch ein paar verallgemeinerbare Züge:
1) Den Indern kann man es irgendwie nicht recht machen. Zumindest nicht beim Trinkgeld. Entweder man gibt zu viel oder zu wenig. Ein richtiges gibt es nicht. Im Falle des letzteren Falles merkst du das beim nächsten Dinner: die Suppe wird erst aufgetragen, wenn sie kalt ist.
Außerdem halten sie uns für kaltherzige Knauser. Erst wenn wir ihren ganzen Laden samt Warenbestand aufkaufen, damit sie sich endlich zur Ruhe setzen können, würden wir ihrem Ideal eines reichen Westlers entsprechen. Übrigens hegen auch die 1000 anderen kleinen Geschäftsinhaber der selben Ladenzeile dasselbe Ideal.
2) Den möchte ich sehen, dem es gelungen ist, einem Inder ein „ No“ abzuringen.
Du fragst den Papierhändler, ob er Toilettenpapier hätte.
-Yes, sir.
Sagt’s und verschwindet in seinem Magazin auf Nimmer-Wiedersehen.
Du fragst einen Polizisten, ob es hier zum Fort gehe. Er nimmt Haltung an und stößt pflichteifrig hervor:
-Yes, sir.
-Oder in dieser Richtung?
-Yes, sir.
Völlig entnervt habe ich dann sogar mal gefragt:
- Bist du ein Arschloch?“
- Yes, sir.
- Kannst du nicht irgendwann mal „no“ sagen?
- Yes, sir.
- Dann sag’s doch.
- Yes, sir.
3) Der Inder lacht gerne auf der Ebene des slapsticks. Gestern auf dem Weg zu dem Sommerpalast, wo Rudyard Kipling seinen Roman "Kim" geschrieben hat, folgende Szene: mein soeben gewechseltes schweißnasses Hemd und der dazugehörige Hut hängen an einem Karabiner von meinem day-pack und baumeln im Wind. Ein Idiot sieht dieses ungewohnte Ensemble und lacht laut und wild gestikulierend, um darauf aufmerksam zu machen. Die Zeugen dieser Szene lachen über den Idioten.
Und ich lache über sie.
So haben wir alle was zu lachen.
Auch komisch: Digambaras (Luft-Bekleidete) also Nackerte, Männer einer Jain-Sekte laufen nahtlos braun von Kopf bis Fuß durch die Stadt.
Selten: hier in Ajmer gibt es ein wohl einzigartiges Wallfahrtsziel: den Schrein eines Steuerbeamten. Hier scheint der singuläre Fall eingetreten zu sein, dass
a) Steuergerechtigkeit nicht
b) vom Funktionär der Macht in seinem Sinne uminterpretiert wurde, und
c) das Volk das zu würdigen wusste.
21.Nov. Jaipur
Hier gibt's alles konzentriert von allem, was es sonst unterwegs auch schon zu sehen gab, nur konzentriert, und in reizvoller Lebendigkeit des Gebrauchs (kein gammeliger Charme des milden Verrottens). Eben wie es eben früher mit der maharadschamäßigen Großherrlichkeit so war. Der Stadtpalast: die Krönung der Angeberei mit Waffen, Textilien, Miniaturen. Auch die weltgrößten Silbergefäße stehen natürlich hier herum. Über 1,5 Meter hoch, haben sie ein Fassungsvermögen von 8182 Litern.
Bevor Madho Singh II. 1901 nach England reiste, um der Krönungszeremonie von Edward VII. beizuwohnen, ließ er die Gefäße mit Gangeswasser füllen und viel tausend Meilen über Land und Meer mitnehmen, da er größtes Misstrauen gegen das westliche Wasser hegte.
Echt indisch auch das Nebeneinander von ernsthafter Astronomie und pseudowissenschaftlicher Astrologie. Neben ganz exakten Zeitmessern auf Sonnenuhrbasis, die sogar Voraussagen über die Intensität von Monsunen zulassen, stehen Artefakte, die Glück verheißende Tage bestimmen können sollen. Die Auspizien für diese Tage der Woche beispielsweise sind den Heiratswilligen außerordentlich günstig. Daher fanden gestern 2000 Hochzeiten statt, kein Taxi zu kriegen, und geschmückte Bräutigame - sogar bis von der Insel Mauritius - stolzieren auf noch bunter herausgeputzten Pferden zur Hochzeitsfeier. In Begleitung einer Band und mit der näheren Verwandtschaft, die zu den heißen Rhythmen tanzt.
Das Geböllere ging natürlich auch schon wieder los.
Nachts geriet ich in eine Strasse, die gesäumt war von Hotels, die auf solche Sachen eingerichtet sind. fußballstadiengroße Flächen, mit Kunstrasen ausgelegt, 30 Meter Buffet, Blumengirlanden, zig dienstbare Geister und ein Bühnenprospekt, vor dem die Thronsessel des künftigen Ehepaars stehen. Vor dem Eingang paradieren aufgeputzte Elefanten, und weil denen schon lange langweilig ist, haben sie ganz alleine einen großen See gemacht, in dem sie jetzt stehen.
Fünf Fest-Gruppen rückten aus beiden Richtungen mit Tamtam an, und gegen die Finsternis gab es Lüsterträger, die über einen mitfahrenden Generator mit Strom versorgt wurden.
Das Geballere kam von abgebrannten Privat-Feuerwerken.
Motto der Habewasse: Zeige deinen Reichtum so indezent wie möglich.
Do. 22 Nov. Pushkar
Überaus wichtiger Wallfahrtsort für die Hindus: 50 Tempel und 2000 Brahmanen, die es für selbstverständlich halten, dass sie als segensreiche Parasiten durchgefüttert werden. Die Gläubigen waschen hier im heiligen See per Tauchbad am Vollmondtag im November sich von allen Sünden rein, und befreien sich so vom Rad der Wiedergeburt. Da kannst du dir vielleicht das Gedrängel hier vorstellen, hier, wo die Pilger über die Kamelhändler stolpern und beide über die Touristen fluchen.
Heiliger Ort heißt natürlich auch: kein Fleisch, keine Eier, kein Alkohol. Aber ganz viele geschäftstüchtige Brahmanen, die dir eine Puja (heilige Opferhandlung) aufdrängen, und sich für dieses Nichts an Leistung möglichst ertragreich bezahlen lassen, wenn man der moralischen Erpressung Folge leistet. Ich habe den brabbelnden Brahmanen im Verdacht, dass er mich auf Hindi nachbeten ließ: “Na, du altes Arschloch, da haben wir dich aber wieder mal schön drangekriegt.“ Ein maliziöser Kringel in seinem Mundwinkel gab Anlass zu solch unschöner Deutungsrichtung.
Ein Kilometer vor dem Ort parken an die 30 Busse, die Wallfahrer quer über den Subkontinent herangekarrt haben.
Um 4 Uhr morgens wurde ich heute durch das Lautsprechergeplärr der Lobpreisungen Gottes durch Sikhs und Hindus geweckt und mit dieser akustischen Umweltverschmutzung wachgehalten. Ich empfinde das wie einen körperlichen Angriff. Zum Verrücktwerden!
Also raus in die Morgenfrische.
Da liefen die Pilger eingemummt (wie mit einer dicken Backe zum Zahnarzt),wegen der mörderischen Kälte von ca. 15 Grad plus. Selbst die Hunde kugelten sich zusammen, um den Wärmeverlust möglichst gering zuhalten. Normalerweise liegen die wie erschossen herum, weil sie in der Nacht die Städte übernehmen und das gut hörbar. Mische mich unter die Pilger, um einen Tempelberg in der Nähe zu besteigen. Vorwiegend ältere Frauen. Und die safranfarben be-turbanten Opas tragen die Enkelchen im oberen Drittel des Aufstiegs huckepack. Wir litaneien was von "Mataji" und schwitzen ganz fürchterlich.
Im ersten Cafe nach dem Abstieg ein "Special Tea". Da war sicherlich "bhang" drin (gemahlene Cannabisblätter). Mir geht es nämlich besser als der Anlass unter normalen Umständen hergäbe. Ziegenherden ziehen vorbei, und das ist von einer unerklärlich erheiternden Hervorgehobenheit. Kamele mit Fußglöckchen klingeln hell und geradezu weihnachtsglöckleinzart vorbei. Ein kleines Ferkel liegt tot im Sand der Piste. Putzig!
All das ist sehr bunt und die Sinne kitzelnd. Aber wie alles, was nur die Sinne anspricht, wird man dessen nach einer Weile überdrüssig. Außerdem macht mich das bhang träge.
Nachts: Den Verfechtern des Glaubens gebe ich insofern recht, als es tatsächlich etwas Größeres als das, was man anfassen kann, gibt. Nämlich den Gedanken. Und wenn er noch dazu richtig ist, dann gilt er für alle. Das ist mir genug an Mich-Übersteigendem. Und es kerkert nicht ein.
Wohingegen sich die bloß schöngeistige Form des Glaubens in so trivialen allegorisierenden Symbolismen wie der des Lotus vergnügt: er wurzelt im Schlamm und Schlick, und wie rein ist seine Blüte.
23. Nov. Pushkar
Der gestrige Tag ging seltsam aus. Ich wollte dem Wohlgefühl des Morgens eine Steigerung angedeihen lassen und drückte mir bewusst ein Bhang-Lassi (Stärke Medium) am Saftstand rein. Das hätte ich besser nicht tun sollen. Den Rest des Tages war ich ausgeknockt Du hättest mich sehen sollen wie ich da rumhing. Aber welche genialen Einfälle und Lösungen fielen mir da zu! Wusste doch, dass ich ein ganz verfluchtes Genie bin!
Zu blöd nur, dass die ganze Welt von dieser meiner Genialität nur mitbekam, dass ich bloß so rumhing. Als alles vorbei war, waren Welt und ich um nichts schlauer, weil mir partout nicht mehr einfallen wollte, worüber ich noch vor kurzem so entzückt von mir war.
Kurz: dieses Cannabis ist ein Zeitherumkriegding, sonst nix. Kann mir gestohlen bleiben.
Heute Vormittag hätte ich gern den abschließenden kulturellen Darbietungen (Volkstanz, Kamelrennen etc.) in einer Art Riesen-Arena beigewohnt. Als ich aber mitbekam, dass zu den Tausenden, die schon drin waren, unendliche weitere Tausende ungehindert hereinströmten und drauf und dran waren, alle denkbaren Fluchtwege vollzusitzen, packte mich die Panik. Hier komm' ich nicht mehr raus! Nix wie raus! Und ich bediente mich des hier zulande üblichen guten Tons: ich drängelte angstgepeinigt, also entschlossen, meine Haut zu retten, dem Ausgang zu.
Es folgte eine selbst ausgedachte Wüstenwanderung.
Ab hier musst du dir eine bizarre Felsenlandschaft mit Sand-Dünen in Richtung Horizont vorstellen. Diesen Dünen hat man das Wandern abgewöhnt durch die Anpflanzung von dornigen Bäumen.
Ich wandere also am felsigen Rand der Wüste so dahin und man dächte, dass soweit alles in Ordnung wäre. Es dauert aber gar nicht lang und mir wird langweilig. Diese Langeweile ist nicht von der Art, die einen gähnen macht, sondern mehr von der Was-soll-der–ganze-Scheiß?–Sorte.
Ich deponiere also meinen Hintern auf einem geeigneten Felsbrocken und schau mir das Ge-Düne aus Sandkörnchen jenseits meiner Nase an. Ist wohl ein ausführlicheres Gestöber auf dem dusteren Speicher meines Seelenhaushalts nötig.
Da bin ich nun also, an einer – zugegeben – schönen Ecke dieser Welt, die von einer die Seele streichelnden Ruhe geradezu durchtobt wird, und relaxe nach einer langen und komplizierten Reise, eine wohlverdiente Ruhepause genießend, weit und breit keiner, der mich herumscheucht, kein Stress, ein sauberes und billiges Hotelzimmer, und das Beste daran: nicht ein einziger Inder, der mich nervt.
Aber obwohl ich mich entspannter, zufriedener und zuversichtlicher als jemals seit der Landung in Delhi fühlte, war mir so scheußlich zu Mute wie nie in meinem Leben. Eine allumfassende Einsamkeit schlug ihre unerwünschte Wellblechbude in mir auf und redete mir das bis dato unbekannte Gefühl ein, daß mein ganzes Leben eine einzige Augenwischerei gewesen sei, dass all meine Sätze sozusagen für die Ohren von Vorgesetzten gedrechselt worden seien, und ich ein längst durchschauter Spieler ohne Freunde sei. Jetzt hatte ich, was ich verdiente: Isolation und das unappetitliche Gefühl, soeben aus Gottes Arsch gefallen zu sein. Tausende von Kilometern entfernt von irgendwem, dem ich was bedeuten könnte, und sogar die paar Leutchen, denen an mir liegt, dachten in diesem Augenblick höchstwahrscheinlich an Wichtigeres, weil die ja keine Ahnung haben, wo sich dieser kleine, unrasierte Scheißhaufen gerade mal wieder rumtreibt. Und falls ich morgen abnippeln sollte, keine Sau interessiert das auch nur die Bohne! Und ein selbstsüchtiger, rücksichtsloser Ignorant wie ich kann noch nicht einmal irgendeiner anderen Sau die Schuld geben – Arschloch, Feigling, Verlierer, der ich bin.
Wie ich mir das so zurechtlege, entdecke ich daran nach und nach einen etwas unheimlichen, aber sehr erfreulichen Zipfel, der sich in meine Malaise einschleicht. Ein noch schwacher, aber durchaus ausbaufähiger Masochismus macht sich da in mir breit und färbt die ganze Angelegenheit mit einer Art bitter-süßer Melancholie.
Und wie ich mich so sitzen sehe („Kamera bitte höher, mehr von oben links!“), so ganz alleine in der Wüste, mit dieser bitter-süßen Melancholie in meine edlen Züge gegraben, da ist mir doch ganz so, als werde gerade jede Menge Adrenalin frei. Was bin ich doch für eine coole Type! Mich, mich sollten sie, und zwar genau hier für einen Herren-Parfüm-Werbespot camcordern. Das wäre echt der Hit.
Sage selbst, gibt es etwas Erbärmlicheres als das, was man so Seelenleben nennt? Höre auf die Einflüsterungen deiner Seele, und du sitzt mitten in der unverfälschten Scheiße, die du zuhause auch hättest haben können. Du hast dich einfach mitgebracht.
