Die schwarze Haut des Knechts in der weissen Maske des Arrivierenden: Frantz Fanons Manifest.
Die Beziehung zwischen dem Kolonialherrn und dem Kolonisierten ist eine Massenbeziehung. Der Zahl setzt der Kolonialherr seine Stärke entgegen. Der Kolonialherr ist ein Exibitionist. Sein Sicherheitsbedürfnis führt ihn dazu, den Kolonisierten mit lauter Stimme daran zu erinnern: "Der Herr hier bin ich." Der Kolonialherr hält beim Kolonisierten eine Wut aufrecht, die er am Ausbrechen hindert. Der Kolonisierte ist in die engen Maschen des Kolonialismus eingezwängt. Aber wir haben gesehen, dass der Kolonialherr nur eine Pseudo-Versteinerung erreicht. Die Muskelspannung des Kolonisierten befreit sich periodisch in blutigen Explosionen: Stammesfehden, Cof-Kämpfe, in denen sich ganze Gruppen von Einheimischen aufreiben, und Schlägereien zwischen einzelnen. Auf der individuellen Stufe findet man eine wahre Negation des gesunden Menschenverstandes. Während der Kolonialherr oder der Polizist den Kolonisierten den ganzen Tag lang ungestraft schlagen, beschimpfen, auf die Knie zwingen kann, wird derselbe Kolonisierte beim geringsten feindlichen oder aggressiven Blick eines anderen Kolonisierten sein Messer ziehen. Denn die letzte Zuflucht des Kolonisierten besteht darin, seine Würde gegenüber seinesgleichen zu verteidigen. In den Stammesfehden leben die alten, in das kollektive Gedächtnis eingegangenen Ressentiments wieder auf. Der Kolonisierte stürzt sich mit Haut und Haaren in derartige Racheakte und will sich dadurch einreden, dass der Kolonialismus nicht existiere, dass alles so geblieben sei wie früher, dass seine Geschichte einfach weitergehe. Wir haben es hier eindeutig mit einer kollektiven Form von Ersatzhandlungen zu tun.
(Frantz Fanon)
Die von den Kolonisierten bewohnte Zone ist der von den Kolonialherren bewohnten Zone nicht komplementär. Die beiden Zonen stehen im Gegensatz zueinander, aber nicht im Dienste einer höheren Einheit. Beherrscht von einer rein aristotelischen Logik, gehorchen sie dem Prinzip des gegenseitigen sich Ausschließens: es gibt keine mögliche Versöhnung, eines der beiden Glieder ist zuviel. Die Stadt des Kolonialherrn ist eine stabile Stadt, ganz aus Stein und Eisen. Es ist eine erleuchtete, asphaltierte Stadt, in der die Mülleimer immer von unbekannten, nie gesehenen, nicht einmal erträumten Resten überquellen. Die Füße des Kolonialherrn sind niemals sichtbar, außer vielleicht am Meer, aber man kommt niemals nah genug an sie heran. Von soliden Schuhen geschützte Füße, während die Straßen ihrer Städte sauber, glatt, ohne Löcher, ohne Steine sind. Die Stadt des Kolonialherrn ist eine gemästete, faule Stadt, ihr Bauch ist ständig voll von guten Dingen. Die Stadt des Kolonialherrn ist eine Stadt von Weißen, von Ausländern.
Die Stadt des Kolonisierten, oder zumindest die Eingeborenenstadt, das Negerdorf, die Medina, das Reservat, ist ein schlecht berufener Ort, von schlecht berufenen Menschen bevölkert. Man wird dort irgendwo, irgendwie geboren. Man stirbt dort irgendwie, an irgendwas. Es ist eine Welt ohne Zwischenräume, die Menschen sitzen hier einer auf dem anderen, die Hütten eine auf der andern. Die Stadt des Kolonisierten ist eine ausgehungerte Stadt, ausgehungert nach Brot, Fleisch, Schuhen, Kohle, Licht. Die Stadt des Kolonisierten ist eine niedergekauerte Stadt, eine Stadt auf Knien, eine hingelümmelte Stadt...Frantz Fanon. Die Verdammten dieser Erde.
Frankfurt am Main, 1966, S. 32.
Nur in einem irrt Fanon: das steht im Dienst einer höheren Einheit. Und der Ausschluss ist einer der vom Herrn bedingten Zulassung.
Dass es das Verreckenmachen eines nicht funktional gehaltenen Teils eines ganzen Kontinents durchaus geben könnte, war in der Phase der Entkolonialisierung noch nicht Thema, weil nicht sichtbar.
Heute hat die Utopie eine ganz schlechte Presse.
Wen das in seinem Behagen stört, dem kann ich mit einem kulturell unanfechtbaren Diktum aus dem Munde Friedrichs II. von Hohenstaufen, dem seinerzeitigen "Wunder der Welt" auf die vor Autoritativem strauchelnden Beine helfen:
"Den lieb ich, der Unmögliches begehrt."
Solches hat ihm allerdings den ehrenden Übernamen und Bannspruch "Antichrist" eingebracht.
Oder war es vielleicht doch mal wieder Goethes ganz falsch strukturierter "Faust"?
Als ob man dem eigenen Vorlaufen in die Heilung je entkommen könnte, wenn man vom System des Vorlaufs von Konsum vor geldbringend verbrauchter Lebenszeit nichts hält, und auch nicht vor ihm hält!
Der paradoxe Tiefsinn des „Werde, der du bist“ verbirgt verschmitzt die Unmöglichkeit jeglicher Realisierung. Der Igel ruft prompt „Werde“, sobald der Hase da ist.