Habe später, zurück im Gewühl, einen bösen Fehler gemacht. Genervt von dem ewigen Gezupfe an meinem Ärmel und den handgreiflicheren Anwesenheitsbekundungen einer kleinen Bettlerin habe ich schließlich doch eine Mandarine abgegeben, nur um meine Ruhe zu haben. Damit war die aber endgültig vorbei.
Ich hatte nicht mit der Perspektive gerechnet, von der aus die für mich im Menschgewühl unsichtbaren Kinder die Welt erfassen. In Sekundenschnelle war ich umringt von etwa zehn Kindern, die sich mit Recht fragten: "Wenn die, warum ich nicht?" "Bakschiesch! Bakschiesch! No money, only chapatti." Dabei nehmen die Reißaus, wenn ich ihnen tatsächlich chapatti (Fladenbrot) zu kaufen drohe.
Und schon hatte ein kleiner Dreikäsehoch seine schmutzige Pfote in meiner Plastiktüte. Ich, ungehalten, zerre mein Eigentum an mich, die Tüte reißt, und die Früchte kullern auf der Erde, aber nur kurzfristig. Denn dann hatten alle Mandarinen, nur ich nicht.
Ich war vor Empörung wieder mal perplex. Andererseits, was konnte der Dreikäsehoch rennen! Eine wahre Freude, ihm zuzusehen. Und wie er sich über seine Trophäe gefreut hatte!
Wie so ziemlich alles hier ist das ebenso schmutzig wie schön. Faszination geht davon aus. Der Geruch des Kuhdungs mischt sich mit dem des der Nase schmeichelnden Räucherwerks. Es ist das kein Nebeneinander, sondern ein Ineinander. Man wird vom Abstoßenden gefesselt. Und das heißt: die normalen Einordnungsschemata versagen sich mir hier. Es gibt neuerdings nur das DIES HIER. Es ist das "picture, sir?", womit man angemacht wird, eine lästige Sache, aber die jugendlichen Wüsten-Schönheiten in ihren prachtvollen Kleidern im vollen Schmuck sind einfach schön. Mach was dagegen!
So. 25.11. Jaipur
Der Amber-Palace ist ein ausgesprochener Touristenmagnet. Alle meinen, da müssten sie auf Elefanten raufreiten. Dabei fiel mir auf, dass ein gehender Elefant von hinten aussieht, als hätte er in seine viel zu weiten und tiefhängenden Hosen gemacht, so vorsichtig breitbeinig stakst er daher.
Die Mosaiken und anderes Dekor des Sheesh Mahal (Spiegelsaals) aus gewölbten Spiegelchen und Buntglasfenstern ließen mir denn doch ein ganz vulgäres "Oh" entfahren.
Es geht also auch anders. Man muss als Rajput nicht bloß immerzu sich wechselseitig die Schädel einschlagen, damit man geübt ist im Fall einer Eroberung durch Mogule und andere Ausländer.
Man kann sich auch mit den Eroberern arrangieren, und schon blühen die Künste, der Handel und die Wissenschaft.
Was wirklich Neues ist das ja nicht. Aber nach so viel blutiger Exotik ist es ganz angenehm, sich darin bestätigt zu sehen, daß es nicht die geringste Notwendigkeit gibt, irgend einem scheußlichen Ideenbild nachzuleben und nachzusterben. Du siehst, ich bin für die "gute Sache" (wessen auch immer) verloren, ganz einfach weil es zu viele gute Sachen gibt, auf die ich statt dessen scharf bin.
Nachts:
Ich bin einfach nicht mehr bereit, Fragen interessant zu finden, auf die es mehr als eine richtige Antwort gibt. Das sind nämlich gar keine wirklichen Fragen. Sie haben die wichtigere Hälfte der möglichen Antworten schon in sich.
So die Frage:"Wer hat das alles gemacht?" Im Prädikat steckt der Schöpfer schon drin, obwohl Offenheit der Frage simuliert wird.
In diesen Aufwasch gehört auch die fadengerade Auskunft Nietzsches über den metaphysischen Zirkel, in dem, was erklärt werden soll, immerzu bereits vorausgesetzt ist: “Wenn jemand etwas hinter einem Busch versteckt, dort sucht, und dann auch findet, so ist dies kein großes Kunststück.“
Da der „Sucher“ genau weiß, was er sucht, nähme es Wunder, wenn er es nicht fände.
Mo. 26. Nov. Nawalgarh
Hier im Shekawati, auf dem touristisch noch nicht erschlossenen Land ist das Lächeln noch Sympathiekundgabe und nicht eine vertrauensbildende Maßnahme zur Einleitung eines Verkaufsgesprächs.
An den Wänden der Kaufmannspaläste Freskos mit Exotischem, das der Kaufmann in der Fremde gesehen hat, und woran er nun seine Mitbürger teilnehmen lässt: Eisenbahn, Fahrräder, Heißluftballons, englische Ladies mit wagenradgroßen Hüten, Flugapparate, starke Männer, die Autos am Davonfahren hindern...
Der Charme des Naiven: ungeschieden liegen da analytische Vernunft und schulische Stilisierung.
Di. 27.-28. Nov. Jhunjhunu/Mandawa
Der stärkste Eindruck: ganze Straßenzüge mit Ziegen, die vor der Wohnungstür kurz angebunden eine Form der Überlebensicherung darstellen.
Nicht die Ewigkeit der Scheiße, noch die Scheiße der Ewigkeit, sondern der Schnittpunkt von Unendlichkeit und Gosse fasziniert: das Lachen und Lärmen neben einer Puja, die Exchange-Bank im Tempel...
Inzwischen glaube ich, worüber ich noch vor Kurzem verächtlich durch die Nase geschnaubt hätte, dass die "Poesie die Muttersprache der Menschheit“ ist. In ihr liegt ungeschieden und sich selbst immer neu erzeugend das später Ausdifferenzierte.
Eben alles aus unserer Sicht Prä-Moralische, kategorial Unsortierte, das uns fasziniert.
Wir vergessen zu leicht, dass das Einhalten von Mindeststandards der Moral sich für uns lohnen muß. Diesem unserem bedingten Materialismus wird im westlichen System dann eben bedingt, aber durchaus entsprochen. Aber doch nicht in Indien! Daher hat man als Westler den Eindruck, Indien sei das Land der unbegrenzten Unverschämtheiten. Und in der Tat sind diese Inder der ganz richtigen, weil tautologischen Auffassung:“Wo ich bin, kann kein anderer sein“. Und wenn er sich mitten auf die Straße setzt, um sein Mahl einzunehmen, dann dürfen die Autos durchaus außen drum rum fahren. Da ist der Inder tolerant. Sollen sie doch.
Rück-Sichtslosigkeit als Prinzip funktioniert aber, wenn alle sich dran halten.
Fr. 30. Nov. – 2. Dezember, Agra
Bin im Morgennebel zum nördlich der Yamuna gelegenen Mond-Bagh gefahren, um von dort aus die Gesamtanlage des Tadsch- Mahal auftauchen zu sehen. Die ganze Gartenanlage hat für Stunden mir gehört. Gegen 10 Uhr taucht dann schemenhaft erstmals diese unglaublich schöne Anlage auf. Sie ist gewaltiger, riesiger als wir aufgrund der uns bekannten Fotos uns vorstellen. Es lüpft einem das Herz.
Nicht zum letzten Mal, dass ich an diesem Tag feuchte Augen bekam, denn auch das Mausoleum des Lord Treasurers (Baby Tadsch Mahal) gehörte mir allein, wenn man von den Tauben und einer Horde Rhesusaffen mal absieht.
Das Tadsch Mahal ist so blickfüllend, dass noch nicht einmal die herumwuselnden Touristenhorden optisch stören.
Und es ist schön.
Zumindest aus der Perspektive des Mondgartens. Es gibt Fotos, wo man glaubt, dem Meisterstück eines Konditors gegenüberzustehen, aber diese Kitschperspektive gibt es eigentlich gar nicht in Wirklichkeit. Man braucht schon technische Hilfsmittel, um die architektonische Realität dieses Gebäudes so zielbewusst zu verfehlen.
Das Tadsch Mahal ist traumhaft schön.
Dies gab uns ein islamischer, ziemlich dekadenter Herrscher: zeitvernichtendes Gedenken, in sich ruhende Schönheit.
Und was gibt uns das Christentum?
Wenn man zum Vergleich ein ebenso zentrales Kunstwerk, sozusagen den Kern seiner religiösen Botschaft heranzieht, nämlich Michelangelos „Jüngstes Gericht“ im Lateran, dann kriegt man mit, dass uns das Christentum Schuld und lebenslanges Gebeuteltsein vom Sündenbewußtsein als Schönheit andient. Diese Verquollenheit der zerquälten Leiber ist nicht mein Schönheitsbegriff.
Schönheit reißt uns in eine Gegenwärtigkeit, der nichts mehr fehlt. Und das übersetzt sich ganz einfach in: Paradies.
Ich habe das Paradies gesehen und verzichte hinfort auf den in Aussicht gestellten Platz an der Rechten des Vaters.
Der Ausflug nach Fatehpur - Sikri war ein weiterer, letzter Höhepunkt architektonischer Raumerlebnisse. Statt der befürchteten, anstehenden Schwärmerei möchte ich an etwas anderes, weil Unbekannteres erinnern. In der dortigen Moschee findet sich in arabischer Kalligraphie ein Zitat aus dem apokryphen Thomas-Evangelium, das der große Akbar anbringen ließ:“ Die Welt ist eine Brücke. Gehe darüber hinweg, aber baue kein Haus darauf. Was vom Leben bleibt, ist ohne Wert."
Der Flaneur nimmt zustimmend zur Kenntnis, dass von der Einfältigkeit der Häuslebauer die Rede ist.
-Und du glaubst, dass alle anderen, die deiner Lebensweise nicht anhangen, auf dem Holzweg sind?
-Selbstverständlich.
-Und nur du liegst richtig?
-Nein.
Nachts:
Es ist leider keine allgemein akzeptierte Wahrheit, dass die Haßabstinenz tödlich ist, und die angepriesene Liebe keineswegs Leben garantiert.
Das macht: immerzu wird irrtümlich die Privatmoral der Einzelnen mit einem Strukturgesetz der Politökonomie ihres Staats verwechselt.
Und die Verwechslung von Grund und Zweck ist geradezu die Signatur des Zeitalters: der vom Staat ins Werk gesetzte Anfall von Leichen wird verkauft als freiwillig abgeliefert für die Sinninstanz Staat.
Solange dieser Irrtum anhält, und die bewusste Vertauschung der Kategorien täglicher Brauch ist, halte ich mich an die gesicherten Ungesichertheiten:
Wir sind kein Dorfschulz, nur Vagant,
Minister nicht, nur Diener ohne Stand.
Wir sind die Feder in des Künstlers Hand,
Wohin wir gehen, ist uns nicht bekannt.
(Dschelaladdin Rumi)
31.10. Dehra Doon
Ich habe mich für den Abstieg in die Ebene entschieden, d.h. es war eigentlich meine tropfende Nase.
Nachts:
Die Vorstellung eines Schöpfergottes bedient sich der Logik von Ursache und Wirkung. Kein Ding, das sich aus sich selbst schöpfen könne!
Wohlan denn, und wer also schuf Gott???
Betretenes Schweigen in den Reihen der Theologen ob solcher Penetranz und Inkompetenz. Dabei hat diese Frage nichts anderes getan als - den Figuren des reinen Denkens gehorchend- diesen Ärzten von ihrer eigenen Medizin zu schlucken gegeben.
Fr. 2. Nov. Chandigarh
bin heute mit dem Bus über die Shivalik-Berge abgestiegen in die staubige, heiße nordindische Tiefebene.
Dieses Chandigarh ist eine einzige Sünde gegen den vertretbaren Geschmack. Und dabei hat diesen gigantischen gerasterten Betonhaufen (mit Bäumen dazwischen ) einer der berühmtesten Architekten des 20 Jahrhunderts, nämlich Le Corbusier entworfen. Der Beton ist leprös und leidet an Leukodermitis, wo ihn die Stahlarmierungen bereits gesprengt haben wird er schwarzfleckig.
Indien mag mal schön gewesen sein, aber jetzt geht es hier den Weg vom Traum über den sogenannten Fortschritt zur Hässlichkeit. Ich treffe bislang im zivilisatorischen Bereich nur kulturelles Brackwasser, also die Mischung aus See- und Süßwasser, mit der noch nicht einmal die Fische was anzufangen wissen. Dieselfurzende Laster und Busse, Zivilisationsmüll neben ländlichem Kuh-Dung, Staub und Schweiß.
Die Selbstdarstellung des Hinduismus in seinen Göttern scheint mir mit den Reizen des Jahrmarkts zu locken: knallig bunte Pappmache' - Exotismen. Nach unseren Maßstäben der reine Kitsch.
Für die Bettler habe ich mir was ausgedacht und ernte damit Lacherfolge bei allen, die die Szene optisch mitverfolgen. Und das sind viele, weil so einen langnasigen Großen mit blonden Haaren, das lässt sich hier keiner entgehen: ich stülpe mit bedauerndem Achselzucken meine Hosentaschen nach außen: da ist nix, und da auch nicht, weil schon die Kollegen erst vor kurzem für diese Leere gesorgt haben.
Nachts:
Die Beschäftigung mit dem Tod. Das Unwissbare wissen wollen: Wie sehr gleicht es doch dem Gang zum Astrologen!
Ich hingegen wälze mich fröhlich in meiner diesbezüglichen Ignoranz: ich weiß nicht, woher ich komme, warum ich hier bin, und wohin ich demnächst gehe.
Als ich in meiner Jugend die Doctores, Heiligen und großen Erlöser frequentierte, fiel mir beim Hinausgehen auf: es war noch immer die selbe Tür, durch die ich hereinkam.
Glauben an das versichernde Wort eines anderen ist das Gegenteil der Rede des Heiden: “Da hätte ich auch selber drauf kommen können.“
Der Tod gehört übrigens zum Leben dazu, nicht das Leben zum Tode.
Wer das anders zu sehen lehrt, dem ist die Erinnerung an die Todesbereiter ein oberflächliches „Bloß“, also keines Nachdenkens wert. Von den Völkermorden der Juden seit dem Buch Joshua im Auftrag Gottes bis Bhopal 1984 im Auftrag des Dollars hätte man was in der Hand. Das hieße aber, die Fäuste hochnehmen zu müssen.
Müdes Abwinken auf Seiten der coolen Generation, und aus schlaffem Mundwinkel fällt höchstens ein ironisches Zitat: „Nie wieder Krieg... von deutschem Boden aus...“
Sa. 3. Nov Amritsar
Ist zunächst einmal verstopft, verstaubt und verstunken wie jede größere Stadt der 3. Welt.
Umso umwerfender der ganz in weissem Marmor strahlende Tempelbezirk, den man mit gewaschenen Füßen betritt und sofort vom Kirtan, dem melodischen, von einer Tabla und einem Harmonium unterlegten Gesang gefesselt wird.
Der Tempel in seinem künstlichen See über und über vergoldet.
Über einen Steg nähert man sich mit Hunderten von Gläubigen, ja wem oder was?
Marmorintarsien und grazilem Zierat?
Das wohl auch. Aber mitten drin in dem Schatzkästlein ein gigantisches, handgeschriebenes Buch, dessen Inhalt 48 Stunden lang umschichtig vorgesungen wird.
Ein gigantisches Buch als Gott... Kein Bild, kein Weihrauch, nur Sprache.
Das ist kein Gott, den man morgens waschen muß und abends beweihräuchern, oder den man in komplizierten Zeremonien aus einer Puppe zum „murti“ (anwesenden Inkarnierten) schaffen muß, wie sonst im Hinduismus.
Daher auch keine festgesetzten Zeiten für Messen oder Andachten.
Ein Gott, der nur im sprachlichen Bezug auf ihn existiert.
Logisch: wo denn sonst ist Gott anwesend als im Gedanken (Hymnus, Eingedenken) an ihn? Also in der Sprache, der Stadt Gottes.
Übrigens wird dir auch kein Materialist etwas anderes darüber sagen. Er meint es nur anders.
Im Museum stiftet diese hinduistische Sekte zu einer merkwürdigen Identität an, nämlich einer, die sich im kämpfenden Märtyrer einfindet. Diese ansehnliche Reihe von Märtyrern war seit des großen Akbars Tod 1606 von den Hindus produziert worden, weil Sikhs nichts von der Kastengesellschaft halten, für welch egalitären Grundzug diese Unruhestifter immer mal wieder bestraft werden müssen.
Ein großes Gemälde feiert den ersten Märtyrer wie er ruhig auf einer glühend heißen Pfanne sitzt, während ihm glühend heißer Sand in den Schoß geschüttet wird. Andere Bilder im Großformat zeigen die Gefolgsleute des Neunten Gurus wie sie bei lebendem Leibe gekocht werden, oder von oben nach unten in Hälften gesägt werden. Das Ölgemälde daneben zeigt die Enthauptung des Guru.
Ich erspare dem Leser die detaillierte Auflistung menschlichen Einfallsreichtums, wenn es darum geht per Folter nachzuweisen, dass ich mit meiner Narretei im Recht bin und nicht etwa der andere.
Mich zieht ein Gedicht an, das dem gefesselten Gekochten zugeordnet ist. Er bittet in Versform, man möge doch sein Gesicht seinem Guru zuwenden. Ich denke, da habe ich das Prinzip des Gurus begriffen. Er ist der ideelle Vater, den man gerne gehabt hätte. Diesmal kann man ihn sich selber aussuchen. Er heilt alle Verletzungen, die man in der realen Abhängigkeit vom realen Vater zugefügt bekam. Für ihn wird man sogar sterben.
Nachts:
Beten. Hier schlägt der unausrottbare Rest-Materialismus in jeder Religion voll durch. Auch professionelle Killer und organisierte Räuber pflegen – wie man weiß – bevor sie sich zu ihren übeltäterischen Besorgungsgängen auf den Weg machen, zu beten.
Einmal etabliert, zeugt dergleichen seine eigene Logik.
So ist das Gebet eines preußischen Prinzen vor der Schlacht überliefert, das sinngemäß etwa so lautet: “Herr, mir brauchst du nicht zu helfen; es langt, wenn du den anderen nicht beistehst. Den Rest erledige ich selber.“
Mo. 5. Nov. Bikaner
Es ist dieses Indien das körperlich und seelisch anstrengendste Land, das ich je bereist habe. Man muss hier schauen lernen, ohne zu sehen.
Und was die körperliche Seite betrifft: Die Fahrt dauerte von 9:30 Uhr gestern Nacht bis 11:30 Uhr heute Vormittag.
Und das mit einer Lebensmittelvergiftung, die mich hinten unten und vorne oben sprudeln machte. Die Entsorgung oben war kein Problem. Das wurde in die nächtliche Wüste Thar gereihert. Aber du weißt ja wie ich mich anstelle, wenn ich wem im Wege sein muss. Oder gar einen ganzen Bus aufhalten!
Da begann ein Jahrhundertkampf zwischen meinem Favoriten Sphinkter und einem ernst zu nehmenden Gegner, der Bestie Peristaltik. Mir war klar, dass auf die Dauer mein Favorit keine Chance hatte.
Das Kunststück war: kurz bevor der Schließmuskel k.o. geht muss man mit herabgelassenen Hosen neben dem Bus in der nächtlichen Tharwüste kauern.
Jetzt bin ich halt schlapp und gehe gleich wieder ins Bett. Behandle mich mit Cola und gesalztem Sodawasser.
Nachts:
Trost für Ungläubige:
Ich kenne Leute, die werden – trotz all ihrer Dienste am Göttlichen – nie menschliche Wesen werden. Ich aber werde aus den Tavernen dieser Welt hervorquellen wie Seine Göttliche Herrlichkeit Höchstselbst.
6. Nov. Immer noch Bikaner
Viel Zeit bei Cola und Soda zum Blödeln. Hier mal zur Abwechslung ein schönes Gedicht über
Das gesellige Sandkorn
Des Sandes Korn
Ist niemals verlorn.
Die finale Form vom Stein
Ist selten allein.
Fein.
Daß es aber sonst was wäre
Jenseits seiner bloßen Schwere,
Bildet’s sich bloß ein.
Nachts:
Gegen den Anspruch des Wunderglaubens: Selbst wenn ein Yogi vor meinen Augen einen Kuhfladen an die Hüttenwand nagelte, ginge daraus nichts weiter hervor, als daß ein Yogi vor meinen Augen einen noch magenwarmen Kuhfladen an die Hüttenwand genagelt hat.
Keineswegs sehe ich mich dadurch genötigt, seinem Kriegs- oder Friedens-, Liebes- oder Einkehrappell zu folgen. Stattdessen werde ich den Nagel herausziehen.
So was gehört da nicht hin.
Sela!
7. Nov. Ausflug zum Rattentempel nach Deschnok
Die Kamele hier sind eine einzige show. Die ziehen auf zweirädrigen Karren Riesenballen von Heu hinter sich her wie nix. Dabei sehen sie so gouvernantenhaft aus als ob das alles unter ihrer Würde wäre, aber gleichzeitig: "Phhü, macht mir doch nix aus."
Heute morgen einen Abstecher zum Rattentempel nach Deschnok gemacht. Da huschen die heiligen Ratten nur so herum, und naschen von der heiligen Speise. (Prasad genannt) Wer von diesem angeknabberten Zeug ist, dem winkt großes Glück. Auch wenn eine Ratte über seinen Fuß läuft, hat er darin ein glückverheißendes Zeichen.
Es sollte kein Gläubiger über dieses krause Zeug lachen. Auf diesem Gebiet gibt es keine Grenze, jenseits derer ein Gläubiger sicheren Stand hätte, um von dort mit dem Finger auf das Unerhörte zu zeigen. Hier kennt der krause Unfug nun mal keine Grenzen, und es fasse sich der an der eigenen Nase, wer freiwillig an den Teufel glaubt. Ratten kann man wenigstens sehen.
Und übrigens: Besser eine Erklärung als überhaupt kein Glaube. Beim Schach nimmt der eine Weiß, der andere Schwarz. Aber nur zusammen ergeben sie das Schachspiel.
Do. 8. Nov. Jaisalmer
Hier ist es wohl am indischsten vom ganzen bisherigen Indien.
Mindestens 30 Grad, aber trockene Wüstenhitze. Habe mir endlich ein Baumwollhemd besorgt, ohne Knöpfe, halt so ein luftiges Hängerchen in blau.
Die Frauen in ihren vorwiegend orange- bis rotbunten Schleiern sind schwer behangen mit Silber- und Goldschmuck. Auch vom Nasenflügel bis zum Ohr, hängt halbmondförmiges, in sich detailliertes Gehänge.
Daneben diese Rinder mit den Höckern, großen Schlappohren und elegantem Gehörn.
Die Tempel der Jains sind überaus reich dekoriert und teilweise wirken sie wie Gehäkeltes aus Stein.
Die weiblichen Skulpturen darin und daran weisen gewaltige Protuberanzen an den Stellen auf, wo Frauen normalerweise ihre BHs tragen. Der Schwerkraft trotzen auch die darüber laufenden Perlen-Ketten, die sozusagen im 10 Schwierigkeitsgrad an den gewaltigen Ausbuchtungen nach unten klettern. Sehr schön und dem männlichen Auge angenehm, das anzusehen.
Dann diese Havelis, Häuser reicher Kaufleute, mit in Stein gemetztem Gitterwerk und floralem Dekor auf der Hausfront und den Balkonen, an den Pavillons und Kiosken. Müssen derartig schwerreiche Leute gewesen sein, dass man den Ärger versteht, den die herrschenden adligen Rajputen über solche Leute verspürten, und daher den Räuberbanden, die den Kaufleuten das Leben schwer machten, keineswegs gram waren, oder gar gegen das Ausplündern von Kaufleuten eingeschritten wären. Da haben die Kaufleute sich mit den Engländern verbündet.
Das war der Anfang des britischen Kolonialismus: den Kaufleuten ist es gelungen, die einen Plünderer gegen die anderen Ausplünderer einzutauschen.
Über der Stadt thront eine gewaltige Festung. Irgendwie unwirklich wie ein Fantasiefilm das Ganze.
In dieser unwirtlichen Wüste lebt das Volk der Bishnoi. Das sind Leute, die Bäume und Tiere erwiesenermaßen mit ihrem Leib und Leben schützen. Bis auf den heutigen Tag. Jäger und sonstige Frevler werden ohne Ansehen der Person verprügelt. Dafür fressen ihnen sogar die als scheu bekannten Antilopen aus der Hand.
Nachts:
Der Wiedergeburtsgedanke hat was für sich. Gegenüber der Einmaligkeit und Verwirktheit des Lebens nach Maßgabe der abrahamitischen Religionen kriegt man die Chance einer Korrektur der erlittenen Ungerechtigkeit im nächsten Leben.
Fortsetzung des etablierten Grundgedankens: dem ewigen Kreislauf entkommen zu wollen. Da pflegen die Schulen/ Methoden/ Pfade ins Nirwana/die Moksha zu erblühen.
Das ist keine böse Absicht eines Priestertrugs. Es liegt in der Logik der Sache, sosehr das Pfaffengesindel davon profitieren mag.
Und in letzter Konsequenz: Ich bin ein wiedergeborener Gott: Krishnamurti.
Freitag, 9.11. Jodhpur
Heute ist der letzte Tag des Divali-Festes, das in seiner Bedeutung etwa unserem Weihnachten entspricht. Die ganze Woche war schon das Geböllere, und heute wird es wohl am schlimmsten werden.
Hat aber auch seine guten Seiten. Man beschenkt einander. Bei mir wirkt sich das so aus, dass ich zum Dinner bei meinen Wirtsleuten eingeladen bin, und das Bier frei ist. Der Sohn hat mich schon heute Nachmittag auf seinem Roller zu der - etwas außerhalb der Millionenstadt gelegenen – marmornen Gedenkstätte eines beliebten Maharadschas gefahren. Wunderschöner Orient!
Zurück wollte ich schlendern. Das gelang mir nicht. Schon der erste Motorradfahrer hielt an, und wollte wissen, wohin es denn gehen sollte. Also Liebe, Freude, Eierkuchen! Wenigstens einmal im Jahr. Ganz wie bei uns.
Die Wüste Thar, in der ich nach wie vor mich herumtreibe, obwohl ich ganz schöne Buskilometer abdiene, darfst du dir nicht vorstellen wie einen gewaltigen Strand mit Dünen. Ist mehr eine topfebene aride Zone, die 9 Monate keinen Regen abkriegt. Da wächst aber dann doch noch vereinzelt Kümmerliches, womit die Kamele, Schafe und Ziegen zurechtkommen müssen.
Auf 360 Grad in der Runde beweist die Welt dem Landbewohner, dass die Erde eine Scheibe ist. Der hat schließlich Augen im Kopf.
Stelle mir gerade vor, was los ist, wenn einer das Weltbild des Bewohners der nordindischen Wüste korrigieren wollte.
- Und in dieser Richtung, etwa 900 km von hier, gibt es große Gebirge.
- ?
-Berge. Also das ist...beispielsweise dieser zuammengefegte Haufen Kamelmist hier, das ist ein kleiner Berg. Und ein Berg da im Nordosten ist noch 100 000 mal größer.
-Haha, so große Kamele gibt’s doch gar nicht!
Allgemeines, beifälliges Gelächter.
- Und in dieser Richtung hört das Land auf und das große Wasser beginnt. So weit das Auge reicht, nichts als Wasser. Kann man aber nicht trinken. Auch zum Bewässern taugt es nicht.
- Der kann vielleicht lügen! Außerdem, wozu sollte es wohl so einen Unsinn geben: jede Menge Wasser und nix damit anzufangen. Shiva sei Dank, dass er uns so eine schöne Wüste gegeben hat! Da gibt es volle drei Monate im Jahr reichlich Regen.
Tja, so sind sie, die Bauern. Mittlerweile sieht man sie aber Fernseher und Satellitenschüsseln in ihre Hütten schleppen.
Heute Nacht habe ich von donnernder, gischtender Brandung an Steilküsten geträumt. Das war vielleicht schön!
Nachts:
Zu Hesses „Siddharta“, dem Überbuddha: wer von der Sache nichts versteht, quatscht von der Vorbildlichkeit der Person, die für die Gediegenheit der Angelegenheit einsteht.
Daher genügen schlichten Geistern auch die Märtyrerkalender.