Sozialpartnerschaft
Mag sein, dass sich noch einer daran erinnert, was das war.
Benehmt euch wie freie Menschen, sagte der Staat.
Im Falle sich einer im Handeln darauf berief, wurde er ebenso wie jeder dem Befehl Zuwiderhandelnde bestraft
Werthierarchie
Ich höre, Natur sei Wahrheit, und Kunst die höchste. Wie – bitteschön – hieß noch mal der Superlativ von Schwangerschaft?
Angeberei
Ich höre von den Vollmundigen, für das Können gebe es nur einen Beweis: das Tun. – Je nun, ich z. B. kann Bomben machen.
weblog
Das Poesiealbum der Teenies und Twens. An deren albernem Respekt vor den Gemeinplätzen sieht man, wie lange heute die Adoleszenz dauert.
Erlösung
Das mit den Christen sehe ich sehr ungnädig wegen deren perfider Geschäftsidee, die das massenhafte Leiden auf Dauer stellt.
Erst redet man den Leuten ein, sie hätten einen Makel qua Geborenseins, nämlich eine Erbsünde, eine Art einzigartigen Webfehlers, den man nicht durch Kritik und Bessermachen aus der Welt schaffen kann.
Dazu braucht es zweitens eine Priesterschaft, deren kundige Anleitung einen Erlöser hervorzaubert.
Kaum hat man sich aber auf die Unverschämtheit eingelassen, und sich tatsächlich seine Erlösung einleuchten lassen, geht es einem wieder nicht so recht gut, weil die sündige Kreatur gar nicht anders kann, als gegen den von der Priesterschaft ausgearbeiteten Sündenkatalog zu verstoßen. Und siehe da, schon steht der Erlösungsstatthalter bereit, dich von dem zu befreien, womit er dich soeben versklavt hat.
Auffällig auch: man hat mir noch nie jenen ominösen Herrn Jesus vorgestellt, in dessen Namen das alles gesachwaltet wird. Sollte dieser Herr sich wider Erwarten eines Tages bei mir - wie sich das unter honetten Leuten gehört - vorstellen, werde ich ihn ungescheut über das Treiben seines Gesindes in Kenntnis setzen.
Jedem, ausnahmslos jedem, der sich anheischig macht, mich erlösen zu wollen, biete ich aus obigen Erwägungen heraus meinerseits Ohrfeigen an.
Visionär
Den Seher erkennt man an seiner mangelhaft ausgebildeten Trennschärfe beim Wahrnehmen dessen, was er sieht.
Genieverehrung
Ich höre, es schreibe keiner wie ein Gott, der nicht gelitten habe wie ein Hund. Das erklärt, warum die Millionen Hungerleider so exzellente Belletristik verfassen.
Pazifismus
Antigone: „Nicht mitzuhassen, mitzulieben bin ich da.“
Matthias Claudius: „s´ ist Krieg – und ich begehre/ Nicht schuld daran zu sein.
Genau, man muss den Schleier vor den Leichen bergen.
Erkenne dich selbst
Biblisch genommen liegt hier inhaltlich die Aufforderung vor, mit sich selbst das Kopfkissen zu teilen.
Man merkt aber gleich: so menschenfreundlich kann es nicht gemeint sein, denn dazu bedürfte es keiner Befehlsform.
Begleitmusik
Hochzeitsmärsche und Marschmusicke fallen unter die Maßnahmen zur Truppenbetreuung.
Memorabile
Alltägliches in die Ebene des Sinnbildlichen erhoben. Untergattung des Reality —TV. Schicksalsmelodie.
Wünschenswert: Memorabilien, die dem symbolischen Sprechen nachweisen, dass zwar von den täglichen Ohrfeigen viele Wege zum Kreuze kriechen, aber vom Kreuz nicht ein zuverlässiger Weg in die herbeigeprügelten Ordnungsmuster.
Säulenheilige
Wer von den Atomisierten nicht den Rest seines Lebens stehend verbringen möchte, wird sich wohl zwischen sämtliche Stühle setzen müssen.
Tendenziös
Jeder Satz jeder parteilichen Einlassung. Ihr Credo, es gebe keine nicht parteiliche.
Enthusiasmus
Fanatismus, der mit unserer Billigung rechnet.
Small talk
Die informell über den Markt vermittelte Gesellung legt sich den Zwang auf zwanglos zu erscheinen.
Wer nicht durchscheinen lässt, dass dieser Zwanglosigkeit Selbstzwang zum Grunde liegt, heißt urban bis in die Knochen.
Hallo, da draussen.
Bin mal eben zwei Wochen weg.
Wenn ich Anfang April vom "Lykischen Weg" (Westtürkische Küste)wiederkomme, meldet sich der gitano wieder.
Ein Prediger hat grundsätzlich zwei Methoden, der Gemeinde zu kommen.
Entweder er pinselt das gemeine Höhere mit allen Farben und attraktiven Reizen der Rhetorik aus, oder er malt den Teufel in den rußigsten Tinten und Tuschen an die Wand.
Nicht anders verfahren die verpönten Gattungen der ideellen Unruhestiftung von Satire über Groteske bis zum Totalaufwasch der Auflehnung gegen Unbekannt.
Das hat eine subjektive Seite:
„Ich mag die Ideen, die von der Zerstörung der herrschenden Gesetze berichten. Ich bin an allem interessiert, was sich um Aufruhr, Unruhe, Chaos und spezielle, scheinbar unsinnige Aktivitäten dreht. Für mich scheint das ein Weg zur Freiheit zu sein; eine äußere Revolte ist ein Weg zu innerem Frieden.“ JIM MORRISON
Das unterschreibe ich ohne Abstriche.