Das Vorbild ist der als lebend gedachte Beweis für die Bonität des Ideals. Wehe dem anbetenden Knecht, der entdeckt, dass der Himmel voller Ideale hängt.
Sa. 10 11. Jodhpur
Dieses Divali-Fest (Lichterfest/Neujahr) ist wohl nur für die lärmliebenden Inder eine runde Sache. Das Austreiben der bösen Geister dauert nicht bloß mal so ne Stunde wie bei uns. Das geeeeht die gaaanze Nacht.
Noch heute Morgen, als ich in der kühlen Morgenbrise auf die Öffnung der Festung wartete, krachte es wie Geschützdonner aus der Stadt herauf. Erst im Laufe des Vormittags ebbte der Geräuschpegel etwas ab. Und die Lauser lassen es natürlich nach wie vor immer mal wieder krachen.
Das Fort und seine Paläste sprechen eine deutliche Sprache über die Adelskaste der Rajputen, die hier rund 1000 Jahre das Sagen hatte: solche riesigen Verteidigungsanlagen braucht nur einer, dem der Sieg über den von ihm Angegriffenen danebengeraten ist.
In der Tat haben sich hier die Rajputenclans mit dem Slogan: "Sieg oder Tod" gegenseitig das Leben schwer gemacht, denn - nicht wahr - wenn es um die Frage der Machtausübung geht, warum dann nicht ich? Wieso soll eigentlich der andere Arsch seine Untertanen für seine größenwahnsinnigen Projekte triezen? Das kann ich viel besser. Und so haben diese liebenswürdigen Krieger, die den Leuten erfolgreich einredeten, dass ihre Herkunft auf die Sonne zurückzuführen sei, sich eben bedient am Reichtum, den der Bauer, und vor allem der per Karawane zur Seidenstraße durchreisende Kaufmann bedeuteten.
Ein besonders widerliches Exemplar dieser Kaste pflegte seine Luxuskarossen zu begraben, wenn er ihrer überdrüssig war, übergoss sein Pony mit Benzin und zündete es an, und "verzehrte" vor allem Knaben.
Der Klassenkampf, von dem immerzu abgeraten wird als einer Untugend der Schlecht-Weggekommenen, tobte hier überhaupt nur von oben, bis auf den heutigen Tag: die Rajputen lassen es schon auch mal zu aufständischen Tätlichkeiten kommen, wenn der indische Staat meint, auch die unteren Kasten sollten einen wenigstens quotierten Zugang zum Studium bekommen oder überhaupt mit Überlegungen hinsichtlich ihrer Interessen bedacht werden.
Fazit: weil die "Stillen im Lande" überall auf dem Globus die ihnen bereitete Wirklichkeit nur für einen ihnen fernen, uninteressanten Vorgang halten, kommt es zur Weltherrschaft der Schreihälse.
So geht man hier durch den phantastischen Luxus der Paläste mit gemischtem Gefühl:
-Sänften, an denen 6 Mann zu tragen und zu summen hatten, damit seine Hochwohlgeborene Fußkrankheit nicht durch ungleichmäßigen Rhythmus inkommodiert werde;
- in parfümiertes Wasser getauchte Rollvorhänge, damit deren im Wind schaukelnde Verdunstungskälte die Wüstenhitze mildere....
Wie denn, ist Er-Fahrung nicht genug?
Gegen den Dreck, den mir die Medien zuhause ins Zimmer spülen, ist die Wüste Thar eine saubere Sache. Nach-Hause-Fahren geht in Ordnung, Zu-Hause-Bleiben ist die reine Zeitverschwendung.
Do. 18. Okt. Immer noch Shimla
Dieses Shimla hat eine phantastische Lage, nicht nur klimatisch. Im Norden sieht man die Himalayakette und ringsum schroffes Hügelland. In dem bin ich heute rumgewandert.
Auf dem Zugang zum Tempel des Affengotts Hanuman stand mehrfach zu lesen, man solle nur ja auf seine Siebensachen aufpassen. Das galt natürlich mal wieder nicht für mich. Das heißt, ich war mir gar nicht bewusst, dass ich noch die Brille aufhatte.
Und – wutsch! – weg war sie, die Brille!
Ein Rhesusaffe hatte sich die mit der sprichwörtlichen affenartigen Geschwindigkeit gegrapscht und untersuchte sie auf eventuelle Genießbarkeit hin. Daher gab es auch nur eine kurze Verfolgungsjagd. Sie schmeckte ihm nicht.
Ansonsten: am Polizeirevier steht eine Skulptur, die einen Polizisten zeigt, der seine rechte Hand liebevoll väterlich auf dem Kopf eines kleinen Mädchens ruhen lässt, während er mit seiner Linken der Göre eine Ohrfeige verabreicht. Der Titel dieses Kunstwerks von der lehrhaften Sorte: "Duty and Love" also Pflicht und Liebe, und zwar in dieser Reihenfolge. Die ganze abendländische Kultur basiert auf diesem zynischen Unsinn. Dem Zögling wird beizeiten eingebläut, dass Gott zu fürchten und zu lieben sei, und sein irdischer Stellvertreter selbstverständlich dich liebt, wenn er dir eine reinsemmelt. Er tut das bloß für dich, und ihm tut das sogar noch mehr weh als dir...usw.
Shimla ist im übrigen so recht eine Allegorie des Affenfelsens, auf dem so dahingelebt wird. In der neogotischen Kirche am Beginn der Mall sind die ersten beiden Bankreihen links und rechts dem Viceroy reserviert, dahinter hat gleich der Commander in Chief seine Besitz-/Revieranspüche per Metallplättchen markiert. Darunter mag sich tummeln und drängeln, was Lust dazu hat.
Die Glasfenster mit den Allegorien von Glaube, Liebe, Hoffnung, Barmherzigkeit, Stärke, Geduld und Demut sehen allesamt gleich aus, nämlich wie schwindsüchtige höhere Töchter, von einem Präraffaeliten gemalt. Recht betrachtet ist das ja wirklich alles das selbe: Ertragen der freiwilligen Selbstauslöschung im Hinblick auf....
Nachts:
Die bloße Vorstellung einer Einheit genügt, um eine religiöse Modellierung welcher Art auch immer an sich selbst oder an anderen vorzunehmen. Der elementare moralische Gedanke“ Du bist Teil eines unhintergehbaren Ganzen“ lugt aus jeder fadenscheinigen Religion hervor.
Buddhismus: die von poetischem Gestrüpp gereinigte Fassung davon. Hinduismus: die dem Schein nach vielen Götter reduzieren sich als Inkarnationen
-erstens stark, und
-zweitens auf das eine Dharma des einen Brahma.
Fr. 19 Okt. > Dehra Doon > Mussoorie
Auf solchen elend langen Fahrten fällt man irgendwie in Trance. Kann mir sonst die meditative Grundstimmung schlecht erklären. Die Ebene geizt mit landschaftlichen Reizen. Aber die Natur mit ihrem Einfallsreichtum ist ab und zu schon ein Augenöffner. Hier gibt es klosettdeckelgroße Blätter an Bäumen, und 30-50 cm lange, daumenbreite Würste hängen im Baumgeblätter.
Die häufigste Frage, die man in den Bussen und an den Rastplätzen zu hören bekommt, ist: „Which country/land (sic!) do you belong to? Und da sage noch einer, der Nationalismus sei nicht die Religion des modernen Staats. Mutter Indien ist hier das Substrat, dem man (an)gehört. Sie ist das Eine, das du nicht bist, aber von dem du ein Teil bist. Es stimmt also gar nicht, dass hier alles unstrukturiert ist und lauter Unfokussierte herumstolpern. Der Staat hinterlässt eben seine Einschreibungen in jedem Gehirn.
Nachts:
Der Hinduismus kennt kein Glaubensbekenntnis. Das macht ihn sympathisch. Man vergleiche damit die „Auferstehung im Fleische“, also leibhaftig. Na, das wird ein Gedrängel geben, dereinst beim Jüngsten Gericht! Dagegen ist ja der Reinkarnationsgedanke ein Ausbund von Nachvollziehbarkeit.
Sa. 20. Okt Mussoorie
Eine weitere hillstation der Engländer.Immer wieder in der Ferne die Eisriesen des Himalaya. Und all diese Schönheit geht demnächst mit mir dahin. Schlimmer: es steht zu befürchten, dass alle von mir Wertgeschätzten und durch Sympathie Verbundenen mich hier zurücklassen, und dann habe ich keinen mehr, den ich mit meiner Stimme aus dem Irgendwo berücken könnte.
In meinem „Du“, dem anonymisierten Gegenüber habe ich freilich ein treffliches Mittel, diese Abwesenheit vergessen zu machen. So lange ich spreche, bin ich. Und weiter als zu sICH hat es noch keiner gebracht.
Nachts:
Der mir als Verblendungs-Kritiker sympathische Buddhismus, der die Verhaftetheit an die Welt ebenso wenig mag wie ich Flaneur, der gerade die Flüchtigkeit und das ewige Verschwinden alles Vorübergehenden schätzt, wird im nächsten Wort schon abstoßend. Er liest nämlich Verblendung als Gier. Gier sei die Ursache des allgemeinen Ruins? Das klingt mir doch sehr wie die tautologische Allerweltsweisheit: wer nichts braucht, der nichts bedarf.
Also sprach Zaraistian: Sollte das Leben tatsächlich eines Tages sich nicht mehr nach sich selbst sehnen (Lebensfreude, die sich weiterschenkt), dann macht halt der Letzte das Licht aus.
Mo. 22. Okt. Rishikesh
Bin inzwischen in diesem hinduistischen, spirituellen Supermarkt angekommen. Da wo seinerzeit die Beatles sich ein wenig bei ihrem Guru ausgeruht haben. Es liegt sozusagen im Schoße des Himalaya, da wo zwei Flüsse sich vereinigen (immer ein heiliger Ort für die Hindus) und in die nordindische Ebene hinausfließen. Durch den dadurch entstehenden Wind-Kanal weht ein belebendes Lüftchen.
Ganz anders als in dem 24 km südlich davon gelegenen heißen Haridwar, wo ich gestern war. Dies Haridwar ist eins der ganz großen Hindu-Pilgerzentren. Du kannst dir nicht vorstellen, was da los ist. So viele Leute auf einem Haufen habe ich noch nicht einmal in der Pariser Metro gesehen. Und da ist ganz gewiss toll was los.
Auf Stufenanlagen lagern da die Pilger und steigen zu einem Ganzkörperbad in den eisigen Ganges. Weil der da noch ziemlich reißend ist, gibt es Ketten, an denen man sich festhält.
Ich habe ahnungslos meine be-sandalten Füße in der Mutter Ganga gekühlt.Da waren aber die Hindus sehr dagegen. Oder betritt unsereiner etwa die Mutter mit Schuhen? Na bitte.
Morgens ging es von Mussoorie zum 34 km südlich davon gelegenen Dehra Dun in endlosen Kehren abwärts. Der Fahrer fuhr derartig ruppig, dass vorne rechts eine junge Frau den Kopf aus dem Bus hielt, um das irgendwie störende Frühstück loszuwerden. Es dauert nicht lange, dann trennt sich auch die Mutter vor mir von allem überflüssigen Mageninhalt. Und jetzt ist ihr Kleines mit der roten Bommelmütze dran!
-Uuuaaargh!
Hält das Bündel Menschlein beim ersten, eindeutig sich anhörenden Grummeln einfach aus dem Fenster, und fertig.
Und wo ist hier die Pointe?!
Gibt´s nicht. Das Leben hat auch keine.
Für die Praktiker unter uns sei jedoch scheinheilig eine Moral der Geschicht’ angehängt: das Fenster neben dir immer schön geschlossen halten! Sonst zieht es das da vorne Rausgeworfene magisch zu dir wieder rein.
Kleines Scharmützel mit dem Busschaffner. Wir mögen uns von Anfang an nicht. Ich sitze wie gewohnt und häufig gleich neben der Bustür rechts. Ihm passt das nicht und er weist mich mit meinem Gepäck barsch anderswohin. Will 28 Rupien. Ich gebe ihm 100. Und warte auf das Wechselgeld.
Nach 10 Minuten rühre ich mich: "What about my change?"
- „One minute.“
Ich warte 5 Minuten.
- “I' m still waiting for my change.”
- „....’“ .
Als er sich in seine Wolldecke hüllen will (gegen den Luftzug in diesen klapprigen, in verschiedenen Stadien des Verfalls befindlichen Bussen sehr nötig) werde ich laut und erkläre brüllend, dass ich ihm 100 Rupien gegeben habe und nun 72 zurück haben will.
Das erweckt allgemeine Aufmerksamkeit. Denn wenn einer nichts kann und weiß, die englischen Zahlen haben sie alle drauf.
Im nächsten Bus habe ich dann aber verloren. Der war härter als ich.
Indische Verhältnisse!
Das fängt schon morgens in Haridwar gut an. Der Zug soll 6 Uhr 45 los. Ist aber erst 7 Uhr 20 erstmals gesichtet worden. Die -zig Schläfer auf dem Steinfussboden des Bahngebäudes schütteln jetzt langsam aber mit Nachdruck ihre Decken aus. Seither beisst es mich mal hier, mal da. Und ich entdecke mit Entsetzen, dass ich das selbe tue wie der Affe da drüben: mich kratzen.
Überhaupt diese possierlichen Affen. Denen kann man stundenlang zuschauen. Sie sind einfach die Parodie all unserer Verhaltensweisen aus dem äffischen Erbe.
Das zankt sich mit einer Kuh und einem verzweifelten Unglückswurm um den Inhalt seiner geplatzten Tüte gerösteten Reises als wäre gerade mal wieder eine Tarifrunde.
Das besteigt unerlaubterweise eine ihm nicht zustehende Haremsdame, geht aber elegant und eilig flitzen, als das beim Haremsbesitzer übel vermerkt wird. Rauf auf die Peitschenlampe und von da auf halber Höhe – haste nicht gesehen! - auf den Zug. Habe auch einen Affen mit einem blauen Auge (Veilchen!) gesehen.
Und wenn so einer ganz ruhig dasitzt und vor sich hinsinnt, da ist er doch das Urbild von Weisheit und Verständigkeit.
Die Bahnfahrt selber in der "Holzklasse" hat dann 1und eine halbe Stunde gedauert. Habe dabei die meiste Zeit an der offenen Tür gestanden, weil die Sicht auf den Dschungel da draußen umfassender war, und der Latrinengestank vom Fahrtwind praktischerweise verweht wurde.