Die objektive Seite daran: Gegenüber der u. a. von Klaus Vondung ("Die Apokalypse in Deutschland") ins Spiel gebrachten Krisenhypothese, die den Pessimismus als Reaktion auf historische oder andere Defizienzerfahrungen erklärt, im selben Atemzug aber seine ästhetischen und rhetorischen Elemente vernachlässigt, hält meine Charakterisierung der dunklen Brüder argumentativ durch, dass Pessimismus und literarische Destruktionslust spätestens seit Schopenhauer eine Form der Inszenierung von Kritik und Kritiker ist, zu der die Ästhetisierung des Leidens, die Verwandlung von Grauen in Genuss und die Selbststilisierung des Kritikers gehören.
Hier wird eben nicht Wirklichkeit nachgeahmt, sondern das freie Konstrukt des wetternden Pfaffen sozusagen als Blaupause für eine weitere autonome Gedankenfigur benutzt.
Wer Literatur anders verwendet, tut das aus fragwürdigen Beweggründen für noch fragwürdigere Zwecke. Das kann ich zwar verstehen, habe aber keinerlei Verständnis dafür. Denn Literatur ist kein - wenn und wie auch - dürftiger Lebensersatz.
Ein ganz anderes ist es mit dem Aphorismus, den Formen des Gedankens in der Polemik, und den Figuren des Pamphlets.
Im Aphorismus ertappt sich der Leser auf seinem eigenen Menschen- und Weltbild, und fühlt sich in dessen trügerischer Gesichertheit und dessen ungestörtem Besitz verstört. Das macht ihn verdrießlich, und die Form des Witzes entschädigt nur unzulänglich für das fatale Erlebnis.
Am schlimmsten ergeht es dem Rezipienten bei den „Definitionen“, einer Form, die sich parodistisch der lexikalischen Ernsthaftigkeit bedient, um sie aus den Latschen kippen zu machen.
Die hier anstehende Gedankenarbeit des Lesers beruhigt sich zumeist vorschnell in Sortierungsbemühungen, landet also beim - sich seiner Gültigkeit rückversichernden - Terminus (geistiger Endpunkt einer „Erfassung“, die sehr nach polizeilicher Dingfestmachung aussieht).
Aber den Versuch einer Attacke war es dem Autor wert.
Ich habe gesprochen und meine Seele in beiden relevanten Hinsichten gerettet.
Etymologisch von „sich der Muse entledigen, sich ihrer berauben,“ herzuleiten. Dieser Wink der Sprache plaudert eine Wahrheit aus, die sogar dann noch stimmt, wenn er falsch ist.
Apokalypse now
Den Untergang der Welt würden wir gar nicht wahrnehmen, was sehr für sein derzeitiges Stattfinden spricht.
Warum? Er ist als Wirklichkeit zwar visuell darstellbar, aber für unsere Sehgewohnheiten so nicht mehr decodierbar. Die Elends- und Kriegsdarstellungen lesen sich jetzt schon als sehr kritikable, überaus mangelhafte Abenteuerclips. Der Kameramann sollte ausgewechselt werden.
Das Tier mit den zehn Hörnern und sieben Köpfen halten wir dereinst für einen gelungenen special effect aus einem Fantasy- Film.
Die anfallende Sanierung der aufgelaufenen Schäden werden wir aus der Instandhaltungsrücklage begleichen.
Bedürfnisanstalten
Kantinen, Kasernen, Kinos, Kontakthöfe, Klosetts und Kirchen.
Verdauungsendprodukt
Recht, rectum, rectal – wie doch der Konservatismus der Sprache so treulich die innere Verwandtschaft der Sachen bewahrt! Das rechtmäßig Verschlungene korrespondiert – ganz recht - mit dem Mastdarm.
Denkfaulheit
Dogmatisches erregt heute bereits eine allgemeine Heiterkeit. Gut so. Gerettet sind wir aber erst, wenn der Skeptizismus als Dogma durchschaut ist.
Demut
Die nachantiken Religionen sind deswegen so unschlagbar in ihrer historisch erwiesenen Anpassungsfähigkeit an alle Erfordernisse des sozialen Kitts, weil die von ihnen gesichtete, unüberwindliche Geneigtheit der Kärrner, sich als Lasttiere der Könige aufzuführen, als „Mut zum Dienen“ angedient wird.
Ehre
Einem Gedanken die Ehre zu geben, ist so unendlich viel schwerer als dem Herrn Bürgermeister.
Gnome
Hast du das Gefühl, ein Aphorismus bestätige dich, bist du einem verunglückten auf den Leim gegangen.
Humanitas
Die edelsten Tugenden, als da sind: Hingabe, Selbstverleugnung, entsagende Selbstpreisgabe in der Loyalität an die Götter und ihre irdischen Sachwalter schaffen von je her unvergleichlich gewaltigere Kadaverfelder des gemetzelten Menschentiers, als ein noch so begabter Mörder hinbekäme.
Von den anderen Tieren ganz zu schweigen.
Selbst, das
Jeder Autobiograph vermittelt ein gestochen scharfes Bild von dem, was die Zeitgenossen von ihm erwarten durften.
Psychoanalyse
Als die Seele endlich Sigmund Freud entdeckt hatte, erschrak sie gewaltig vor dessen innerem Afrika.
Rollenspieler
So blöd, wie sie schlau schauen, können die gar nicht sein.
Sentenz
Sentenzen verzeiht man nur dann, wenn der Sententiöse mindestens Cäsar ist.
Da ich gerade wieder mal auf Reisen bin, lädt sich Jesus meine Bilder auf das Adobe-Album und holt sich anhand dieser scharfen Fotos immer mal wieder einen runter.
Humanismus
Die Kuh glaubt, weil sie mitten auf der Wiese steht, dass die - und alles andere auch - sich um sie drehe.
Die Frösche glauben fest daran, der eigentliche tiefere Grund des Teiches seien sie.
Damit, dass der Mensch in allen möglichen - von ihm formulierten -Sätzen vorkommt und auch sonst überall dabei ist, ist die These seiner überflüssigen Randständigkeit noch keineswegs widerlegt.
Bei der Wahl zwischen Humanismus und Bestialismus zeugt es von Klugheit, sich für sich zu entscheiden.
Eigentum
Beim weiteren Reiten auf dem Prinzip der Reiterferien auf dem Eigentumsprinzip steht zu befürchten, dass die patentierte, gentechnisch veränderte Ernährungsgrundlage der Menschheit in den Händen der Eigentümer des Monopols darauf landet.
Das kann ja heiter werden.
So what?!
Blumen, Berge, Wind, Sand und Sterne gefallen mir schon auch. Aber was beweist das gegen den Sand, den sich die auf der Soldatenverschickung in Afghanistan aus den Augen reiben?
Die Sterne stehen und vergehen.
Ich vorüberziehender Meteor versprühe mich ungeschützt und ohne Beleg, Passierschein und Existenzberechtigungsnachweis wie ein Jubelschrei.
Destruktiv
Gegen den main-stream kannst du nicht schwimmen. Ans rettende Ufer schon. Das hat aber so gar nichts Konstruktives.
Groteske
Der Irak-Krieg hat mittlerweile 6 000 000 000 000 Dollar gekostet. Davon sind 3 Billionen beim Rest der Welt eingesammelt worden.
Das heißt, nicht nur Amerikas Banken verdienen an diesem Krieg, den nicht nur die amerikanischen Verlierer bezahlen.
Beispiel: Wenn ein Soldat seinen Helm verliert, muß er ihn von seinen 40 000 Sold bezahlen. Einem Soldaten, der bei einem Anschlag schwere Kopfverletzungen davontrug, wurde von der US-Regierung eine Rechnung über 12 000 Dollar zugestellt für die verloren gegangene Ausrüstung.
Und du zahlst an der Tankstelle.
Kulturfeindlichkeit
- Hieronymus z. B. und die Asketenbewegungen der frühen Kirche waren ebenso wie die fürsorgliche Missionstätigkeit der Kirchen kulturfeindlich.
- Als Exponentin der deutschen Leitkultur Kopftuch zu tragen ist kulturfeindlich.
- Kreuze aus Schulzimmern verbannen zu wollen ist kulturfeindlich.
- Wer eine nicht - arische Beziehung pflegt ist aktiv kulturfeindlich.
- Liebe zur Natur ist in ihrer Menschenfeindlichkeit kulturfeindlich.
- Arno Gruens These „Ich fürchte unsere Kultur engt uns von Anfang ein und treibt uns weg von dem, was wir sein könnten“ (Der Fremde in uns) ist kulturfeindlich.
Wer solche Sätze, die jeder nicht nur einmal gelesen hat, aufschreibt, wirkt extrem kulturfeindlich.
Das kann an der inneren Widersprüchlichkeit der Sätze nicht liegen.
Und all dies habt ihr gesprochen.
Die Missionierung der Südsee scheiterte an der Grausamkeit der christlichen Mythologie.
Kein Südseeinsulaner würde je seinem Feind antun, was die Höllenstrafen vorsehen, oder gar seinem Sohn eine Folter am Kreuze angedeihen lassen.
Woran man sieht, diese Eingeborenen sind ja bloß Kinder, keine gestandenen Europäer.
Erwachsener
Wer nichts mehr sieht, aber für jedes Trumm Wirklichkeit die entsprechende Schublade weiß, ist erwachsen.
Wer nichts mehr sieht und sich nicht mehr für Schubladenordnungen interessiert ist ein derartig Weiser, dass er sein bereits korrekt vollzogenes Ableben für Abgestorbenheit gegenüber Weltverschlungenheit hält.
Sittliche Reife
Das schiere Dürfen-Müssen unter den sogenannten Rahmenbedingungen und Eckpfeilern als hochwillkommenes Überhaupt - Wollendürfen ansehen zu lehren ist das Ziel jeder pädagogischen Anstrengung.
Jede Vergewaltigung ein “Du –willst –es –doch - auch.“
Harmoniebedürfnis
Nicht enden wollender Krach im Kinderzimmer.
Die genervte Mutter steckt kurz den Kopf rein: „Jetzt vertragt euch doch endlich mal.“
Die Kinder, die bislang der Ansicht waren, dass sie miteinander was auszumachen hätten, sehen sich fragend an.
Und machen einmütig bei wieder geschlossener Tür mit einem ihrer ausgestreckten Zeigefinger eine Drehbewegung an der Schläfe: „Die spinnt doch.“.
Zeitgeist
„Nicht so schlimm, dass du mich für politisch korrekt hältst, Hauptsache du findest mein Styling echt cool.“
Schulung
Ob Erziehung oder Erdrückung und Beschneidung von Geschundenen, da kommen immer Bonsai-Produkte längs der lebenslänglichen Selektionsrampe heraus.