Nachts:
Die schöne Schrift der Inder hat einen mich - mit seiner tiefen Wahrheit - entzückenden Namen:Devanagari. In seine Bestandteile zerlegt bedeutet das: Stadt der Götter.
Die Sprache der heiligen Bücher ist jeder täglichen praktischen Zwecksetzung so weit entrückt, dass ihre geheimnisvolle Verschriftung nur eine Botschaft aus einem ganz Anderen, dem Jenseits, sein kann.
23. Okt. Rishikesh
In Rishikesh mit seinen vielen Ashrams (Lebens-, Arbeits- und Besinnungsstätte eines Gurus und seiner Gemeinde. Zahlende Besucher willkommen.) laufen die Europäer im gemessenen Wandelschritt, grußlos wie die Kühe aneinander vorbei, mit einem bescheuert selbstzufriedenen Lächeln. Als hätte man ihnen gerade verraten, dass sie eigentlich Königskinder seien, was sie aber keinem verraten dürften. Das müsse ihr Geheimnis bleiben.
Klar, dass die gerade von ihrem Guru (spiritueller Lehrer) kommen, wo man in Meditationskursen für viel Geld lernt, wie man im Sitzen schläft, oder einem Yogakurs, wo man so seltsame Fertigkeiten beigebogen bekommt wie : die Beine hinten auf dem Rücken verschränken, oder sich mit gespreizten Knien nach hinten beugen und unterm Hintern weg dazwischen her nach vorne gucken. Es soll aber noch mehr dahinter stecken.
Andere Tricks, den Leuten Bedürfnisse zu schaffen, die dann eilfertig bedient werden, sind etwa: dir auf die Füße zu treten nachdem die Schuhsohle des Attentäters kräftig im Kuhfladen gerührt hat, um dir dann die Dienste eines Schuhputzers anzudienen.
Erinnert mich diese Technik stark an die Methode eines gewissen amerikanischen Politikers: erst steckt er dir die Hütte über dem Kopf lichterloh an, und schon bist du froh, wenn derselbe sich dir als Feuerwehr präsentiert.
Auf der Laxmanjhula-Brücke , einer schmalen Hängebrücke, fiel mir der vollgefressene Mittelstand mit seinen vorübergehend spindeldürren Töchtern im Anhang auf. Besorgniserregend meine Rapportlosigkeit gegenüber „der Inderin“. Bin ich schon so alt und abgeklärt? Aber diese knochigen Hände, die wie große Spinnen an den zerbrechlichen Ärmchen hängen, sind auch zu hässlich. Beruhigend andererseits, dass ich „den Inder“ öfter mal sehr hübsch finde und lieber mit ihm als mit seiner Schwester mir was anfangen würde.
Komisch auch sonst dieses Indien: keine Socken in den Schuhen, die schieben ihre behäuteten Knochen einfach so in den Schuh, aber ein Handy am Ohr muss sein.
Nachts:
Ziel des Buddhismus: Unverwundbarkeit in der Sphäre, die nun wirklich jeder in der Hand hat, weil dort der sonst überall sich einbrennende Herr nicht hinreicht: das weltlose Innen und seine souveräne Verfügung über sich selbst.
Sein Stil: das Ethos des reinen Denkens, d.h. des von jeglicher Restwelt gereinigten Denkens. Diese absonderliche Leistung der Subjektivität hat von der Stoa bis zum KZ-Insassen noch jeder Knecht zustandegebracht. Das erklärt auch die Hilflosigkeit des Buddhismus in weltlichen Dingen. Übrigens vertut er sich schon wieder gewaltig beim nächsten „Grundübel“, dem des Hasses, der unter anderem so respektable Kunstwerke wie Swifts Satiren hervorgebracht hat. Die kulturell kanalisierte Aggression ist geradezu der Motor abendländischer Geschichte. Auf die notorische Unfähigkeit Indiens, Geschichte überhaupt zu denken, braucht es sich wahrlich nichts einzubilden.
Nachts:
Das allgegenwärtige Bronzesymbol von „Shivas Tanz im Flammenkreis“: endlose Veränderung des immer mit sich selbst Identischen, Selben, in der Zeit. Eine sehr viel poetischere Fassung der bekannten Oma-Weisheit „Das war schon immer so“. Wenn die Leute anfingen, über Das, worüber sie gerade nicht nachzudenken gewillt sind, sondern lieber über Das ein nichtiges All-Urteil abgeben, sich Gedanken machten, wäre die Welt gerettet.
24. Okt. Rishikesh
Ich hatte es nicht darauf angelegt, aber es war irgendwie schon damit zu rechnen, dass ich bei meiner Rumstromerei auch mal in die Elendsviertel gerate. So heute morgen, als ich dem Gangesufer folgend an einen ausgetrockneten Nebenflussarm geriet, in dem Leute Kieselsteine nach der Größe sortierten. Am Uferrand dann die aus Abfall und Müll zusammengeschusterten Quartiere. Ich kann da nur sagen:
Hallo, Freiheitsfreunde der westlichen freien Weltfreiheit! Freiheit ohne irgendwelche Mittel riecht von einem bis zum anderen Ende nach Scheiße. Buchstäblich.
Und da keimt in mir schon eine - ich nenne das mal - gesunde Wut auf bei dem Gedanken an die beschäftigungslosen Akademikerinnen, die, um sich schön vorkommen zu dürfen, Geld sammeln, damit die arme Dritte Welt das Lesen lernt. Na dann wird' s ja wohl werden, wenn jedes dieser armen Schweine dermaleinst seinen Arbeitsvertrag lesen kann und den Lohnzettel, falls er denn jemals eine Arbeit kriegen sollte. Seine Arbeitgeber, falls er so was Kostbares auftreiben kann, können nämlich schon lesen, und seine Pfaffen auch, und die Politiker erst recht.
Die andere mir verhasste Sorte von Wohltäterinnen aus Akademikerkreisen steht auf "Amnesty International" Da soll man Unterschriftenlisten füllen für Petitionen, damit ein abgeräumter politisch Unliebsamer wieder aus dem Gefängnis raus darf. So was bringt' s echt. Der einzige indische Politiker, der so etwas wie ein soziales Anliegen durchzufechten schien, Laloo Prasad Yadav, erwies sich nach der Wahl, also bei seiner tatsächlichen Amtswaltung, noch korrupter als das übrige Politiker-Gesindel.
Eine Wahrheit über mich ist, ich hasse alle Pundits, Brahmanen und ihre neuzeitlichen professionellen Nachfahren. Die haben das sehr schnell herausgefunden. Seither verachten wir uns gegenseitig mit aller gebührenden Hochachtung, wir Heuchler.
Und hier noch ein aufgeschnappter kleiner Dialog, weil der in meine ausufernden “Definitionen und Aphorismen zur Lebens-Unweisheit“ gehört:
Inder zu Amerikanerin: "...and then I went to Las Vegas."
Amerikanerin zu Inder: " Oh, so you have seen God!"
Der angeberische Inder hat den Witz - seinem Gesicht nach zu urteilen - gar nicht verstanden.
Und außerdem ist das - recht bedacht - überhaupt keiner, denn ich lese hier mehrfach an Schulwänden: Work is worship. Arbeit aber gibt es nun mal nur im Namen des Dollars. Und was steht auf dem Dollar? "We trust in God".
Unterschrift, der Bundesbankpräsident.
So spake
Krish Tian, der Unweise
25. Okt Uttarkashi
Als Reisekumpel hatte ich einen jungen Amerikaner aus Oregon. Wir interessierten uns für die selben Bücher und Filme. Außerdem gehörte er zu den 50 % jener Amerikaner, die Bush nicht gewählt haben. Da verging die Zeit wie im Fluge. Habe kaum was von der Landschaft mitbekommen. Dafür die Entdeckung gemacht, dass es keinen amerikanischen Proust gibt, und einen amerikanischen Dostojewski erst recht nicht.
Statt des psychologischen Realismus hervorragende Täterliteratur mit moralischen Problemen.
In aller amerikanischen Genreliteratur gibt es wohl auch trouble, aber dafür hat man schließlich seinetroubleshooter.
26. Okt. Gangotri In Gangotri waren alle Treks gesperrt. Grund: eine Gruppe von den mir allmählich ziemlich verhassten neureichen Russen hat sich ohne Permit und ohne Guide an dem sehr schwierigen KALINDI - Pass verhauen und drei Tote produziert. Von dem losgeschickten Suchtrupp sind auch noch welche vermisst. Da hatte es den Indern gereicht und sie haben bis kommenden April alles gesperrt.
Und der heutige Tag?
Es gab natürlich viel frische Luft und großartigen Gebirgs-Szenerien. Aber der hinter mir im Bus holte sich alle zwei Minuten ein Quantum aus der Lunge und düngte damit den Himalaya, während wir nur zentimetergenau an hauerartigen Felszacken vorbeisausten.
-Chchrrrkt.-Ptui!
Da lernte ich die hässlichere Seite an mir kennen. O Krishna, lass ihn sich den Schädel an den Felszähnen einschlagen!
Das andere Ungemach rührte von einer dicken Wade, die sich mir, dem neben der Bustür Sitzenden, jetzt, und jetzt schon wieder warm aufdrängte. Übrigens benutzten Einsteigende zudem mein Knie ungeniert als Steighilfe.
-Drück. -Drück.
O Krishna, tu jetzt was, sonst setzt es was!
-Chchrrrkt.-Ptui!
-Drück.-Drück.
Hare, Hare, Krishna!
Lass diesen Teil von Indien,
für mich mal kurz verschwindien.
Und siehe da! Der Anschmiegsame fuhr nicht ganz bis Uttarkashi mit. Muss gelegentlich mal über das Verhältnis von Gebet und Zufall nachdenken. Oder auch nicht.
-Chchrrrkt.- Ptui!
Die Triefnase habe ich mir wahrscheinlich auf dem letzten Trek bei einem abendlichen "Aarti"(Hinduistischer Gottesdienst mit Socken auf kaltem Stein) in einem Tempelchen am Dodital geholt. Zwar hat der Mönch mir für himmlischen Beistand ein rotes Bändchen ans rechte Handgelenk gezwirbelt, aber Shivas Schutz hat wohl versagt.
Kann aber auch sein, dass mein Körper es gar nicht mag, wenn die Zwiebeln für mein Omelette auf der Sitzfläche eines Stuhls geschnitzelt wurden. Phantasien angesichts der - durch Sauberkeit nicht gerade hervorstechenden - Hosenböden ringsum verbieten sich: das wird ja alles kräftig erhitzt!
Hatte ab 3000 Höhenmetern wie üblich mit dem inneren Schweinehund zu kämpfen. Habe ihm gesagt, er solle doch gefälligst die Schnauze halten. War schwer beleidigt, denn im Grunde hatte er ja recht. Der Tag scheint mir nicht mehr fern, an dem auch ich ihm recht gebe.
- Du lässt nach, alter Sack.
- Das will ich nicht gehört haben.
- Antiker Sack?
- Schon besser.
Wenn ich nix mehr von den kleinen Hausgenossen schreibe, heißt das nicht, dass die freiwillig die Untermiete aufgegeben hätten. Nach wie vor behause und verköstige ich eine kleine Kolonie von Flöhen, die meinen Körper bewandern auf der Suche nach sicheren und leichteren Bohrstellen.
Heute morgen lagerte eine Kuh quer über der Fahrbahn. Die Kehle von einer Grosskatze aufgerissen und auf die Brust niederblutend. Sie schien geduldig auf Hilfe zu warten. Da kann sie in Indien lange warten. So heilig sie auch sein mag. Hier ist jeder selber mit Überleben vollauf beschäftigt.
Flohbericht: derzeit keine neuen Einstiche.
Vorgestern noch machte sich die agile Truppe an meinem linken Oberschenkel ein Fest, gestern war sie schon an der rechten Kniekehle zugange, und jetzt so gar nix. Entweder die sind an einem Ort zurückgeblieben, wo es ihnen besser gefällt, oder die hängen in einer gemütlichen Kuhle meines Körpers herum und stöhnen über ihre prallen Bäuche.
Auf dem Rückweg aus dem Ganges-Tal noch mal lange Blicke auf den Himalaya. Unten der zum See gestaute Ganges, darüber die steilen Terrassenfelder und noch eins drauf:die Schneeriesen. Das macht was. Und da will ich gar nicht so genau wissen was. Unschädlichen Irrationalismus wie diesen kann man sich ruhig leisten. Es sind einfach die Formen mit einem undefinierbaren, vielmehr nicht definitionsbedürftigen Überschuss, die es einem antun.
Mi. 10. Okt, Fahrt nach McLeod Gunj
Heute nach Osten zur Zuflucht des Dalai Lama und der seiner exilierten Tibeter. Bin also aus der Gefahrenzone raus.
Habe aber eine Evangeline (Ärztin aus Washington, D. C, 50 Jahre) auf dem Hals, die heilfroh ist, mal ein weißes Gesicht zu sehen, und entsprechend freimütig Selbstdarstellung betreibt. Empörend, wo für so was doch ich zuständig bin!
Erste Verluste sind zu beklagen: ein Vliesshandtuch und meine Ruhe sind dahin. Sage also keiner, ich hinterließe keine Spuren. Bei meiner Verlustrate hat gar mancher in der 3.Welt durchaus Anlass, sich meiner als eines Wohltäters zu erinnern.
Evangeline ist das Inbild des apolitischen Amerika, das keine Theorie über nix hat, und jegliche Mediennutzung schon vor Jahren aufgegeben hat. Sie hat diesen selbstgewählten Lebenszuschnitt auf die in ihrer Prägnanz unschlagbare Formel gebracht: „If it’s important, they’ll tell me.“
Man hat sich nicht für die Bedingungen zu interessieren, nach denen man antreten gemacht wird, man genügt ihnen halt und „stellt sich jeder Herausforderung“, von der man gesagt kriegt, dass sie jetzt angesagt wäre.
Früher war die hierherum mal unter dem Etikett „The white man’s burden“ im Umlauf. Wenn der bebürdete Zivilisierer sich aufopfert, und die Einheimischen/ Kolonisierten/ Zöglinge/ Proleten/ Kaffern/ Aborigines/ der white trash gar nicht begreifen wollen, was man da alles für sie tut, kostet das regelmäßig viele Opfer.