Den Übeln der Anorexie ein Schnippchen schlagen, bloß um an deren Ideal mit dem Finger im Hals zu scheitern.
Einsam
In unübertrefflich bester Gesellschaft. Es gibt natürlich immer welche, die nicht auf sich aufpassen können und so in schlechte geraten, oder gar sich mit der auch noch langweilen.
Sensibel
Wem dauernd auf den Schwanz getreten wird, der sollte ihn nicht überall herumhängen lassen.
Hochschätzung
Ersetzt unschwer und im Handumdrehen jedes reiflich erwogene Argument.
Merke: Alles Spontane will sorgsam bedacht sein.
Pseudonym
Das Schreiben unter einem "nom de guerre" ist häufig dem Autor ähnlicher als er sich selbst in den Grabenkämpfen des Alltags, oder auf sämtlichen Fahndungsphotos.
Es ist, als ob sich die Verleugnung der Staatsbürgerexistenz einer Art Wahrheit nähere.
Zivilisationskritik, siehe Frühling des Malcontenten
Von konkurrierenden, andere gerne unterbutternden Streichfettherstellern als ranzig verschrieenes Objekt der Kritik.
Die Gesänge des Maldoror
Von Isidor Ducasse, Comte de Lautréamont
Die verfemten Dichter verschwenden sich an die
Metaphysische Revolte eines von ihnen autorisierten Ich, das erst als ein Anderer authentisch zu werden verspricht.
Hauptthema der Chants de Maldoror ist der pathetisch-erhabene Aufruhr eines gefallenen Engels dieses Namens gegen die Menschheit und deren grausamen Schöpfer.
Das lyrische Ich hat das Gelübde abgelegt, »
mit der Krankheit und der Herumhängerei zu leben bis ich den Schöpfer überwunden habe...« Das Böse tun, um das Böse zu vernichten, das ist der basso ostinato von Lautréamonts genial schwarzer Romantik.
In einer ungeheuerlichen Phantasmagorie von Metamorphosen, in der das Lebendige tot, das Anorganische lebendig wird, verwandelt sich Maldoror in einen Polypen, der zum Angriff auf Gott ansetzt: »
...angreifen, mit allen Mitteln, den Menschen, dieses wilde Tier, und den Schöpfer...“
Leicht einzusehen, weshalb Albert Camus Lautréamont, zusammen mit Sade, Nietzsche, aber auch mit Rimbaud und den Surrealisten unter die Söhne Kains, unter die Vertreter der »
metaphysischen Revolte« einreihte, und die
Chants de Maldoror als ein Werk der Rache an Gott, der für alles Böse verantwortlich ist, interpretiert, als Revolte gegen eine absurde Schöpfung, gegen die Herrschaft des Bösen, die Gott zum Schuldigen stempelt, wenn er allmächtig ist, und die ihn als Allmächtigen negiert, wenn er das Böse wider Willen zulassen musste.
1) Neugierig tritt Maldoror in ein Bordell, Symbol der Moderne. Er findet dort ein redebegabtes Haar, das in verzweifeltem Monolog nach seinem Herrn ruft, der es hier verlor, und nach den Gründen fragt, weshalb dieser Herr überhaupt hierher kam und sich mit einer Dirne beschmutzte. Der lange Monolog, der nicht nur von der Begegnung mit einer Dirne, sondern auch von einem Knabenmord spricht, wird immer wieder leitmotivisch durch die indirekte Frage des zuhörenden Maldoror unterbrochen: »
Und ich fragte mich, wer wohl sein Herr sein mochte!« Er erhält die Antwort auf die Frage, als der Herr zurückkommt, um das verlorene Haar wieder an sich zu nehmen. Es ist Gott, »
der Allmächtige«, »der Schöpfer«, voller Scham über die eigene Tat und mit den Vorwürfen Satans beladen. Reumütig hält er Gericht über sich selbst und anerkennt das Recht des Menschen auf Revolte gegen seinen Schöpfer:
"
Wie sollen die Menschen so strengen Gesetzen gehorchen, wenn der Gesetzgeber selber und als erster, es ablehnt, sich ihnen zu fügen?“ ... Und meine Schande ist unendlich wie die Ewigkeit!Der seiner Schuld einsichtig gewordene Gott setzt sich selbst auf die Anklagebank noch am anrüchigen Ort seines Vergehens! Das ist starker, eindeutig blasphemischer Tobak, und die hier nur angedeutete Weise der Schilderung und Inszenierung ist es noch mehr.
2) Es ist Mitternacht. Von der Bastille zur Madeleine fährt ein vollbesetzter Pferdeomnibus. Es ist, als ob nicht der Arm des Kutschers die Peitsche, sondern die Peitsche den Arm bewegte. Die Fahrgäste wirken wie Leichen in dem Omnibus, der den Raum verschlingt:
Er flüchtet!...Aber eine unförmige Masse folgt erbittert seinen Spuren mitten im Staub. »Haltet! Ich flehe euch an; haltet….meine Beine sind geschwollen, weil ich den ganzen Tag gelaufen bin….ich habe seit gestern nichts gegessen….meine Eltern haben mich verlassen …ich weiß nicht mehr , was tun…ich möchte nach Hause zurück und wäre dort schnell angelangt, wenn ihr mir einen Platz gäbet.. ich bin ein kleines Kind, acht Jahre alt und ich vertraue euch...» Er flüchtet!….Er flüchtet! ...Aber eine unförmige Masse folgt erbittert seinen Spuren mitten im Staub.
Nur ein junger Mann zeigt Mitleid, aber die Blicke der empörten Mitfahrer gebieten ihm Ruhe, »
und er weiß, dass er gegen alle nichts tun kann.« Eine Träne der Hilflosigkeit rollt über sein Gesicht, und er fühlt, dass er nicht heraustreten kann aus der Zeit, in die er »geworfen« wurde: „
Er gibt sich große Mühe, mit dem Jahrhundert fertig zu werden, in das er geworfen worden ist, und doch kann er es nicht verlassen. Furchtbares Gefängnis! Grausige Fatalität!
Der Omnibus, das Symbol der Geworfenheit flieht weiter. Ein Lumpensammler nimmt sich des verlassenen Kindes an. Sein bohrender Blick verfolgt drohend den Omnibus. Seine Drohung geht auf in der Drohung des Dichters:
Stupide, idiotische Rasse! Du wirst es bereuen, dich derartig aufzuführen. Das kann ich dir sagen. Das wirst du bereuen, jawohl, das wirst du bereuen. Meine Poesie wird nur darin bestehen, den Menschen, dieses wilde Vieh, mit allen Mitteln anzugreifen und mit ihm den Schöpfer, der ein solches Ungeziefer nie hätte schaffen dürfen. [Abschnitt aus dem zweiten Gesang]
Ein sehr modernes Symbol, dieser Omnibus. Dass er noch von Pferden gezogen wird, nimmt ihm nichts von seiner Evokationskraft. Es fasst hier die grausame Gleichgültigkeit gegenüber dem Leiden des Hilflosen zusammen, eben die geregelte Humanität der modernen Gesellschaft, der das Elend am Wege nicht so wichtig sein darf wie der Verkehrsfluss, der darüber hinweg geht. Der versuchsweise Mensch, das ist der Lumpensammler, der verachtete Strandgutsammler dieser Gesellschaft. In seinem Bild wandelt sich der rebellische Impuls unversehens in sozialrevolutionäres Potential.
Meine Jahre sind nicht zahlreich, und doch fühle ich schon, dass die Güte nichts ist als eine Ansammlung tönender Silben; ich habe sie nirgends gefunden.
Klar, dass angesichts solcher wirrer Attacken, die völlig ohne jeden erkennbaren Anlass ...(Vertauschung toter Dinge mit Lebendem!.... und umgekehrt ...!) einen ressentimentgeladenen Hass auf die gängigen Nichtigkeiten des bürgerlichen Heldenlebens austoben, ein Teil der bürgerlichen Wissenschaft auf die Diagnose Verrücktheit erkennen muss. Dieser - wie der andere Irre aus Deutschland ebenfalls mit 24 Jahren - Verstorbene...ach ja, Büchner...Büchner hieß der, kann nur professioneller Hilfe bedürftig gewesen sein.
Bei seinem mysteriösen Tod war so unbekannt, dass niemand ihn vermisste.
So könnte es sein:
Laut Walter Muschgs bejahrter "Tragischer Literaturgeschichte" (1957) existiert zwischen dem Erlebnis von Ohnmacht und existenzieller Enttäuschung eine innige Verbindung. "Der tragische Dichter", schreibt Muschg, "stellt sich dem tiefsten Schmerz, der alle optimistischen Erklärungen des Daseins entwertet. Er erkennt Dissonanzen und Disharmonien, die nur auf Kosten des Menschen gelöst werden können, und entschleiert die Wahrheit, deren Anblick niemand aushält. [...] Aber dieser Schmerz entbindet zugleich Kräfte, die sonst nirgends frei werden. Er stellt sich als letzter Wert heraus, der in sich eine Antwort ist. Darin liegt das Geheimnis der tragischen Kunst."
Der Begriff all dessen wäre dann die
Kunstübung des enttäuschten Idealismus.
Hier eine weitere weitere Kostprobe:
Da ich nicht fand, was ich suchte, hob ich das verstörte Auge höher, noch höher, bis ich einen Thron sah, aus menschlichen Exkrementen und Gold gebildet, auf dem mit idiotischem Stolz, den Leib mit einem Leichentuch aus ungewaschenen Krankenhauslaken bedeckt, jener thronte, der sich selbst den Schöpfer nennt! Er hielt in der Hand den verfaulten Rumpf eines toten Menschen und führte ihn abwechselnd von den Augen zur Nase und von der Nase zum Mund; einmal am Mund, man errät, was er damit tat. Seine Füße steckten in einem endlosen Teich von kochendem Blut, durch dessen Oberfläche sich plötzlich, wie Bandwürmer durch den Inhalt eines Nachttopfes, zwei oder drei vorsichtige Köpfe schoben, um sofort pfeilschnell wieder unterzutauchten: ein Fußtritt, gut auf das Nasenbein gezielt, war die bekannte Belohnung für die Revolte gegen die Ordnung, durch das Bedürfnis hervorgerufen, eine andere Atmosphäre zu atmen; denn schließlich waren diese Menschen keine Fische! Bestenfalls Amphibien, schwammen sie zwischen zwei Wassern in dieser ekelhaften Flüssigkeit! … bis dann der Schöpfer, da er nichts mehr in Hand hatte, mit den beiden vordersten Krallen des Fußes einen anderen Taucher beim Hals ergriff, wie mit einer Zange, und ihn in die Luft hob, heraus aus dem rötlichen Schlick, der köstlichen Soße! Mit diesem verfuhr er genauso wie mit dem anderen. Erst verschlang er seinen Kopf, die Beine und die Arme, und zuletzt den Rumpf, bis nichts mehr übrig blieb, denn er knabberte die Knochen. Und immer so fort, die übrigen Stunden seiner Ewigkeit hindurch. Zuweilen rief er: »Ich habe euch geschaffen; also habe ich das Recht, mit euch zu machen, was ich will. Ihr habt mir nichts getan, ich behaupte nicht das Gegenteil. Ich lasse euch leiden, und zwar zu meinem Vergnügen.«
Bei Interesse: die Übersetzung der sechs Gesänge steht im Netz unter
http://www.uni-greifswald.de/~dt_phil/studenten/falmer/chants_f.html
Gibt es was Neues ? Sicher doch.