Nicht auf Seiten der Weißen Anglo-Sächsischen Protestanten.
Nachts:
Der gut Angepasste sieht nichts mehr, der Außenseiter ist schlecht im Zuhören. So kommen sie beide gut durch.
Do. 11. Okt. Mc Leod Gunj
Es bleibt nicht aus, dass man bei einer Fahrt durch einen Gürtel angespanntester Spiritualität über die so verschiedenartig sich anpreisende ins Grübeln gerät. Zeit genug hat man ja. Und die Spiritusheimer sind schon arg aufdringlich in ihrer Unüberseh- und Unüberhörbarkeit.
Das reicht vom Schock beim geballten Anblick von Tschador/ Burqa -Trägerinnen: Krähen in Menschengestalt, über die morgendliche Konkurrenz der Hähne des Propheten bis zu den Onkels und Tanten auf dem Nirwana - Trail, die für sich selber in ihrem Hier und Jetzt Reklame laufen: einverständige Versteinendigte, halt Gehirnsklerotiker mit dem ganz großen Hinterblick.
Da trifft es sich gut, die Großen im vollen Schwung ihrer Hinterblickerei beobachten zu können. In einem Schaufenster wirbt mitten in einer Hochburg des Buddhismus der Hinduismus mit einem Zitat seines ideellen Aushängeschilds, Gandhi: „I would rather have India resort to arms in order to defend her honour than that she should in a cowardly manner become or remain a helpless witness to her own dishonour.“ (Mahatma Gandhi, die “Große Seele”) Soviel zum Pazifismus, Nationalismus, Patriotismus in Knäuelform.
Und das Schicksal der Tibeter? Rührt es dich denn gar nicht?
Das Schicksal der Tibeter ist das eines Spielballs der Imperialismen, und ihres Opportunismus, den die sich leisten können. Angesichts dessen enttäuscht die überwältigende Simplizität des Dalai Lama: Liebe, Mitleid, Vergebung. Als ob wir alle nicht irgendwann sogar unseren Eltern vergeben, weil wir in ihnen unsere eigene Qual wiedererkennen und anfangen, sie zu lieben.
UND SONST WAR NICHTS?
Man kann sich entscheiden. Muß aber nicht. Entweder man lebt kontrafaktisch, einer wohltuenden Einbildung ergeben (welche, ist dabei völlig egal), dass Weltjenseitigkeit eigentliche Welterkenntnis sei, oder man stänkert kräftig am Unaufgeräumten herum. Gilt heute eher als pubertäre Wallung. Denn es ist - nicht wahr? - die Konsensfähigkeit, an der sich die Tiefe der menschlichen Reife zeigt.
Soll nicht heißen, dass ich die Tour meiner Antipoden, die sich lieber mit den „Gegebenheiten“ ins Benehmen setzen, mit irgendwas überbieten könnte. Aber, wer Wissen und die Schleichwege der Kunst weghat, der hat darin seine Bindungen, die ihn stillen. Wer keines von beiden hat, der habe Religion.
Nachts:
Der Bildungsspießer zieht seine Überschreitungsstiefel an, hält Gedankenlosigkeit für einen guten Ausgangspunkt zur Transgression und fragt sich morgens vor dem Spiegel: „Wie auch heute wieder für nichts in der Sache zuständig, aber verantwortlich für alles sein?“
12.10. Nachtfahrt nach Manali
So eine 10-stündige Nachtfahrt auf indischen Strassen hat es in sich. Die Straßenverkehrsordnung zählt hier nämlich zur rein fiktionalen Literatur, ist also vergleichbar einem Buch mit Sagen und Legenden, deren Bezug zur Realität auch nur einer vom Hörensagen ist. Der Stellenwert solcher Bücher entspricht dem eines Gerüchtes, wenn es gut geht. Die Gemeinsamkeiten zwischen dem dort Gedruckten und der harten Praxis liegen ausschließlich darin, dass beide etwas mit dem Geschehen auf der Strasse zu tun haben. Grundsätzlich gehört die Strasse in ihrer vollen Breite dem, der gerade darauf fährt und vorne ist, und zwar schön mittig. Im letzten Sekundenbruchteil entscheidet sich dann ganz situativ wie Überleben und kreativer Fahrstil miteinander zusammenhängen, denn der Praktiker in seinen täglichen Gepflogenheiten weiß das besser als irgendwelche ahnungslosen Verordnungen, die von irgendwelchen Leuten geschrieben werden, die halt gerne schreiben. Der Inder ist da tolerant. Sollen sie.
Eine leere, von Fahrzeugen nicht okkupierte Stelle im Mahlstrom des Verkehrs ist ein Unding, das schleunigst aus der Welt geschafft gehört, und zwar von allen Beteiligten zugleich. Warum das da nicht dauernd zu unschönen Resultaten führt, siehe oben unter:... im letzten Sekundenbruchteil...
Es kommen dir natürlich auch auf deiner Fahrbahn Motorroller entgegen und Falschparker queren von vorne deine Bahn. Erwarte immer das gänzlich Unerwartete, sonst bist du geliefert.
Indien erleben kann jeder. Indien überleben, das ist mit viel Glück verbunden. Ich will eigentlich gar nicht sehen, was der da vorne macht. Setze mich also im Bus doch etwas mehr in die Mitte.
Nachts:
Ich: der Stachel gegen die aufgedrungene Praxis. Ich-Losigkeit: der wilde Entschluss, sich in Abhängigkeit von einem Es zu begeben. Und dieses Eine und Einzige hat mehr denn tausend Namen.
Sa. 13.Okt. Manali
Bin trotz allem heil in Manali im wunderschönen Kullu-Tal angekommen. Morgens um Viertel vor 5:00 Uhr.
Eine Straße wie in Deutschland die gepflügten und winterlich vereisten Äcker. Mit großen Brocken Gestein drin. An Schlafen war nicht zu denken. Meine Innereien wurden ordentlich durchgerüttelt. Die Nieren konnten sich erstmals aus der Nähe besehen, wurden aber wieder vom auf und ab hüpfenden Magen getrennt. Und die Leber schaute kurz vorbei und sagte zwischenrein mal „Guten Tag“ beim Herzen.
Ist Klasse hier, in einem sonnigen, fruchtbaren Tal mit dem schneebedeckten Himalaya im Hintergrund. Die Dächer rotgolden vom zum Trocknen ausgelegten Mais.
Eindrucksvoll die alten Pagodentempel hier im Tal, in denen zum Teil noch sehr lange Menschenopfer dargebracht wurden. Irgendwie erschauert man gedankenlos beim Geräusch „Menschenopfer“. Vergleicht man aber die Katakomben, die dem Moloch des modernen Staats auf dem Altar des Vaterlands geschlachtet werden, mit der gelegentlich anstehenden Versöhnung der ungünstig gestimmten Gottheit durch die Hingabe des höchsten Guts, nämlich EINes Menschenlebens, gerät das Weltbild des abgeklärten Staatsbürgers zwar nicht ins Wanken. Aber es wäre mir doch lieber, er finge endlich an, selber zu denken.
Nachts:
Der Schönheit verzeiht man, was der Gedanke, wofür sie steht, verbrochen hat. Wie unterirdisch grottenschlecht muss die Welt sein, dass es so viel Kunst gibt.
So. 14. Okt. Zum Rohtang-Pass (3978m)
Aus den Apfelplantagen geht es in Hochweidengebiet. Glühendes Laubgold vor blauem Himmel, na du weißt schon. Das wird schon seinen Grund haben, warum mir der Herbst die liebste Jahreszeit ist.
Die Pferde schmusen miteinander, die jungen Leute kommen hierher auf ihrer Hochzeitsreise, und Gott hält ein längeres Schläfchen.
Weiter oben wird dann der Kampf gegen die Frostaufbrüche und Bergrutsche als aussichtslos aufgegeben. Nach drei Stunden sind wir endlich oben und schauen nach Norden ins Lahaul: von hier noch 27 Stunden durch den Himalaya nach Leh in Zanskar. Na, das sollen mal die Jüngeren machen. Mir reichen schon die dreie hier.
Dreht man sich um, sieht man um vier Uhr, wo man um 6 Uhr sein wird. Dazwischen wieder diese ausgesetzten Stellen, das ist, wenn der seitliche Blick aus dem Busfenster keinen Straßenrand mehr sieht, sondern der Halt suchende Blick durch leere Luft in sehr tiefe Tiefen stürzt. Gelegentlich kann man das Resultat besichtigen, wenn ein Bus runtergepurzelt ist. Dessen äußere Ausmaße wirken stark reduziert, irgendwie arg gestaucht und von einer Kompaktheit, in der für Fahrgäste einfach kein Platz mehr ist.
Weiter unten bricht abermals unhaltbar die Idylle aus, und macht Gott wieder sein Nickerchen.
Zwar mit angespanntem glutaeus maximus, aber voll dabei. Ob es so was wie Bergseligkeit gibt? Eine sanfte Bewußtseinstrübung, mit der man sehr einverstanden ist.
Di. 16.Okt. Von Manali nach Shimla
Auf dem Weg hierher war' s genau so wie du dir Indien vorstellst: Elefanten, viel größer als im Zoo, weil man direkt daneben steht; Affen am Wegesrand, sich lausend und kreischend; Palmen und mittelmeerische Vegetation. Der National Highway 21 war endlich mal eine Straße wie bei uns eine Bundesstraße mit 60 km - Gebotsschildern. Später dann schroffes Hügelland, über das der Bus tänzelte und allen Winken des Todes mit Verachtung begegnete.
Bin ziemlich groggy von dem gestrigen,11 einhalb-stündigen Ausflug zu einem Hindu- und Sikh-Heiligtum namens Manikaran.
War ganz interessant, aber dieses Indien mit seiner Auffassung über Lebenszeit jagt dich auf die Palme, oder du sagst dir, dass du zu deinem Tod immer noch rechtzeitig zurechtkommst. Unsereiner hat halt bloß ein Leben, und da haben alle entscheidenden und uns wichtigen Dinge erledigt zu werden. Die Seelenwanderer hier haben gleich mehrere, fahren wohl auch deswegen wie die Henker, und verfahren mit meiner Lebenszeit als hätten sie mich dafür fürstlich entlohnt.
Erst mußten wir für die Rückfahrt auf eine Familie eine ganze Stunde warten (Blödheit oder Unverschämtheit? Wegen der Häufigkeit glaube ich letzteres), dann war es plötzlich Nacht, und der Verkehr hatte sich natürlich an einem Flaschenhals wieder mal verknotet, dann musste auf einer mit Fahrzeugen vollgerammelten Firmentankstelle getankt werden usw. Und dabei saß ich auf heißen Kohlen, weil ich morgens meine Hose zum Flicken beim Schneider abgegeben hatte, und wenn der jetzt geschlossen hat, dann stehe ich morgen schön blöd da. Da habe ich ein bezahltes Ticket nach Shimla schon in der Tasche für den Bus um 8 Uhr 15. Der Schneider macht aber erst um 9.00 Uhr auf.
Was tun? Ticket weg schmeißen? Und übermorgen weiterfahren? OH Scheiße! Reise – Alltags – Organisations -Zeugs.
Wie gesagt, entweder du lässt dich auf die Palme jagen, oder du nimmst es mit Gelassenheit.
Nachts:
Funktionalität der Religion: Gefühlsmodellierung. Die meisten der mir bekannten Vergesellschaftungen geben allen Anlass zu destruktiven Gemütsregungen der ihnen Unterworfenen. Die Moralpredigten darüber werden zu leicht durchschaut als boden- und haltloses Rechtfertigungsgerede. Da muss etwas ganz und gar Anderes, Unglaubliches her, um dem Glauben Glaubwürdigkeit zu verleihen. Credo quia absurdum: die Gebärfreudigkeit einer Jungfrau oder ein elefantenköpfiger Gott.
Mi.17. Okt. Shimla
Direkt neben meinem Hotel war ab 2 Uhr bis 5 Uhr morgens der Teufel los. Die Hindus meinten, sie müssten unter Entfaltung von großem rhythmischem Radau eine Erweckungsfeier oder sonst eine "function" abhalten. Ihre elektrisch verstärkte Responsorien-Musicke ist einfach immer das selbe, leider mit Geräusch verbundene, Tamtam.
Flucht zur YMCA (Young Mens Christian Association) 200 Höhenmeter den steilen Abhang über Treppenwege hinauf.
Dieses Shimla ist genau so wuselig wie Kipling das in seinem Roman ‚Kim’ beschreibt.
Die Affen hier halten genau so wenig wie ich, nämlich nix, vom Gewitterregen. Ducken sich unter irgendwelche Überhänge an Gebäuden und schauen verdrossen drein.
Shimla ist das eigentliche Zentrum der englischen Kolonialregierung gewesen, und das sieht man diesem Stück England auf indischem Boden mit seinen Fachwerkbauten und gotischen Kirchen auch an. Nur die darauf herumturnenden Affenhorden sind einheimisch und sorgen für einen surrealistischen touch.
Weil es den großbritannischen Herren von April bis November sogar zum bloßen Regieren in der eigentlichen Hauptstadt des Kolonialreiches zu heiß war, haben sie sich hierher verzogen auf die kühlen 2000 Höhenmeter und haben zum Wohle Englands von hier aus immerhin die Angelegenheiten des fünften Teils der damaligen Menschheit (von Aden auf der Arabischen Halbinsel bis Burma,heute Myanmar) geregelt.
Dem Regierungshaufen stand ein Vizekönig vor, der sich gleich zu Anfang der britischen Herrschaft, also so kurz nach 1850 eine prächtige Residenz im Stil eines schottischen Renaissance-Schlosses bauen ließ. Mit einer pompösen, mit Teakholz aus Burma getäfelten, Eingangshalle und einem Ballsaal (Glitzerlüster aus Belgien), der heute eine Bibliothek für die höheren Studien in den Geisteswissenschaften ist.
Im Museum kriegt man gleich den richtigen Eindruck von diesen Statthaltern. Sie haben prächtige und schwere Faschings-Kostüme mit schweren Klunkern an, damit man gleich sieht, dass die was Besonderes sind. Hört man solche Leute reden, kommt man nämlich keineswegs auf den Einfall, die wären was Besonderes. Auf ihren großartigen Bällen haben die wahrscheinlich über Kricket und die Aktienkurse geplaudert, und die Frauen über die so-was- von-unmögliche Kleidung der Lady Sowieso und die ungerechte Hinauszögerung der längst anstehenden und verdienten Beförderung des Gatten
-Beglückend wie immer die Gärten. Vorwiegend in diesem Goldlackgelbbraun und dem orangegelb der Kapuzinerkresse, und dem Gelb einer puscheligen Blume, die von den Hindus zu Girlanden und Blumenketten verarbeitet werden, um ihre Tempel zu schmücken.
- Enttäuschend wie immer die Eingeborenen, wenn du sie neugierig nach dem Namen eines Baumes fragst, der hier sehr häufig vorkommt. Sie wissen ihn einfach nicht. Und mit einer Mischung aus Selbstrechtfertigung und Empörung hört man öfter: "Aber der stand doch immer schon da!"
Genau. Und weil das immer schon so war, bedarf es keines näheren Hinschauens oder genauerer Untersuchungen. Ein hoffnungsloser Fall, diese Menschheit.
- Erfreulich wie immer hingegen die Affen, die dem Gärtner einen ständigen Guerillakrieg liefern. Kaum ist der wieder weg, stopfen sie sich auch schon mit Blüten und saftigem Klee aus seinen Beeten und Rabatten voll.
Eins der Äffchen musste dauernd niesen. Hatte wohl gestern zu lange draußen im Gewitterregen rumgetobt.
Where shit meets eternity:India
Mi. 3. Oktober 2007 Delhi
In Delhi erwacht man zu einer Giftgaswolke von allgemeinem Smog und Dieseldunst. Man wirft sich in die brüllende, rauhe Wildnis des Stadtverkehrs. Um dich herum ein Rattenkönig aus Mensch und Metall, der sich in unregelmäßigen Rhythmen abwechselnd entknäuelt und neu formiert, anscheinend nirgendwohin verebbt und auf der selben Stelle wieder hochflutet.
Ganze Familien und halbe Schulklassen teilen sich eine Motor - Rikscha. Ambassador - Taxis kreuzen klassenbewusst durch den Mahlstrom. Riesige, mit Troddeln aus Wolle verzierte Trucks rumpeln und grunzen vorüber. Mit Kotze verschmierte Busse navigieren auf Kamikazekursen herum und schwitzen eine gehaltvolle Sauce aus Armen und Beinen aus. Statt der üblichen Botschaften („Love is fraud“) findet sich ein „Horn Please“ auf der Rückseite der Trucks, von welcher auffordernden Lizenz ohrenbetäubender Gebrauch gemacht wird. Der sound-track von Delhi ist eine chaotische Kakophonie von tiefem Geröhre, dem Stakkato der Hörner, Quietschen im Bereich des hohen C, Melodiebruchstücken unterlegt mit einem Ostinato im Bariton. Es ist als wäre Delhi blind und verließe sich auf ein gehörgestütztes Chauffieren. Mit Ausnahme derer, die auf Mittelstreifen und an Straßenrändern zusammengerollt ihrer nächsten Wiedergeburt entgegenschlafen. Eine streunende Kuh frisst geruhsam Kekse und den dazu gehörigen Karton auf.
Durch dieses Gewühl lenkt der Inder seinen verbeulten Wagen mit dem Finger einer Hand. Mit einem Finger der anderen bohrt er in der Nase, während er mit der dritten Hand sein Handy ans Ohr drückt.
Ausgemergelte Männer hocken zusammen mit ihren Kumpeln auf ihren Fersen. Wenn irgend möglich höher als das Erdenrund. Also etwa auf der Sitzfläche einer Bank, oder einer rostigen Fahrrad-Rikscha.
Abgesehen von diesen Kleinigkeiten ist es 30 Grad warm und Delhi stinkt nach Urin und Scheiße. Ca. 700 000 Haushalte haben keinen Anschluss ans sanitäre Netz.
Ich muss weg hier.
Di., 9. 10. 2007
In einem Heldenlied käme jetzt die erste Strophe, die unseren Liebling kurzentschlossen einen Flug nach Jammu-Kaschmir, also in ein höchst labiles Kriegsgebiet, buchen lässt, weil alle Züge nach Norden ins Ganges-Quellgebiet für die nächsten 5 Tage ausgebucht waren.
Jetzt wo alles gut gegangen ist und vorbei ist, kann ich’s ja beichten, dass die ursprünglich geplante Heldenliedfassung ein übler Hype gewesen wäre. Ich bin vor dem heißen und nach Urin stinkenden Delhi nach Srinagar in Kaschmir geflohen worden und geflogen worden, weil ich einem Schlepper in die Fänge geraten war, und meine Widerstandskraft gegen diesen Kaschmiri auf die Dauer nicht angekommen ist. Der und seinesgleichen akzeptieren einfach kein Nein.
-Welche Hälfte von „No“ verstehen Sie denn nicht?
-Weder N noch O. Sie sind doch hierher gekommen, den Himalaya zu sehen. Haben Sie eben selber gesagt. Na sehen Sie!
So ein Kaschmiri dreht dir aus deinen eigenen Worten den Strick, an dem er dich dann aufhängt.
Der hat mich dann noch auf einem Hausboot eingemietet (ruhige Sache das, sehr nervenschonende Idylle) und mir einen Drei-Tage-Treck in der Nähe von Pahalganj durch die Berge verpasst. War aber soweit alles in Ordnung. Wenn man von dem Preis mal absieht. Noch seine Enkel werden herzlich lachen über den depperten, bleichen Langnasigen, wenn Opa von dem Geschäft erzählt.
In Kaschmir gibt’s eine derart exzessive Militärpräsenz zu bewundern wie ich das in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen habe. Und das will für einen, der mal bei den Landesverteidigern auf der Lohnrolle stand, schon was heißen! Über die abgeernteten Safran- und Reisfelder patrouillieren die Soldaten, auf jedem zweiten Dach hockt einer, auf Friedhöfen und Kreuzungen langweilen sie sich. Kaschmir ist ein Heerlager mit der Bevölkerung als Versorgungsressource.
In der Wildnis hat das aber dann doch nachgelassen. Und die war gar kein bisschen artig, sondern GROOOSSartig. Da gab’s im halbgetrockneten Schlamm Bären- und Schneeleopardenspuren.(Keine Angst, Leute, um Euren lieben Christian, Schneeleoparden gehen nicht auf Menschen.) Es schlägt einem aufs Gemüt, wenn man einen Langur sichtet, der mit einem geschmeidigen Satz über genau den Wildfluss jumpt, in den man noch in diesem Halbsatz und gerade mal ein paar Höhenmeter weiter mit allen Vieren reinplätschert. Du siehst, mit dem Heldenlied will es partout nichts werden.
Es fängt damit an, dass ich mir schon am ersten Morgen beim plötzlichen Aufrichten das Rückgrat verreisse. So entdeckte ich aufs Neue, dass das Alter wirklich nichts für Weich-Eier ist, sondern eine stetig sich erweiternde Sammlung von Handicaps. Also mehr was für Sammler und nix für mich, der ich eher ein Verlierer bin. Nützt mir aber auch nichts. Verliere so nach und nach alle möglichen Selbstverständlichkeiten beim Verfügen über meinen Körper.
Viel frische Luft und unverfälschte Natur. Da lag der aufgedunsene Kadaver eines Mulis. Das hatte ein Leopard in der Nacht gerissen. Jetzt taten ihm die Raben die letzte Ehre an. Fangen bei den Augenhöhlen an, die nach diesem Auftakt aus blutiger Leere nirgendwo mehr hinstarren. Die Raben arbeiten sich dann vom After her in den Leib vor. Weg des geringsten Widerstands. Energieersparnis bei dem kärglichen Nahrungsangebot.
Herbst war’s, und der Gilb schon überall drin. Haschischgärten, Walnussbäume. Da wird mir immer so golden.
Nachts:
Die Redensarten „Das ist kontrovers.“/ „Das ist ein anderer Diskurs.“ fallen unter eine vornehme Form der unbegründeten Zurückweisung wegen Nichtbefassungswürdigkeit. Ein Urteil, das keines ist. Die da glauben, über der Sache zu stehen, stehen gemeinhin beträchtlich unter ihr.
9. Oktober Fahrt nach Jammu
Gestern ein abenteuerlicher Transfer nach Süden auf der einzigen Verbindungsstraße zwischen Nord und Süd, auf der die Äpfel aus Kaschmir nach ganz Indien verfuhrt werden, die Nüsse und Mandeln. 13 Stunden stop and go für 290 Kilometer, Schluchten auf Schluchten nach Jammu.
Bei entsprechendem Lichteinfall sehe ich in der Glasscheibe hinter dem Fahrerhaus in meinem Gesicht eindeutige und definitive Missbilligung. Der Nachbar bohrt mir ungeniert sein Knie unter meine Kniekehle, der Bluterguss in meinem linken Mittelfinger pocht und pocht, der Rücken beschwert sich bei jedem Schlagloch, ein kalter Luftzug streicht permanent über meine Oberschenkel – ich bin nicht gern in dem Kerl, in dem ich hier festsitze.
Jetzt hat der Nachbar sich dazu entschlossen an meiner Schulter zu schlafen. In diesen Bussen ist man eben genau so breit wie man sich macht. Mir wird unmissverständlich klar gemacht, dass ich nicht hier her gehöre. Wenn ich aber nun schon mal da wäre, wüsste der Nachbar guten Gebrauch von mir zu machen. Indien schlägt zu.
Was hier auf die Dauer stattfindet, ist eigentlich kein Warten. Warten ist der falsche Ausdruck. Es geht schlicht um Dasein, ein immerwährendes, in sich kreisendes.
Und wann endet das?
Am Beginn von etwas anderem, genau so vielem Dasein. Das Weltbild des Hindi hat für diese Sichtweise des „Wechsels“ sogar ein eigenes Wort: karnaa = wechseln von einem Zustand in den anderen, und zurück. Man denkt dabei nicht an ein bewirkendes Subjekt wie beim Deutschen „Machen“, obwohl es das ja bedeutet. So wird Licht nicht etwa „gemacht,, sondern es wird - mehr unpersönlich (vom Dunkeln ins) Helle „gewechselt“.
Man stelle sich vor, ich hätte an diesem Tag was vorgehabt, dem ich irgendeine imposante Wichtigkeit beigemessen hätte!
Nachts:
Pascal meint, dass alles Übel dieser Welt davon herrühre, dass die Leute nicht ruhig in ihren Zimmern bleiben könnten.
Dieses Urteil empfiehlt ein ortsfestes, vegetabilisches Ideal, auf das nur einer kommt, der nicht weiß, wo die Brötchen herkommen, mit denen man ihn füttert, der nicht weiß, woher die Bekleidung seiner Rentnerexistenz ihn anfliegt, und wie es zu jenen Häusern kommt, in deren Zimmern zu verrotten höchste Geistigkeit sei.
Bevor ich mich besinnungslos in die nächste Unternehmung stürze (Berliner Höhenweg in den Zillertaler Alpen und Rumklettern im Wilden Kaiser) sei vor längerem Abschied etwas über das Reisen vermeint.
Es gibt keine Rechtfertigung dafür.
Die Unverantwortlichkeit schlechthin.
Ich kann noch nicht mal für mich reklamieren, dass ich im zarten Alter des Studiosus noch irgendwie auf der Suche sei. Übrigens und am Rande kommt bei dessen Suche immer nur eins raus. Zu Hause ist alles besser.
Gehört er allerdings mehr zur kaufmännisch veranlagten Sorte, wird er die Tourismusströme zumindest versuchsweise um-aufmerksamen. (Daß es das Wort nicht gibt, heißt nicht, dass die Sache nicht von dieser Welt ist. Tut mir leid, Enzensberger, von der Plebs bis zum Proll mag es zwar „anthropologische Konstanten“ geben, aber dass nichts so erfolgreich wie der Erfolg ist, das kommt nicht von der Hierarchie des Affenfelsens.)
Anthropologisch konstant sind die Liebe und der Tod. Weswegen sich die Literatur dieser Dinge gern annimmt.
Aber nur der nicht ganz unbedeutende Rest ist mein Thema.
Der Tod geht uns nämlich nichts an.
Wie dies?
Auch auf die Gefahr hin, dass das schon öfter und besser gesagt wurde:
Der befürchtete Tod setzt ein Bewußtsein voraus, das ihn als Tod weiß.
Als dahingegangene Individualität gibt es aber an mir nichts, das mich als Toten betränen könnte. Noch nicht einmal der Schmerzen des Todeskampfes wäre ich mir inne. Also was soll das? Es wird sein wie es war, bevor es mich gab. Und an meiner Prä-Natalität habe ich so was von überhaupt nichts zu meckern.
Deswegen müssen aber auch alle wichtigen Dinge eben vorher erledigt werden. Im Licht vor dem Dunkel, aus dem wir kommen und in das wir gehen.
Andere denken sich den Tod immer als Abwesenheit Ihrer Hochwohllöblichkeit von….
Falsch. Mir fehlt nichts, wenn ich mir nicht fehlen kann, weil es mich nicht gibt.
Ganz anders im Leben, wo ich schon ziemlich sauer bin, wenn ich mir abhanden komme, und deswegen aller Welt auf den Geist gehe. Aber das gemeinhin am Gängelband zu führende Leben scheint diesen Leuten als Thema so uninteressant, dass sie lieber ganz existenziell den „Mut zur Todesangst“ kultivieren.
Der Fehler scheint der der alten Stoiker zu sein, die immer wissen wollten, was ein Ding wert ist, statt sich darum zu kümmern, was es ist.
Der Tod ist das Erlöschen all dessen, was du aus dir – nolens volens – hast machen müssen.
Ein Problem ist das schlimmstenfalls für die Hinterbliebenen.
Zurück zu den wichtigen Dingen. Zurück zum Reisen.
Zum Gehen im Licht.
Vom Kohelet (in der Luther-Bibel: Der Prediger Salomo) über die Hedonisten der klassischen Antike bis zu dem Großkotz hier:
Wir lassen uns doch von Palmen
den Horizont nicht verstellen.
Wir pflücken ihre Früchte
und gehen weiter.
Ich habe nichts gegen intellektuelle Bescheidenheit von der Sorte: „Ich weiß, dass ich nichts weiß.“
Die meisten tun sowieso unentwegt so, als trügen sie mehr an der Bürde des Wissens als ihrem Kreuz gut tut.