Gute Nachricht, sehr gute sogar. Sprecht ruhig
Von froher Botschaft:
Gott holte sich einen runter,
während Er dachte an mich. (Gerard Kornelis van het Reve: Näher zu dir)
Der wahre Glaube
Wenn der Kardinal einen Furz gelassen hat, sagen sie:
„Tjunge, Junge, was riecht es hier gut,
sicher brät sich einer Leber mit Zwiebeln.“
Auf diese Art Katholiken bin ich nicht versessen. .
(Gerard Kornelis van het Reve: Näher zu dir)
Louis Ferdinand Célines „Reise an das Ende der Nacht“ Literatur als Inszenierung eines anderen Selbst
Meine Liste der schwarzen Meisterwerke wird durch ein Band der aufgekündigten Einverständniserklärungen zusammengehalten.
Da ist naturgemäß recht Unterschiedliches versammelt, weil das bloße Nein eine schlechte Unendlichkeit des Unbestimmbaren in sich trägt.
Normalerweise ist es die Vernunft, die den Zumutungen, denen sie sich ausgesetzt sieht, kündigt. Sezession vom nicht konvenierenden Convenue gibt es aber auch, wenn die Wahrheiten des Körpers als Auskünfte über die Wirklichkeit ernst genommen werden.
Der Körper als Seismograph: Dann ist der Ekel das physische Äquivalent zum dissentierenden Gedanken: "Der Geist gibt sich mit Phrasen zufrieden, aber der Körper ist anspruchsvoller und verlangt nach Muskeln. Der Körper ist etwas Reales, und deshalb ist er auch meist widerwärtig anzusehen.Der widerwärtige Kotzbrocken Céline war ein Meister dieser anarchischen Wahrnehmung und ihrer Unbelehrbarkeit, die aufs Hier und Jetzt pocht.
„Nur ein Hundsfott denkt an die Zukunft, die Gegenwart allein ist wichtig. Sich mit der Nachwelt auseinandersetzen, ist nichts weiter, als den Würmern eine Rede halten."
Sein Anti-Held Bardamu ist ein picaro, ein nicht gerade sympathischer Schelm, der seine "Abenteuer" auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs, im glorreichen Arsch des französischen Kolonialismus, in Amerikas zerrüttenden Arsenalen des Fordismus oder als Pariser Armenarzt mehr durch Zufall und weniger durch die genreübliche Listigkeit des tapferen Schneiderleins übersteht: "Ich für meinen Teil war nicht allzu klug, aber genügend mit der Wirklichkeit vertraut, um ein für allemal ein Feigling zu bleiben."
Schließlich treibt es ihn durch die Schlachthäuser des 20. Jahrhunderts und nicht durch die frühkapitalistische Verstädterung Europas, und da bleiben Desillusionierungen nicht aus:
Er, unser Oberst, wusste womöglich, warum diese Leute schossen, und die Deutschen wussten es vielleicht ja auch, aber ich, nein wirklich, ich wusste es nicht. So tief ich auch in meinem Gedächtnis grub, ich hatte den Deutschen nie was getan....
Die Reichen brauchen nicht selber töten, um was zum Fressen zu haben. Sie lassen die Leute für sich arbeiten, wie sie sagen. Sie tun selber nichts Böses, die Reichen. Sie zahlen. Man tut alles, ihnen zu Gefallen, und alle sind hochzufrieden. [...] Weiter ist das Leben seit Anbeginn nicht gekommen....</i>"... und immer wieder Geschäfte und Geschäftssinn, dieser Krebsfraß der Welt von heute, der in den Eiterbeulen verheißungsvoller Reklamen ausbricht."
"Die Poesie des Heldentums ergreift besonders unwiderstehlich all diejenigen, die nicht in den Krieg ziehen, und am stärksten jene, die sich gerade enorm am Krieg bereichern."
Wie man sieht: diese durchaus zutreffenden, aber finsteren Fiesigkeiten eines nihilistischen Miesepeters und Defaitisten gehören in den Giftschrank, in dem ich meine Lieblingssätze aufbewahre, damit nicht irgendein reaktionärer Kritiker der Kunstform des Ressentiments uns übers ungewaschene Maul fährt.
Man bringt die ganze Zeit auf dieser Welt mit Lieben oder Morden zu und mit beidem auf einmal. Man verteidigt sich, man unterhält sich, man gibt sein ganzes Leben an den Zweifüßler des folgenden Jahrhunderts weiter mit Inbrunst, um jeden Preis, als ob es so besonders angenehm wäre, sich fortzusetzen, als würde uns das schließlich unsterblich machen...Man muss sich auf jede Art betäuben, die nur möglich ist, mit billigem Wein, mit Masturbation, mit Kino. Man darf nicht wählerisch sein....