Ich weiß aber aus Erfahrung, dass dieses „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ keineswegs der Startschuß dafür ist, dass einer sich jetzt aus Einsicht in einen Mangel auf den Weg der Besserung macht und sich schleunigst nach Wissen umtut.
Im Gegenteil: so einer wird auf einmal pampig und gibt uns zu verstehen, weil er nix weiß, habe gefälligst auch sonst keiner sich auf der Welt auszukennen. Im Handumdrehen sieht man sich an den Pranger der Arroganz versetzt. Und das alles ohne irgendein Argument zu oder über irgendwas.
Unsereiner ist also methodisch korrekt zur Sau gemacht. Den meisten aus der Hetzmeute genügt das. Und nachdem das Familienrudel im Verein kräftig in meine Richtung gespuckt hat, zieht es befriedigt weiter.
Da sitze ich nun in meinem todschicken Prangerkäfig und habe jede Menge Zeit über meine Unwissenheit nachzudenken.
Zum Beispiel sehe ich seit Jahren auf einer Autobahnbrücke ein eierschalenfarbenes Auto parken - nicht mit den üblichen zwei Seitenfenstern, sondern mit derer luxuriösen vieren, also eine Art überlanges Doppel-Auto auf seinen normalen vier Rädern. Daß das in der Mitte nicht durchhängt? Hat das ein Chassis aus Carrara-Marmor?
Gestern lese ich einen Roman von DeLillo, wo eine Stretch-Limousine vorkommt. Und schon passt das namenlose, nur mit Umschreibungen weitergebbare Auto-Dings mit dem neuen Wort zusammen.
Daß die Dinge allmählich überhand nehmen, für die ich keinen Namen weiß, war mir erstmals in Peter Careys Romanen und später in der Pop-Literatur aufgefallen. Streckenweise konnte ich noch nicht einmal raten, worum sich´ s bei den Aufzählungen aus der kaufbaren Dingewelt handelt. Wollte mir schon ein australisches Pendant zum Quellekatalog anschaffen.
Da fiel mir gerade noch rechtzeitig ein, worin Epiktet nun wirklich recht hat: „Wie zahlreich sind doch die Dinge, die ich nicht brauche.»
Und sie werden immer mehr.
Umgekehrt gibt es das natürlich auch.
Immer mal wieder ärgere ich mich über Wörter, die mir zufliegen, und mit denen ich dann nichts anfangen kann. Beispielsweise die „Vor-Premiere“ eines Kinos. Was das wohl sein mag?
Also identisch mit einer bloßen Erstaufführung kann es wohl nicht sein. Dann wäre es nämlich eine hundsgewöhnliche Premiere. Und wenn es doch sozusagen die vorgezogene Premiere einer Premiere sein sollte, steht uns demnächst eine Prä-Vor-Premiere desselben Charakters ins Haus. Mir fehlt in solchen Fällen zu dem Wort einfach das Ding.
Ob aber, den Zusammenhang von Laut und Bedeutung zu wissen, sich in dem Falle überhaupt lohnt?
Ich weiß, dass ich keine Ahnung vom „XY-Generator mit linksgetriebenem Überschall-Servolator“ habe. Das schadet aber weder mir noch meinen Zeitgenossen. Im Bedarfsfalle greift hier die bloße Verwaltungsordnung der Arbeitsteiligkeit.
Bei der „neuen Weltordnung“ oder dem „Terrorismus“ und „unseren Interessen“ ist das ganz anders. Diese Bezeichnungen verdanken sich keineswegs einer Art Straßenverkehrsordnung und ihrer Festlegung, auf welcher Straßenseite denn nun gefahren zu haben werde,
auf dass niemandes Interesse zu Schaden komme.
Es ist ein merkwürdig´ Ding, aber im Deutschen wird mit Subjekt sowohl der Herr seiner Entschlüsse und ihrer Realisierungsbedingungen gemeint, als auch das direkte Gegenteil davon, nämlich der Unterworfene (sub-jectum), der Untertan. Der älteren Justiz als „verdächtiges Subjekt“, „gefährliches Subjekt“ bekannt.
So treten eben Philosophie (historisches Subjekt, Klassensubjekt, Tod des Subjekts…) und die Kruditäten geregelten Lebensvollzugs auseinander und sollen doch bloß eines sein. Weswegen die Einheit der Widersprüche die Gewalt regelt, wenn die des laufenden Geschäfts nicht ausreicht.
Ein Reflex davon findet sich in dem Soziologen-Einfall, es sei eine eher kritisch zu vermerkende Individualisierung der Gesellschaft zu konstatieren, wobei man nicht übersehen dürfe, dass eine dadurch ermöglichte ungeahnte Individuierung für bunte Vielfalts-Erlebnisse sorge.
Dabei ist es doch nicht ganz so komplex wie die sich selbst blendende sekundäre Ignoranz tut, wenn man sich nicht gerade von der Methodologie (=Expurgierung jeden gedachten Inhalts) um sein bisschen Verstand bringen lässt, und sich für die Leute interessiert wie sie nun mal sind und ausfallen. Was man sieht, ist:
Da laufen ja bloß lauter Individuen rum.
Denen wird schon nichts anderes übrig bleiben. Man fragt sich, worüber man da in Begeisterung ausbrechen sollte, wenn da einer mit sich selbst und keinem anderen durch sein Leben stolpert. Ich weiß, dass da der Hermann Hesse-Fan aufjault. Aber seinen Fuß wird er schon unter dem meinen selbst hervorziehen müssen.
Ihre Identität schaffen sie sich gemäß dem Auftrag der bürgerlichen Gesellschaft spätestens seit dem „Wilhelm Meister“ höchst eigenhändig auf den Leib, neben der Erledigung des Jobs immer auf der Suche nach ihrer wahren Bestimmung. Das sorgt für den öden Einheitsbrei der ins Weltweite diffundierenden Mittelstandsgesellschaft.
Und bunt bis zur Schrillheit wird’s überhaupt erst im Eldorado der Freizeit. Mich interessiert aber kein bonbonfarbenes Bodypainting und auch kein Haschen nach dem Wind, den eine Prominenz gerade gelassen hat. Wird diese Sorte des Bestehens auf seiner Besonderheit aggressiv, dann klingt das wie Popeye, der Spinatmatrose: "I yam what I yam an' tha's all I yam!"
Man braucht schon die Zeitlosigkeit des Humors, um die Gegenwart des Stumpfsinns nicht zu bemerken.
Und ich verbitte mir Schlaumeiereien wie die, dass ich ja wohl in diesem Urteil eingeschlossen bin, ansonsten es keines wäre!
Ja und? Könnten wir jetzt bitte zu den wichtigen Sachen übergehen?
Der Glaube, liest man, sei auf dem Vormarsch.
Und wenn ich mir die diversen Glaubensbekenntnisse so anschaue, glaube ich das auch.
So glauben viele, der Gott des Sports habe es so eingerichtet, dass alle zwei Jahre jenseits eines Leistungsmaximums der menschlichen Physis wunderbarerweise bei Radlern und anderen sauberen Profi-Spitzensportlern ein qualitativer Evolutions-Sprung in neue Rekordhöhen statt hat.
Andere wiederum glauben, dass eine von Microsoft und Daimler-Chrysler gesponserte globale Konzertveranstaltung den vom lieben Gott gesponserten Regierungen ordentlich einheizen wird, damit die sich die Klimakatastrophe zu Herzen nehmen. Natürlich, natürlich, und die Sonne geht auf, weil der Hahn kräht.
Und man glaubt auch gerne daran, dass der Neoliberalismus die Quadratur des Zirkels endlich geschafft hat, die Fallgesetze außer Kraft gesetzt hat (weswegen die Unteren neuerdings massenweise in die Elite fallen), sowie die Afrikaner endlich mal auf Trab gebracht hat, und die vor lauter Selbsthilfe demnächst eine ernste Konkurrenz auf dem Weltmarkt darstellen.
Umfragen zufolge glauben erstaunlich viele Amerikaner: dass 1) ihr Land von Gott auserwählt wurde (und nicht etwa Israel!) und dass es 2) im Irak tatsächlich Massenvernichtungswaffen gegeben hat, und Saddam enge Verbindungen zu al-Qaida hatte.
Viele Deutsche glauben, man könne vom Toilettenzustand des Bundestags auf die Sauberkeit seiner Benutzer schließen.
Japaner glauben, dass sie als nationaler Haufen allem und jedem ebenbürtig, wenn nicht gar überlegen sind.
Da also von West nach Ost allüberall der Appell an die niedersten Instinkte des sittlichen Weltbilds weltweit so erfolgreich ist, lasse ich mir niederträchtige Angriffe auf meine moralinfreien Sitten gerne gefallen, und die Stiefel der Missionare auf meiner Seele herumlatschen.
Vielleicht sollte denen aber doch einer mal sagen, dass trotz seines weibischen Äußeren (Hut, Röcke) der Papst erwiesenermaßen keine Frau ist.
Blickt man um sich, sieht man lauter zu kurz gekommene Materialisten sich tummeln.
Zur listigen Abhilfe gegen das Hintenruntergefallensein wird von Millionen Lotto gespielt, und zwar Mittwoch und Samstag, und das dürfte nicht das einzige Glückspiel sein.
Solche Praxis ist eine zugelassene, weil dem Staat sehr einträgliche, Kritik an der vorgefundenen Freiheit, die sich materialiter nun mal an der Länge des Geldbeutels bemißt. Chancen gibt es, aber irgendwann merkt jeder dieser Kicker: Tor-Chancen sind keine Tore.
Von einer gewissen Einkommensgrenze an führt, wer etwas auf sich hält, unter kräftiger Mithilfe seiner Bank ein Portefeuille von listig gestreuten Wertpapieren, also Anspruchsberechtigungen auf Partizipation am gelungenen Ausplündern des Globus durch Kapital und Arbeit.
Und so weiter...in Illustrierungsmöglichkeiten von offenkundiger Unzufriedenheit mit dem Los, das man gezogen.
Da die vorgefunden, offenbar massenhaft als sehr einengend erfahrenen Verhältnisse aber nicht zu irgendwelchen Unmutsäußerungen oder gar zu Loyalitätsschwund führen, muß es so etwas wie Selbstbefriedungstechniken geben.
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit fallen mir dazu ein:
1) Aber...auch
Welch unerquicklicher Befund auch immer vorliegen mag, an allem Schlechten sei was Gutes. Dies aufzufinden ist kein Kunststück. Eigenhändig fabrizierte gute Gründe, die nie der Grund sind, und ganz allgemein irgendwie Sinnvolles, das den gewussten Zweck eskamotiert, sprechen von der Findigkeit der Anbequemung.
Zwar verdanken sich diese buntscheckigen Einfälle in der gewünschten Richtung keineswegs der Sache selbst, sondern einer im erfreulich Beliebigen fündig gewordenen Sinnsuche. "Man kann mit viel Geld aber auch viel Gutes tun." "Man kann aber auch die Gewalt für den Export der Freiheit an den Hindukusch verwenden."
Jaja, und wenn sich hinterher herausstellt, daß ein Huhn nicht wie ein Adler sich in die Lüfte erheben kann, ist das keineswegs eine Widerlegung des Dödels. Sondern: umso schlimmer für die Wirklichkeit.
Man nennt solches übrigens ein ausgewogenes Urteil, zu dem ich mich lieber nicht hinreissen lasse.
2) Vergleich
Es gehe einem so dreckig wie dem, dessen Wahl zwischen Butter und Margarine von vornherein feststeht, er wird im Vergleich immer feststellen, daß es ihm ja noch "gold" gehe. Selbst der Bahnhofspenner wird feststellen, daß er noch nicht beim billigen Lambrusco angelangt ist wie der Nachbar auf der Platte. Eine Grenze dieser trostlosen Trostfigur nach unten gibt es nicht, weswegen es selbstverständlich keine Armut gibt.
Man nennt das ein ausgewogenes Urteil, zu dem ich mich lieber nicht hinreissen lasse.
3) Dummheit, die sich selbst schadet.
Dies ist übrigens der ursprüngliche Dummheitsbegriff, der den fehlerhaften Konnex von Absicht und Wahl der Mittel zur wesentlichen Bestimmung erhebt. Erst in der bürgerlichen Konkurrenzgesellschaft wird Dummheit zu einer Sache der intellektuellen Defizienz erklärt.
Auch die Blödheit, die auf die Blödigkeit des 18. Jahrhunderts zurückgeht, stellt die selbe Einengung der Bedeutung auf Konkurrenztauglichkeit dar. Blödigkeit war ehemals die Ungelenkheit, sich selbst seinem Stande gemäß zu repräsentieren, wäre also mit Schüchternheit und ungebührlicher Zurückhaltung zu umschreiben. Dieser Übergang von einem Verhaltensurteil zu einem intellektuellen Defekt spiegelt die Nötigungen der Konkurrenzgesellschaft, von denen der nichts wissen will, der "es gebracht hat."
Ein Hölderlin z. B. fiel durch diesen heute eher sympathisch anmutenden Zug auf.
Bevor Don Quichote unter die Deutungshoheit der Romantiker geriet und zur Symbolfigur einer sympathischen, weil idealistischen Weltfremdheit avancierte, war sein Kampf gegen Windmühlen mit eingelegter Lanze ein klassischer Fall von sich selbst schadender Realitätsverkennung. Durchaus korrigibel, nicht Naturgegebenheit wie der heutige Intelligenztest suggeriert. Um mal wieder sententiös zu werden:
Intelligenz ist das am besten verteilte Gut überhaupt.
An dieser Sorte Dummheit nun, (die schon damit beginnt, dass einer sich selbst eines Vergnügens beraubt, wozu schließlich die anderen da sind,) gibt es so gar nichts zu verteidigen. Sie braucht keinen Anwalt. Sie ist nämlich auch ohne Apologeten stockzufrieden mit sich wie andere eben stockbesoffen sind. Hockt in ihrem Schützengraben bei Ihresgleichen, und hält das für eine gemütliche Kuhle. Sieht sie andere auf dem Glacis herumirren, grölt sie hochgemut: "He, du Klugscheißer...wenn du so clever bist. Wie kommt´ s, daß du ..." (einzusetzen ad libitum)
4) Ach was, Schützengraben, das ist erstens eine stark überzogene Metapher, und zweitens: man kann aber auch Glück haben…und nicht jede Kugel trifft… (s. o. unter 1)