Denn die Wahrheit dieser Welt ist der Tod. Die Reise ans Ende der Nacht führt unweigerlich ins Verrecken. Deines. Meines:
Nur Mut, Ferdinand‘, redete ich mir selber gut zu, um mich zu stützen,wenn du immer so vor die Tür gesetzt wirst, findest du sicher irgendwann heraus, was es ist, wovor sie alle so Angst haben, diese Mistkerle, denn das sind sie, vor dieser Sache, die am Ende der Nacht zu finden sein muss.‘
Verzweiflung, Ekel, Hass sind der Motor, furiose Suaden des Zorns und des Zynismus die Transmissionsriemen einer auf der Stelle tretenden Abrechnung mit den niederträchtigen Miesigkeiten einer Welt, die den Untergebutterten immer die selbe Rechnung der Lebensbedingungen aufmacht, und von deren destruktiven Schmutzigkeiten und aggressivem Pissegestank ihrer Überlebenstechniken kein klassenkämpferisches Heil zu singen ist:
Töten und sich töten, das wollten sie, nicht auf einen Schlag freilich, sondern nach und nach, mit allem, was ihnen einfiel, altem Kummer, neuem Elend, mit Hass, der noch gar keinen Namen hatte, wenn nicht sowieso richtiger Krieg herrschte
Was mir an diesem radikalsten Rundumschlag der nicht gerade seltenen Kultur- und Zivilisationskritiken des 20. Jahrhunderts gefällt?
Natürlich die schwarze Mystik und ihr makabrer Lyrismus, der erstmals wieder seit Lautréamont den Himmel aus Pfützen säuft, und der bei den Epigonen von Henry Miller bis Charles Bukowski themen- und stilbildend wurde. Beim Vergleich mit dem Original fällt allerdings auf, dass diese abweichlerischen „Größen“ der amerikanischen Literatur geradezu biedere, lesebuchreife Selbstverwirklicher sind.
Seine schockierend desillusionierte Verachtung von Menschenmassen, die sich als Futter eines Unbegreiflichen aufführen: Die Reichen brauchen nicht selber zu töten, um was zum Fressen zu haben. Sie lassen die Leute für sich arbeiten, wie sie sagen. Sie tun selber nichts Böses, die Reichen. Sie zahlen. [...] Und wir anderen können uns bemühen, wie wir wollen, wir rutschen weg, gleiten ab, verfallen dem Alkohol, der die Lebenden und die Toten konserviert, wir erreichen nichts. Gründlich bewiesen ist das. [...] Dabei hätten wir begreifen müssen, was da lief. Unerschöpfliche Wellen nutzloser Geschöpfe kommen aus der Tiefe der Zeit heran und sterben unablässig vor unseren Augen, aber wir stehen da und hoffen auf wer weiß was ... Wir taugen nicht mal dafür, an den Tod zu denken.
Sätze, die sich nicht einer dämlichen Funktionalisierung der Armut für den Klassenkampf oder sonst ein menschenfreundliches Projekt beugen:
Außerdem, denken wir mal nach, wie viele Leute einem im normalen Leben im Lauf eines normalen Tages den elenden Tod an den Hals wünschen, zum Beispiel alle, denen man im Weg ist, die sich in der Metro hinter einem in der Schlange drängeln, dazu all jene, die vor unserer Wohnung vorbeigehen und selber keine haben, alle, die möchten, dass man schneller pinkelt, damit sies auch tun können, kurz, unsere Kinder und viele andere dazu.
Die Sicht auf den geschundenen Körper durchschlägt alle akademischen Vermittlungen der "Humankapitalisten" als lächerliche Einbildung des Personkonzepts.
Vielleicht sollte man daran erinnern, dass Zynismus nicht einfach die aggressive Negation von zeitläufigen oder überzeitig gedachten Wertschätzungen ist. Ehemals waren die Kyniker Leute, deren Bezeichnung sich vom Hund herleitete. Und dessen tiefergelegte Perspektive sieht es nun mal anders:
Die Eingeborenen muss man meist erst mit Knüppeln zur Arbeit treiben, so viel Würde haben sie sich bewahrt, während die Weißen, die die öffentlichen Bildungsinstitute durchlaufen haben, ganz von selber funktionieren."
Und:
Philosophieren ist auch nur eine andere Art, Angst zu haben, und führt zu nichts als zu feigen Trugbildern."
Was steht in Aussicht?
Einigermaßen frei zu krepieren: wenigstens das bleibt die Aufgabe des Menschen! Alle Täuschung ausgespuckt haben ...(Brief an eine Freundin)
Bleibt der genierliche Umstand, dass Céline in den späten Dreißigern zu einem unerträglich geifernden, widerlichen Faschisten mutierte, und es einen allgemeinen Zusammenhang zwischen dissoluten Hetz- und Hasstiraden und einer Heilssehnsucht im organisierten Rassismus gegeben haben mag, der für Célines geradezu pathologischen Fall nun mal nicht zu leugnen ist:
Die Wucht des ungezielten Ressentiments trägt das Opfer des Bauchgefühls auch schon mal in die Unwucht, auf der richtigen Seite, nämlich der des Siegers, stehen zu wollen. Die Identifikation mit dem Aggressor ist nicht bloß ein psychoanalytischer Terminus: die gibt es wirklich. Und hat schon manchem Menschenfreund ein Unbehagen an und in der von ihm ansonsten hochgeschätzten Kultur beschert.
Die beiden frühen Romane („Reise ans Ende der Nacht“ und, „Tod auf Kredit“) wissen von diesem lebensgeschichtlich erschreckenden Zusammenhang noch nichts: der Unwert des agetanen Lebens führt hier zum Wert einer monströsen. anti-klassischen Welt-Literatur.